FlüchtlingszuwanderungKerpen steht vor einer großen Aufgabe

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Von Müll, Diebstählen und Hausierern erzählen Bewohner in Nachbarschaft des Erstaufnahmelagers in der Boelcke-Kaserne.

Von Müll, Diebstählen und Hausierern erzählen Bewohner in Nachbarschaft des Erstaufnahmelagers in der Boelcke-Kaserne.

  • Rund 100 Bürger besuchten die Bürgerinformation zu geplanten Wohncontainern an der Humboldtstraße.
  • Fragen von Seiten der Bürger: Wie ist eine gute Integration der Flüchtlinge möglich? Könnte durch die neue Wohnsituation eine Ghettosituation entstehen?

Kerpen – „Wie viele Flüchtlinge im Jahr 2016 zu uns kommen werden, wissen wir nicht, aber sie werden kommen“, sagte Bürgermeister Dieter Spürck. In der Bürgerinformation zu geplanten Wohncontainern an der Humboldtstraße rechnete der Bürgermeister die Minimal- und Maximalerwartung der Bundesregierung herrunter auf die Zahl derer, die in Kerpen als zugewiesene, dauerhafte Flüchtlinge ankommen könnten. Da geht er mindestens von 827 Menschen aus, maximal von 2493. Allein im Januar seien 50 Menschen wöchentlich nach Kerpen gekommen. Heutige Zustände in Südeuropa verglich er mit einem Dampfdrucktopf: „Der wird explodieren, dann kommen die Menschen.“

Kerpen sei gut aufgestellt

Mit dem Plan zur Verteilung der Menschen zunächst auf 1600 Wohncontainerplätze in allen Ortschaften Kerpens, dem der Kerpener Rat fraktionsübergreifend und einstimmig Sitzung zugestimmt habe, sah Spürck Kerpen auch im Vergleich zu anderen Städten gut aufgestellt. Zumal die Menschen in den „vorübergehend aufgestellten Wohncontainern“ bereits ab 2017 die Verteilung in neu zu bauende Mehrfamilienhäuser auf Grundstücken in Baulücken der Stadt erwarte.

Etwa 100 Bürger waren am Freitag zur Vorstellung des zweiten Standortes für Wohncontainern an der Humboldtstraße in die Jahnhalle gekommen, viele Stühle blieben leer. Der vorsorglichen Mahnung des Moderators Jürgen Schlicher, sich „hart in der Sache, aber mäßigend im Ton“ zu verhalten, bedurfte die anschließende friedliche verlaufende Diskussion nicht.

Sorge um Entstehung einer Ghettosituation

Vier eingeschossige Wohncontainer, mit 25 auf 15 Metern für jeweils maximal 50 Personen sollen neben dem Friedhof gebaut werden. Nicht alle waren glücklich über die Wahl. Werde nicht eine Ghettosituation geschaffen durch die fußläufige Nähe zur Erstunterkunft für Flüchtlinge in der Boelcke-Kaserne und dem Nordring, der ohnehin schon bei vielen Kerpener Bürgern den Namen „Klein-Texas“ trage, fragten Anwohner des Wohnviertels am Lörsfelder Busch. Und Sorgen um die Wohnqualität der Siedlung äußerten sie. Sie berichteten von „zunehmender Vermüllung entlang der Hauptlaufroute von der Boelcke-Kaserne zum Kaufland“, von „lauten Gesängen nach 23 Uhr“, von geklauten Laufschuhen aus dem Hauseingang, von Menschen, die über Zäune kletterten und solchen die „kleine und große Geschäfte“ in den Gärten verrichteten. Eine Frau, sagte, sie fühle sich bedrängt von Menschen, die sie beim Heimkommen geradezu abpassten, um sie anzubetteln.

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Niedriges Niveau an Straftaten

„Wir müssen Menschen aus anderen Kulturen auch Regeln vermitteln. Was tut die Stadt diesbezüglich?“, fragten die Betroffenen den Bürgermeister. In Anzeigen der Vorfälle bei der Polizei sah Spürck wenig Chancen auf Verhaltensänderung. Die Integrationsbeauftragte Annette Seiche empfahl den Anwohnern, sich mit den ehrenamtlichen Helfern in Verbindung zu setzen, um auf die zeitweilig untergebrachten Menschen in der Erstunterkunft einzuwirken.

Der Leiter der Kerpener Dienststelle Polizeiwache West, Polizeihauptkommissar Wolfgang Wiederstein, sagte, von August bis Dezember 2015 gebe es 50 polizeilich erfasste Vorgänge. Das sei „ein niedriges Niveau an Straftaten“, zumeist körperliche Bedrohung und Diebstähle zumeist untereinander in den Unterkünften, von unerlaubter Einreise ohne Papiere und Ladendiebstählen.

Integrationmöglichkeiten durch Nähe zum Ausbildungszentrum

Spürck hatte den Standort Humboldstraße für Flüchtlinge als nicht in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten, aber dennoch nah genug zum öffentlichen Leben in Kerpen empfohlen. Integrationsmöglichkeiten sah Spürck gerade für minderjährige Flüchtlinge in der Nähe zum Ausbildungszentrum der Bauindustrie, wo bereits etwa 20 junge Flüchtlinge in Deutsch unterrichtet würden. Seiche hob die ehrenamtlichen Deutschkurse von 90 Schülern der Europaschule hervor, sowie den Unterricht ehrenamtlicher Deutschlehrer, der Flüchtlingskinder befähige, in wenigen Wochen dem Unterricht in den Auffangklassen der Hauptschule zu folgen.

Auch über die Kosten äußerte sich Spürck: dieses Jahr werde die Stadt bei 10 000 Euro pro Flüchtling und Jahr vom Land noch „drauflegen“ müssen, zumal auch zusätzliche Kindergarten- und Schulplätze und Stellen für einen Sozialarbeiter für jeweils 200 Flüchtlinge geschaffen werden müssten. „Eine Investition, die sich lohnt“, sagte Spürck. Ab 2017 rechnet Spürck mit kostendeckenden Zuschüssen.

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