Katholische KirchePfarrer aus Rhein-Erft fordern die Abschaffung des Pflichtzölibats

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Willi Hoffsümmer (l.) und Gerhard Dane, hier in der Kasterer Kirche St. Georg, gehören zu den Unterzeichnern des Briefes.

Willi Hoffsümmer (l.) und Gerhard Dane, hier in der Kasterer Kirche St. Georg, gehören zu den Unterzeichnern des Briefes.

Rhein-Erft-Kreis – Ein offener Brief von zwölf Männern, die 1967 im Kölner Dom zu Priestern geweiht wurden und nun, 50 Jahre danach, sich sehr kritisch über die katholische Kirche äußern, sorgt für Diskussionen. Die Seelsorger sprechen von Enttäuschungen und Hoffnungen, fordern Frauen in Weiheämtern und kritisieren den Pflichtzölibat und Großpfarreien.

Zu den Unterzeichnern gehören auch der frühere Kreisdechant Gerhard Dane, heute Pfarrvikar in Bedburg-Kaster, Willi Hoffsümmer, früher Pfarrer in Bergheim-Paffendorf und Erftstadt-Bliesheim und jetzt Subsidiar in Erftstadt, und der frühere Erftstädter Pfarrer Winfried Jansen (75). Mit Gerhard Dane und Willi Hoffsümmer sprachen Horst Komuth und Dennis Vlaminck.

Herr Dane, Herr Hoffsümmer, in Ihrem Brief nehmen Sie die Kirche hart ins Gebet. Warum äußern Sie sich so spät, 50 Jahre nach Ihrer Priesterweihe?

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Hoffsümmer: Wir haben uns schon immer gewehrt. Wir waren immer das Semester, das den Bischöfen wohl nicht so gefallen hat. Weil wir regelmäßig zusammenkamen, haben wir oft genug Stellungnahmen geschickt. Manchmal wurden wir auch eingeladen, was aber selten etwas gebracht hat. Insofern kennen die uns so, dass wir nicht zart mit denen umgehen.

Dane: Wir haben gedacht, dass das goldene Priesterjubiläum ein Anlass ist, eine Bilanz zu ziehen. Die Fragen lauten: Was haben wir bisher erlebt und was erhoffen wir für unsere Kirche? Wir sind ja schließlich Teil dieser Kirche, und deswegen haben wir auch die Pflicht, den Mund aufzumachen.

Sie beklagen den fehlenden Mut in der Kirche nach der Aufbruchsstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 60er-Jahren, sprechen von Bunkermentalität und kritisieren damit konservative Geistliche wie Papst Benedikt oder den langjährigen Kölner Kardinal Joachim Meisner. Was hätten Sie sich von der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten gewünscht?

Willi Hoffsümmer

In Bonn, Köln und Freiburg im Breisgau studierte der gebürtige Hürther, Jahrgang 1941, Theologie. Ab 1967 war er als Kaplan in Düsseldorf tätig. Von 1979 bis 2007 war Hoffsümmer Pfarrer an St. Pankratius in Paffendorf. Von 1995 bis 2007 war er zusätzlich an St. Cosmas und Damian in Bergheim-Glesch als Pfarrer tätig. Seit 2007 betreut Hoffsümmer als Pfarrvikar an St. Lambertus in Erftstadt-Bliesheim die Gläubigen. Inzwischen ist er Subsidiar im Seelsorgebereich Erftstadt-Ville. Bundesweite Bekanntheit erlangte er als Buchautor sowie Herausgeber von Sammelveröffentlichungen. Mehr als hundert Werke stammen von ihm. Die Gesamtauflage beträgt über eine Million Exemplare. (kom)

Hoffsümmer: Zumindest in Sachen des Nachwuchses konkretere Lösungen anzupeilen. Ich hatte fast den Eindruck, die Kirchenführung erwarte, dass alle männlichen Sternsinger mal zu Priestern geweiht werden und die Frage mit dem Nachwuchs dann gelöst ist. Konkret ist entscheidend doch nichts gelaufen. Die Pfarreiengemeinschaften werden immer größer, immer anonymer. Und das ist nicht die Lösung. Da ist einfach was verschlafen worden.

