Elend hautnah erlebtPolizisten berichten von der Flüchtlingskrise an Bayerns Grenzen

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Bergheim-Zieverich – September 2015: Die Flüchtlingskrise in Deutschland erreicht ihren Höhepunkt, an der Grenze zu Österreich werden wieder Kontrollen eingeführt. Dirk Conrads aus Zieverich und seine beiden Kollegen Philipp Franke und Marcel Hodenius werden nach Bayern geschickt.

Die Bundespolizisten sollen helfen, den Flüchtlingsstrom in die richtigen Bahnen zu lenken. Über die Erlebnisse haben die Beamten ein Buch geschrieben: „Mittendrin! Drei Polizisten berichten aus der Flüchtlingskrise“.

Über den Balkan kommen Abertausende Flüchtlinge aus dem Kriegsland Syrien nach Mitteleuropa. „Obwohl wir durch unseren Berufsalltag mit wechselnden Herausforderungen vertraut sind, waren wir nicht auf das vorbereitet, was uns an der Grenze erwartete“, heißt es in dem Buch.

„Eine nicht abreißen wollende Menschenflut von jenseits der Grenze, zu Anfang häufig in erbärmlichem Zustand, wenn man das so sagen kann, krank, in zerrissenen Kleidern, erschöpft und ausgehungert. Jeder dieser Menschen hatte eine Geschichte zu erzählen, hinter ihm lag die Tausende Kilometer lange Flucht über das Meer und quer durch Europa.“

Die Polizisten arbeiten in Ering bei Passau an der bayerisch-österreichischen Grenze. Die Flüchtlinge stehen in zwei Schlangen an, in einem Bauwagen müssen sie sich zunächst Fingerabdrücke abnehmen lassen. So soll geklärt werden, ob sie nicht schon in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben.

Mit der Wiedereinführung der Grenzkontrollen soll ein politisches Signal gesetzt werden: Flüchtlinge sollen nicht länger unkontrolliert und unregistriert nach Deutschland einreisen.

Elend hautnah

In ihrem Einsatz, der bis März 2016 dauert, erleben die Polizisten das Elend hautnah. „Es waren viele Schicksale“, sagt Conrads. „Wir haben Kinder getroffen, deren Eltern bei der Überfahrt übers Mittelmeer ertrunken sind oder die ihre Eltern bei der Flucht verloren haben.“ Vieles hätten die Beamten zuvor nur aus dem Fernsehen gekannt. „Das dann vor Ort zu erleben hat uns überwältigt.“

Sie hätten auch Babys mit Narben auf der Brust gesehen – dabei habe sich herausgestellt, dass die Kinder gezielt verletzt worden seien. „Es hatte sich offenbar unter den Flüchtlingen herumgesprochen, dass sie bessere Chancen haben, wenn ihre Kinder eine Herz-Operation hinter sich haben.“ Kinder seien auf der Flucht von manchen als Mittel zum Zweck gesehen worden. Aber die drei Polizisten hinterfragen auch all die Vorurteile, mit denen sie konfrontiert werden.

So rechnen sie in ihrem Buch vor, dass ein Flüchtling weniger Geld bekommt als ein Hartz-IV-Empfänger in Deutschland. Auch den Satz, dass die Flüchtlinge nach Deutschland kommen, um das Sozialsystem auszunutzen, wollen sie nicht stehen lassen, ebenso wenig die Behauptung, dass sich die Flüchtlinge nicht integrieren und nicht arbeiten wollen.

„Unserer Erfahrung nach fliehen die meisten Menschen, auf die wir im Grenzgebiet trafen, vor Krieg und Terror“, schreiben die Bundespolizisten. Gleiches gilt für das Vorurteil, dass viele Flüchtlinge kriminell seien. So zitieren die Polizisten eine Statistik über die Stadt Braunschweig, wonach mit dem Zuzug von 40.000 Flüchtlingen zwar auch die Kriminalität gestiegen sei – „aber nicht überdurchschnittlich, sondern im Verhältnis zum Bevölkerungswachstum“.

Für den 44-jährigen Conrads, der aus Bedburg stammt, war der Einsatz jedenfalls sehr lehrreich. „Ich hab das Elend selbst erlebt, manche Dinge sehe ich heute anders“, berichtet Conrads. „Ich weiß, dass Schubladendenken wirklich nicht weiterhilft.“

Das Buch „Mittendrin! Drei Polizisten berichten aus der Flüchtlingskrise“ kostet 14,99 Euro und ist im Verlag tredition erschienen.

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