Günter Grass„Des Teufels gotische Hörner“

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Zwei deutsche Nobelpreisträger: Bei einer Veranstaltung in der Uni trafen sich in den siebziger Jahren Günter Grass (r.) und Heinrich Böll (3.v.r.). Unter den Teilnehmern auch der kürzlich verstorbene Schriftsteller Wolfgang Leonhard (obere Reihe, 3.v.l.)

Zwei deutsche Nobelpreisträger: Bei einer Veranstaltung in der Uni trafen sich in den siebziger Jahren Günter Grass (r.) und Heinrich Böll (3.v.r.). Unter den Teilnehmern auch der kürzlich verstorbene Schriftsteller Wolfgang Leonhard (obere Reihe, 3.v.l.)

Köln – Was Günter Grass dazu gebracht hat, Romane zu schreiben? Ein Köln-Besuch – das sagte Grass jedenfalls selbst: „Kein Schriftsteller, behaupte ich, kann ganz allein aus sich einen epischen Entwurf wagen, ohne angestoßen, provoziert, von außen in solch unübersehbare Geröllhalden verlockt zu werden. In Köln, auf der Durchreise, war es Paul Schallück, der mich anstieß, Prosa zu schreiben; provoziert hat mich die damals gängige, ja, regierungsamtliche Dämonisierung der Zeit des Nationalsozialismus – hell ausleuchten, ans Tageslicht bringen wollte ich das Verbrechen.“ Daraus wurde dann 1959 „Die Blechtrommel“, einer der wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts.

Und was war für Grass noch im hohen Alter ein Ansporn seiner künstlerischen Tätigkeiten? Ein Mutterkomplex, den er eigenen Aussagen zufolge nie hat ablegen können, weil seine Mutter 1954 zu früh, mit 56 Jahren, an Krebs starb – im St. Vinzenz Hospital in Köln-Nippes. Grass selbst meinte: „Fünf Jahre nach ihrem Tod erschien die ,Blechtrommel’ und wurde zu dem, was sich Peer Gynt womöglich unter Erfolg vorgestellt haben mag. Immer schon hatte ich meiner Mutter irgendetwas beweisen wollen; doch erst ihr Tod setzte den Antrieb frei.“

Wäre das Werk von Günter Grass also ohne Köln gar nicht denkbar gewesen? So weit möchte wohl auch der eingefleischteste Heimathirsch nicht gehen. Aber Grass’ Lebensweg hat ihn oft nach Köln und Umgebung geführt und ihn inspiriert. Um etwa aus der Kriegsgefangenschaft entlassen zu werden, brauchte Grass eine Adresse. Deshalb gab ihm ein Freund die Adresse der eigenen Eltern in der Neustraße Köln-Mülheim, wo Grass dann eine Bleibe fand: „Ich weiß noch, wie ich durch das völlig zerbombte Köln-Mülheim ging und an einer Straße vorbeikam, da war ein Kino. Das halbe Haus war weg, aber das Kino stand noch, und sie spielten ,Romanze in Moll’. Berühmter Ufa-Film der letzten Kriegsjahre.“ Zwischen Dom und Hauptbahnhof erwies sich der junge Grass in der Nachkriegszeit als geschickt im Schwarzhandel.

Und im Kölner Umland, in der Hauptstraße 11 Bergheim-Büsdorf, war es, wo Günter Grass 1947 seine Familie wiederfand, die als Flüchtlinge hier einquartiert waren. Grass selbst wohnte auch hier, wenn auch trotz beruflicher Perspektive nur kurz: „Mein Vater hatte mir schon eine Lehrstelle als Bürolehrling besorgt, bei dem Braunkohlenwerk, wo er in der Pförtnerloge beschäftigt war. Ich habe abgelehnt, weil ich Bildhauer werden wollte, unbedingt.“

Danach war Günter Grass zwar nur noch zu Besuch in Köln, etwa zur Uraufführung seines Theaterstücks „Onkel, Onkel“ 1958 im Studio der Bühnen der Stadt Köln. Oder zum Wahlkampf für die SPD 1965 „in Köln auf dem Neumarkt mit Wischnewski und Paul Schallück vor Fünftausend zwischen zwei Regengüssen“. Dafür hat Günter Grass die Domstadt und ihre Umgebung wiederholt als Gedenkort des Kriegs- und Nachkriegsdeutschland in seinem Werk verewigt.

