Knarzen, holpern, leiernWarum Musikkassetten wieder total angesagt sind

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Ein Stapel Kassetten, auf der obersten steht „Mix Tape“.

Liegt bei vielen noch in der Schublade: das Mix Tape einer verflossenen Liebe.

Gegen die Beliebigkeit des Digitalen und für das Nostalgiegefühl: Das Medium Kassette erlebt ein Revival. Sogar bei Taylor Swift.

Dieses leise Rauschen, noch bevor der erste Ton zu hören ist. Durch das Sichtfenster sieht man, wie die Spulen sich gemächlich drehen, um das graubraune Band von der einen auf die andere Seite zu transportieren. Ein Blick genügt, und man weiß ganz ohne Zählwerk, wie viel von dem Roman, dem Hörspiel oder dem Musikalbum noch übrig ist. Dieses Spürbarmachen der Zeit ist etwas, das man bei digitalen Abspielgeräten trotz hochauflösender Displays vermisst.

Steffen Haubner

Steffen Haubner

schreibt als Journalist über Technik- und Medienthemen

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Und während man auf dem Handy end- und ziellos zwischen Millionen von Songs und anderen Angeboten herumirren kann, hat man auf dem analogen Abspielgerät eine Wahl getroffen für genau dieses Programm und kein anderes. Ist die Kassette einmal eingelegt, bleibt man dabei und stellt oft fest, dass man etwas verpasst hätte, wenn man zu schnell aufgegeben hätte.

Jüngere Generationen wollen sich bewusst von der Beliebigkeit des Digitalen lösen

Klar, Musikkassetten sind unpraktisch, gehen kaputt und haben eine vergleichsweise mäßige Soundqualität. Trotzdem erleben MCs, so das englische Kürzel, gerade ein kleines Revival. Auch Vinyl als Musikdatenträger löste ja lange Zeit bestenfalls Schulterzucken, schlimmstenfalls höhnisches Gelächter aus und ist inzwischen doch ein von der Musikindustrie kaum zu ignorierender Faktor. „Die Leute kehren zu Erlebnissen, zu Musik, zu Dingen zurück, die mit ihrer eigenen Jugend verknüpft sind“, analysiert der Musikjournalist, Autor und Kabarettist Linus Volkmann. Es habe aber auch damit zu tun, „dass sich auch jüngere Generationen mit solchen limitierten Medien bewusst von der Beliebigkeit des Digitalen loslösen wollen. Man will etwas Besonderes haben, das nicht jederzeit verfügbar ist.“

Genau das ist auch der Reiz für Buchhändlerin Nina Jacobi, die das Medium wie viele andere noch aus ihrer Kindheit kennt. „Kassetten können knarzen, holpern und leiern, aber das gehört einfach dazu und ist in der von Perfektionismus geprägten Welt ein Gegenpol. Für ein Tape muss man sich ein bisschen Zeit nehmen, eben weil es nicht so leicht zugänglich ist.“ Zudem sei die Kassette erinnerungsbehaftet. „Vom ersten Hörspiel bis zum Mixtape sind prägende Jahre vergangen. ‚Drei Fragezeichen‘ hören, zum Einschlafen noch eine Seite der Lieblingsgeschichte, dann das vertraute Klickknirschen wenn sie zu Ende war.“ Und dann das bange Warten vor dem Radio in der Hoffnung der aktuelle Lieblingssong werde gespielt und der Moderator nicht in die Aufnahme quatschten.

Heute veröffentlichen auch Taylor Swift oder Billie Eilish ihre Alben wieder auf Kassette

Vor mehr als sechs Jahrzehnte wurde die damals bahnbrechende Technologie auf der Berliner Funkausstellung vorgestellt. 1979 brachte Sony seinen ersten Walkman, den TPS-L2 2007, auf den Markt und machte Musik damit mobil. Jahrzehntelang waren die immer kleiner werdenden Player jugendliches Statussymbol. 2007 verkündete der Deutschlandfunk das Aus für die MC. Und doch waren Kassetten nie wirklich weg. Fans der „Drei Fragezeichen“ sammelten sie, viele im letzten Jahrtausend Geborene haben noch liebevoll zusammengestellte Mixtapes ihrer (Ex-)Partner in der Schublade. Im Heavy Metal, Punkrock oder Rap, also überall dort, wo man den „Do it Yourself“-Gedanken vertritt und die Musikindustrie verachtet, kann man auf Live-Konzerten oder per Mail-Order schon seit langem bespielte MCs mit handkopierten Covern kaufen. Heute veröffentlichen auch Taylor Swift oder Billie Eilish ihre Alben wieder auf Kassette.