Dane: Ich möchte aber auch etwas Verständnis wecken für die Kirchenleitung. Ich verstehe Kardinal Meisner, der Sorge hatte, dass die Kirche sich in eine Richtung entwickelt, wie sie nicht dem Sinne Gottes entspricht. Darüber muss man eben reden und streiten. Was will Gott heute von uns? Das Gespräch über den Weg der Kirche war in den letzten Jahrzehnten manchmal nicht offen genug. Da gab es Denksperren nach dem Motto »Bis hierher und nicht weiter«. Ich hätte mir ein offeneres, angstfreieres Gespräch gewünscht.

Die Frage nach Gott sei bei vielen Menschen kein Thema mehr, junge Familien wendeten sich ab. Sie fordern mehr „christliches Gesicht“ angesichts der wachsenden Zahl von Muslimen in Deutschland und in der Auseinandersetzung mit dem Koran – nennen Sie konkrete Beispiele, wie sich Christen positionieren sollten.

Dane: Wir Christen müssen uns zusammensetzen und klären, was wir eigentlich glauben. Wo sind unsere Zweifel? Der Kern des ganzen Problems besteht meines Erachtens in einer großen, tiefen Glaubenskrise. Das Glaubensbekenntnis wird inzwischen an vielen Stellen mit Fragezeichen versehen. Die Krise kann aber auch eine Chance bieten, aus der wir erstarken, wachsen können und die uns zu neuen Erkenntnissen führt. Wenn wir keine eigenen Ansichten, keine Standpunkte haben, ja, worüber sollen wir dann mit den anderen reden? Muslime können doch nur davon profitieren, wenn wir offen mit ihnen über Glauben reden. Es geht uns ja um den gleichen Gott.

Gerhard Dane

Der gebürtige Leverkusener ist Jahrgang 1942. In Bonn und Freiburg studierte Gerhard Dane Theologie unter anderem bei Joseph Ratzinger. Kurz nach Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde er nach zwei Jahren Priesterseminar 1967 zum Priester geweiht. Danach war er Kaplan und dann Pastor in Köln, bis er 1993 nach Kerpen kam. 1994 wurde er von Kardinal Meisner zum Kreisdechanten des Erftkreises ernannt. Er war auch Vorsitzender des Caritas-Verbandes für den Rhein-Erft-Kreis. 2006 legte er das Amt des Kreisdechanten ab und ist seitdem Pfarrvikar in Bedburg-Kaster. Dane ist Diözesanvorsitzender des Deutschen Vereins vom Heiligen Land und als Buchautor bekannt. (kom)

Hoffsümmer: Die Kinder, die ich aus muslimischen Familien erlebe, sind zum Teil viel fitter als wir. Auch wenn unsere Kinder monatelang im Rahmen der Firmung oder der Kommunion vorbereitet werden, brachte das letztlich nichts. Da geht zu viel verloren. Und wenn wir mal zur Diskussion über die Bibel einladen, ist es beschämend zu sehen, wie wenige Menschen sich angesprochen fühlen. Es ist einfach nicht mehr die Bereitschaft vorhanden, als Missionar da zu sein.

Sie sprachen eben vom Glaubensbekenntnis und den Fragezeichen. Wo stehen denn die Fragezeichen?

Dane: Sie stehen praktisch überall. Sagen Sie mir einen Satz, der im Credo unstrittig ist? Was heißt das denn, Jesus sei Gottes Sohn? Die Rede ist vom Vater, dem Sohne, dem Heiligen Geist. Da ist also von drei Männern die Rede, schon wieder haben wir da ein Problem. Sind wir nicht bis ins Mark ein Männerverein? Von wegen! Der sogenannte Heilige Geist ist in der Bibel nämlich weiblich gedacht, aber davon spricht ja keiner.

Missbrauchsskandale oder die Diskussion um das kirchliche Vermögen haben die Kirche immer wieder in ein schlechtes Licht gerückt, die Aufarbeitung war oft fragwürdig. Wie viel von der Krise ist hausgemacht?

Dane: Ich glaube, wir haben durch die Krise sehr gelernt. Wir kehren solche Probleme nicht mehr unter den Teppich. Das Flüchtlingsthema kam uns zugute wie ein Segen Gottes. Die Kirche ist durch die Begleitung der Flüchtlinge in die Mitte der Gesellschaft zurückgekehrt. Daran sehen wir, dass tatkräftiges Christentum nach wie vor anziehend ist. In unseren Gruppen, die Flüchtlinge begleiten, gibt es Leute, die seit Jahren die Kirche nicht mehr von innen gesehen haben.

