Schöner sterben in Wien

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Vergessen Sie Burgtheater und Prater, lassen Sie den Stephansdom links liegen. Die eigentliche Hauptattraktion Wiens ist der Zentralfriedhof. Dort sucht man sich am besten eine lauschige Bank, setzt den Kopfhörer auf und lauscht den ungeheuerlichen Geschichten von Lucy, der kleinen, rothaarigen Wienerin, die den Tod mit sich herumträgt, „wie faules Parfüm.“ Die das Gefühl liebt, das jeder Tag der letzte sein könnte. Die unsterblich werden will - und dann sterben.

Nicht nur Lucy treibt sich auf dem Wiener Zentralfriedhof herum, wo sie für ihr Lebenswerk - das große Buch der Selbstmörder - recherchiert. Auch die schöne Anna, die für Lucy als Grabrednerin jobbt, ist gerne am offenen Grab zu finden. Hier beginnt ihr Aufstieg zur „Friedhofsschönheitskönigin“ mit eigener TV-Show. Und dann gibt es da noch den philosophischen Porno-Produzenten Ludwig, dessen Vater „wie Ötzi“ in einer Gletscherspalte ruht, und Ado, Lucys Jugendfreund. Der glaubt erstens, dass Paul McCartney 1966 bei einem Autounfall gestorben ist und zweitens, dass der HI-Virus aus einem CIA-Labor stammt.

Klingt skurril? Ist es auch. Und dazu so morbide wie ein alter Grabstein, dessen Geschichte auch niemand ahnen kann. Sophie Rois liest den Text von Christine Grän mit einer Stimme, die den Hörer versinken lässt in diese Stadt der Lebenshungrigen und der Selbstmörder. Manchmal spricht sie Ungeheuerlichkeiten so angenehm teilnahmslos aus, dass man deren Wucht erst mit einiger Verzögerung verspürt. Dann wieder hat die gebürtige Oberösterreicherin den Wiener Schmäh auf der Zunge liegen - melancholisch, morbid, ein bisschen freundlich, ein bisschen boshaft. Nach diesem Hörgenuss weiß man: Nirgendwo wird so schön gestorben wie in Wien.

Heldensterben von Christine Grän, gelesen von Sophie Rois, 4 CDs, Eichborn, 19,99 Euro.

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