Eine Hörspielkassette aus der TKKG-Reihe liegt auf einem alten Kassetten-Rekorder.

Heute sind die alten Hörspiele oft Sammlerstücke.

In Facebook-Gruppen wie „Tapes, Decks & Co.“ tauscht man nicht nur Erinnerungen aus, sondern präsentiert auch stolz wiederaufbereitete Kassettendecks. Begehrt sind nicht nur die Abspielgeräte, sondern auch die Kassetten selbst, ganz besonders Leertapes. Für originalverpackte Schmuckstücke wie die Denon MG-X 100 kann man auf Ebay – kein Druckfehler! – 200 Euro und mehr ausgeben. Da darf jeder ein paar Tränen vergießen, der seine unbespielten BASF-Bänder irgendwann in die Mülltonne gekloppt hat. Wer noch einen alten Player im Schrank hat, kann sich dagegen glücklich schätzen. Meist reicht es, die mürbe gewordenen Übertragungsriemen, die das Band antreiben, auszutauschen.

Das sind doch die Dinger, für die man früher immer einen Bleistift brauchte, um das Band wieder aufzuwickeln

Auch die Hersteller haben den Trend längst bemerkt. Die neue Generation mobiler Player hat moderne Lithium-Ionen-Akkus statt umweltschädlicher Batterien. Der in unterschiedlichen Farben erhältliche CP13 von FiiO für rund 130 Euro hat ein solides Gehäuse und einen mechanischen Kern mit einem Schwungrad aus Kupfer. Weil man ganz auf analogen Klang setze, habe man auf Bluetooth verzichtet, so der Hersteller. Mit einem verkabelten und per Klinkenstecker verbundenen Kopfhörer muss man sich auch nicht um Verbindungsprobleme oder lausige Akkus herumärgern. Auch eine Aufnahmefunktion gibt es nicht. Die beim Handygebrauch antrainierte Multifunktionsmentalität muss man sich also abschminken.

Im Selbsttest erwies sich die aus einer schicken Box mit sechs Kassetten bestehende Hörbuchversion von „Der alte Patagonien-Express“ (20 Euro bei Ebay) als genau das richtige Futter für den Neo-Walkman. Darin nimmt Autor Paul Theroux alle Beschwerlichkeiten eines antiquierten Verkehrsmittels in Kauf, um zum Kern des Reisens vorzudringen. Ob man nun tatsächlich einen Unterschied zum über ein iPhone abgespielten Hörbuch spürt, muss jeder für sich entscheiden. Auf jeden Fall erregt man damit Aufmerksamkeit. Menschen wollen wissen, was man da hört, und zwangsläufig folgt irgendwann der Spruch: „Das sind doch die Dinger, für die man früher immer einen Bleistift brauchte, um das Band wieder aufzuwickeln!“ Man weiß ja: Aus solche Kommentaren spricht der pure Neid!

So kam auch Linus Volkmann kürzlich auf die schräge Idee, eine Folge seines Hörspiel-Podcasts „Die Ausnahme der Rose“ auf Kassette anzubieten – in einer Papp-Verpackung mit Plastik-„Blister“, wie man sie von Spielzeugfiguren kennt. Man habe einfach mal wieder etwas erschaffen wollen, das nicht digital und damit unsichtbar sei. Die Resonanz war so riesig, dass es wohl eine zweite Auflage geben wird. Zumindest für Podcasts bleibe das bevorzugte Medium aber sicher das Digitale. „Man stelle sich den Plastikmüll vor, wenn all das Gelaber der letzten Jahre in Kassettenform existieren würde. Bei aller Nostalgie und Kassettenliebe: Gruselig!“

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