Sie fordern eine gewichtigere Stellung von Frauen in der Kirche, auch in Weiheämtern. Haben Sie die Hoffnung, dass solch eine Öffnung mit Papst Franziskus möglich ist?

Dane: Ich wage da keine Zeitprognosen. In der Kirche steht eine zweitausendjährige Tradition gegen Frauen im Priesteramt. Der nächste Schritt wird aber gegangen. Frauen müssen nicht gleich Priester und Bischof werden. Das würde wohl im Moment Kirchenspaltung bedeuten.

Hoffsümmer: Der Papst würde sicher noch mehr in Richtung einer Öffnung der Ämter für Frauen drängen. Aber er hat so viele Wölfe um sich herum laufen. Wenn er sich noch deutlicher beispielsweise zum Thema wiederverheiratete Geschiedene äußert, würde ihm irgendwann der Vorwurf des Glaubensverräters, des Häretikers gemacht. Dann würde er von seinen Gegnern in der Kirche offen bekämpft. Der Papst muss also schon vorsichtig sein. Tatsache ist, dass die Kirche ohne den Einsatz der Frauen längst erheblich verdunstet wäre. Sie machen doch nahezu alles. Sie begleiten Messdiener und Kommunionkinder, auch auf die Taufe werden Menschen von Laien vorbereitet. Aber eine weitere Öffnung von Ämtern für Frauen wird noch dauern. Denn die Gegner einer Veränderung liegen auf der Lauer und werden sagen »So nicht!«.

Dane: Das Modell, gemäß dem wir damals Priester geworden sind, steht zumindest in Westeuropa heute vor dem Aus. Ein Weg für die Zukunft wäre, nach österreichischem und französischem Vorbild, Pfarreien ohne Priester von einem kleinen Laienteam führen zu lassen. Und auch hier werden es wieder Frauen sein, die den ganzen Laden zusammenhalten.

Großpfarreien seien eine „Zumutung“, schreiben Sie, die Kirchenleitungen hätten das System zusammenbrechen lassen. Doch wie soll Kirche mehr vor Ort sein, wenn ihr das Personal ausgeht?

Hoffsümmer: Vor Ort muss Kirche präsent sein, hier muss Eucharistie stattfinden.

Dane: Die Idee einer Großpfarrei finde ich gar nicht so schlimm, wenn sie wie eine Art von Minibistum die Ortsgemeinden zusammenhält. Wichtig ist, dass die Kirche im Dorf bleibt. Wenn ich mir die Kirche hier in der Region anschaue, bin ich mir sicher: Sie wird sich sehr ändern, aber sie wird nicht untergehen.

Als letzten Punkt, dem Sie in Ihrem Brief aber doch den meisten Raum geben, kritisieren Sie und die anderen Unterzeichner den Pflichtzölibat. Er sei keine Quelle in der spirituellen Seelsorge und führe zu fruchtloser Vereinsamung. Was hätten verheiratete Priester den unverheirateten voraus?

Dane: Wenn sie abends nach Hause kommen, ist da jemand. Hier ist der Raum, wo man sich auch mal aussprechen oder abschalten kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es viele junge Menschen gibt, die allein in einem Pfarrhaus leben wollen und dann auch noch für 20 Gemeinden verantwortlich sein sollen. In der Kirche wird ein System praktiziert, das nicht mehr den Erfordernissen unserer Zeit entspricht. Dass es immer noch kein Umdenken gegeben hat, zeigt, dass es uns immer noch zu gut geht. Hoffentlich gelingen unserem neuen Erzbischof mit seinen Beraterinnen und Beratern mutige Schritte in die Zukunft.

Hoffsümmer: Seit 50 Jahren wird über die Abschaffung des Zölibats diskutiert, nichts hat sich wirklich verändert. Es muss offenbar noch ärger kommen, bis doch etwas in der Kirche passiert.

Vorausgesetzt, der Zölibat würde morgen aufgehoben – wären Willi Hoffsümmer und Gerhard Dane in einem Jahr verheiratet?

(Dane lacht laut, Hoffsümmer schmunzelt.)

Hoffsümmer: Wenn man 50 Jahre allein gelebt hat, ist man wahrscheinlich nicht mehr biegsam genug, um noch einem Partner gerecht zu werden.

Dane: Die Frage ist nach 50 Jahren für mich keine mehr.

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