Das fängt in der „Blechtrommel“ an, in der Grass den Blick vom Friedhof von Oberaußem, wo Grass’ Mutter beerdigt liegt, schildert: „Welch eine Aussicht! Zu unseren Füßen das Braunkohlenrevier des Erftlandes. Die acht gegen den Himmel dampfenden Kamine des Werkes Fortuna. Das neue, zischende, immer explodieren wollende Kraftwerk Fortuna Nord. Die Mittelgebirge der Schlackenhalden mit Drahtseilbahnen und Kipploren darüber. Alle drei Minuten ein Elektrozug mit Koks oder leer. Vom Kraftwerk kommend, zum Kraftwerk hin, spielzeugklein, dann Spielzeug für Riesen, die linke Ecke des Friedhofs überspringend die Starkstromleitung in Dreierkolonne, summend und hochgespannt nach Köln laufend.“

Anselm Weyer hat in Köln über Günter Grass promoviert. Später arbeitete er unter anderem am Grass-Medienarchiv in Bremen. Zum 85. Geburtstag von Günter Grass 2012 organisierte er in der Trinitatiskirche einen Kongress mit Ausstellung zu religiösen Motiven in Grass’ Werk. Für die AntoniterCityTours bietet Anselm Weyer regelmäßig literarische Führungen durch Köln an.

Das geht weiter im Roman „Hundejahre“ (1963), den Grass für sein bestes Werk hielt und dessen letztes Drittel in Köln spielt. Der Protagonist Matern schildert seine Anreise per Zug: „Dieser Ziegelhaufen zum Beispiel verspricht, Mülheim zu sein. In Kalk hält er nicht. Doch von Deutz aus sehn wir schon den Doppelzinken, des Teufels gotische Hörner, den Dom. Und wo der ist, da liegt auch des Domes weltliche Entsprechung nicht weit: Der Hauptbahnhof.“ Grass erzählt vom neuen Funkhaus des WDR, dem Schwarzmarkt zwischen Dom und Hauptbahnhof, den an die Toilettenwände gekritzelten Adressen, mit denen Überlebende ihre Freunde und Angehörigen suchten: „Oh, ewige fußbodengekachelte Männertoilette Köln, Hauptbahnhof! Sie hat Gedächtnis. Ihr geht kein Name verloren.“

Bis ins Spätwerk hinein ist Köln für Grass zentraler Erinnerungsort für die deutsche Kriegs- und Nachkriegszeit. Noch in „Mein Jahrhundert“ (1999) ist es die Bombardierung Kölns in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942, an deren Beispiel er die Zerstörung Deutschlands schildert (siehe Text unten), und der erste Rosenmontagszug nach dem Krieg, an dessen Beispiel Grass aus der Perspektive von Karl Berbuer erzählt, wie aus den Trümmern das Wirtschaftswunderland entwächst, das seine Vergangenheit am liebsten vergessen möchte.

Sogar die Kölnische Rundschau findet sich in den Werken von Günter Grass: Wieder in „Mein Jahrhundert“ berichtet ein namenloser Ich-Erzähler zum Jahr 1948, wie seine Frau ein „Gedicht, das „De Flucht us em Alljäu“ geheißen hat, für ein Preisausschreiben an die ,Kölnische Rundschau’ geschickt“ habe. So hat Grass nicht nur Köln, sondern auch diese Zeitung zum Bestandteil der Weltliteratur gemacht. Und das kann auch in Zukunft immer wieder nachgelesen werden.

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