Buch von Barbara EfferNümbrechterin schreibt über ihre autistische Tochter

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Nümbrecht – „Geben Sie Ihr Kind in ein Heim.“ Diese Worte eines Arztes, ausgesprochen vor mehr als vier Jahrzehnten, klingen Barbara Effer noch heute in den Ohren. Sie sind das furchtbare Fazit einer hilflosen Diagnose und der Ausdruck von damals vorhandenem Unwissen. Geistig behindert sei die Tochter, beschließt der Arzt. Sprechen werde sie niemals und sich auch nicht in eine Gesellschaft einfügen können. Ein hoffnungsloser Fall also. Heim und Schluss.

Kanner-Syndrom

Autismus gilt heute nicht mehr als geistige Behinderung. So begreift man das Asperger-Syndrom als ein Spektrum von Phänomenen, die unterschiedlich ausgeprägt sind und auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommen. Das Kanner-Syndrom bezeichnet dagegen den frühkindlichen Autismus, der mit einer Reihe von Entwicklungsstörungen noch vor dem dritten Lebensjahr einhergeht. 1988 hat Dustin Hoffman im Film „Rain Man“ einen Kanner-Autisten gespielt.

Der Name geht auf den amerikanischen Kinder- und Jugendpsychiater Leo Kanner (1894 – 1981) zurück. Wie auch bei Asperger, so geht man bei Kanner davon aus, dass das Auftreten genetisch bedingt ist. Erforscht ist die Ursache allerdings auch heute noch nicht.

Bei Wandra gehen die Ärzte nach Auskunft von Barbara Effer davon aus, dass neben der genetischen Ursache eine Unterfunktion der Schilddrüse in den ersten neun Monaten und ein Sauerstoffmangel, der zu Hirnschäden geführt hat, weitere Faktoren sind. (höh)

Mit ruhiger Stimme erzählt Barbara Effer aus Nümbrecht, heute 71 Jahre alt, wie einst ihr Leben aus den Fugen geraten ist, wie alles plötzlich auf dem Kopf steht. Beruflich hat die damals 25-Jährige bereits Karriere gemacht, sie ist Studio-Assistentin und soll in Wien die Filiale eines namhaften Porzellanherstellers führen. „Nach der Geburt meines Kindes war daran nicht mehr zu denken.“

Das Kind im Bett meidet jeden Kontakt

Die Autismus-Forschung ist zu jener Zeit nicht weit gediehen. Vom Kanner-Syndrom, von frühkindlichem Autismus, keine Rede. „Hilfe gab es keine“, blickt Effer zurück. „Die mit dem Teddy spricht – Die Reise unseres Lebens“ heißt das Buch, das sie über das Leben mit ihrer heute 46 Jahre alten Tochter – im Buch trägt diese den Namen Wandra – geschrieben hat und das jetzt erschienen ist. Bei einer Reihe von Lesungen stellt sie es vor. „Für die meisten Ärzte war ich ohnehin nur eine hysterische Mutter“, erinnert sich Effer. „Sie wiesen mich ab, mit den Worten, das werde schon.“

Es wurde nicht. „Nach der Geburt hat Wandra nur geschrien – minutenlang, stundenlang, tagelang.“ Verzweifelt steht die Mutter damals am Kinderbett. Die Tochter aber verweigert jede Berührung, meidet den Blickkontakt, scheint abwesend. „Da war dickes Glas zwischen uns: Ich konnte mein Kind sehen, aber nie berühren.“ Denn frühkindlicher Autismus gilt – wie jede andere Form dieser Entwicklungsstörung – als unheilbar.

Plötzlich ist es ein Teddybär, der Wandra durch jeden Tag begleitet und einen Zugang gewährt in die Welt des Mädchens. Denn ihm erzählt Wandra immer, was die Mutter gesagt hat. Sie wiederholt jene Worte. Und endlich können auch Mutter und Tochter kommunizieren, ein Stofftier wird zum Dolmetscher. Immer ist er dabei – auch wenn Wandra im strömenden Regen draußen in der Sandkiste sitzt und Kuchen backt. Barbara Effer lernt, dass sie ihr das nicht verbieten kann: Sonst beginnt das Geschrei erneut. Und sie begreift auch, wie sie und das Kind die so ersehnte Ruhe findet: Sie lässt Spezialkleidung schneidern, damit Wandra auch bei Regen im Sand spielen kann.

Zitate aus jenen Mädchen-Bär-Gesprächen winden sich durch das Buch, führen den Leser, reduzieren die Kapitel auf den Kern. Sie zeigen, wie sehr Mutter und Tochter zusammenwachsen. „Eine symbiotische Beziehung“, betont Effer. Natürlich sei es ihr niemals in den Sinn gekommen, Wandra in ein Heim abzuschieben, betont Effer. Wann sie mit dem Schreiben begonnen hat, das weiß sie nicht mal. Früher indes schreibt die Mutter kleine Geschichten für Wandra, um ihr die Welt zu erklären. Um dem Kind eine Orientierung zu bieten in einer Umgebung, die es als feindselig empfindet.

Denn ein Autist erkennt sich nicht als andersartig, für ihn sind es immer die anderen, die anders sind. Zufällig gerät Effer eine Wissenschaftszeitschrift ist die Hände: „Da wurde das Kind beschrieben“, sagt sie. Danach habe sie angefangen, gezielt nach Literatur über Autismus zu suchen und sich weitergebildet. „Fortan war es mein Ziel, Wandra aus der Isolation zu holen.“ Erst, als Wandra 20 Jahre alt ist, wird das Kanner-Syndrom als einwandfreie Diagnose ausgesprochen, Odysseen durch Arztpraxen und Krankenhäuser liegen hinter dem Ehepaar Barbara und Ulrich Effer (heute 73).

Selbstständigkeit in betreutem Wohnen

Heute lebt Wandra in Oberbantenberg und in einer betreuten Wohngruppe und arbeitet in einer Holzwerkstatt. „Mit 19 ist sie eingezogen“, sagt Barbara Effer, die danach ein Studium der Sozialpädagogik absolviert und eine Ausbildung zur Psychotherapeutin beendet hat. Ihr Buch beschreibt in schnörkellosen Worten den nahezu übermenschlichen Einsatz einer Mutter für die Tochter – einen Einsatz, an dem die zierliche Frau zu zerbrechen drohte. Groll gegen das Schicksal hegt sie nicht, im Gegenteil. „Mit dem Buch möchte ich Brücken bauen und zeigen, dass Menschen wie Wandra normal sind. Nur anders.“

Barbara Effer: „Die mit dem Teddy spricht – Die Reise unseres Lebens“, Books on Demand, rund 300 Seiten, 12,90 Euro. Erste Lesung am Samstag, 28. Januar, ab 19 Uhr im Nümbrechter Jugendtreff „Alte Schmiede“, Marktstraße 10.

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