Pleiten und RückzügeViele Regionalliga-Clubs stehen am Abgrund

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Regionalliga

An der Schwelle vom Amateur- zum Profibereich: Regionalliga-Tabellenführer Viktoria Köln mit Torwart Philipp Kühn.

Bonn – Regionalliga - kann verdammt mitreißend sein: 3. März, Freitagabend, Flutlichtspiel, mehr als 2000 Zuschauer im Sportpark Nord, der Bonner SC schlägt Alemannia Aachen mit 4:0. Ein Fest aus Bonner Sicht.

Regionalliga - kann aber auch verdammt desillusionierend sein: Gut zwei Wochen später muss eben jene Alemannia erneut einen Insolvenzantrag stellen. Rot-Weiss Essen und Rot-Weiß Oberhausen kündigen an, den Etat für die nächste Saison signifikant zu reduzieren. Kurz zuvor hatten die Sportfreunde Siegen vermeldet, dass sie sich aus finanziellen Gründen in die Oberliga zurückziehen werden. Das alles passt zu der Nachricht, dass Mittelrheinligist VfL Alfter erneut auf den Regionalligaaufstieg verzichtet. Der Eine will nicht rein, der Andere geht freiwillig raus, wieder ein Anderer hat sich verkalkuliert. Was ist da los in der Regionalliga?

Regionalliga ist kein Erfolgsmodell

Im Sommer feiert Deutschlands vierthöchste Fußballliga ihren fünften Geburtstag. Ein Grund zum Feiern ist das nicht. Kaum jemand spricht von einem Erfolgsmodell. Es gibt kein Fernsehgeld, aber die Anforderungen an die Vereine sind hoch. Der Meister steigt nicht einmal direkt auf, sondern muss sich noch durch zwei Relegationsspiele kämpfen. Die Regionalliga ist der Flaschenhals zwischen Amateur- und Profibereich. Und nicht wenige Traditionsvereine klemmen darin fest. Sponsoren sind da nur schwer zu überzeugen.

Dirk Mazurkiewicz hat diese Erfahrung längst gemacht. "Es war eine Herkulesaufgabe, den Etat für diese Saison zusammenzukriegen", sagt der Präsident des Bonner SC . "Und es wird in der nächsten Saison eine Herkulesaufgabe sein." Dabei geht es dem BSC noch gut. In Abstiegsgefahr wird der Neuling wohl nicht mehr geraten, die Zuschauerzahlen sind signifikant gestiegen, die Gönner und Sponsoren haben ihre Zusagen eingehalten. In Aachen war das anders.

Nachdem ein Sponsor eine Rate von 140 000 Euro nicht überwiesen hatte, brach das fragile Etatgebäude zusammen. Der deutsche Vizemeister von 1969, der vor zehn Jahren noch erstklassig spielte, stellte einen Insolvenzantrag - wie schon 2012. Entscheidend war ein schmerzhafter Rückgang der Zuschauerzahlen. Dabei hatte die Alemannia die Kalkulation schon von 8500 auf 6500 gesenkt. Bis zum Saisonende wird sich jetzt wohl ein Fehlbetrag von 450 000 bis 700 000 Euro auftürmen.

Profis nicht zu finanzieren

Für BSC-Präsident Mazurkiewicz ist das wieder einmal ein Beleg, "dass Profis in dieser Liga auf Dauer nicht zu finanzieren sind. Es sei denn, man hat einen Mäzen alter Prägung wie Franz-Josef Wernze bei Viktoria Köln." Beim unter Profi-Bedingungen arbeitenden Tabellenführer Viktoria Köln , so heißt es, betrage allein der Spieleretat vier Millionen Euro. Die eine Million, die sich Alemannia Aachen seine Spieler kosten lässt, nimmt sich da beinahe sparsam aus.

Den finanziellen Löwenanteil der Viktoria trägt Wernzes Steuerberatungs-Imperium ETL. Ohne die millionenschweren Zuwendungen des gebürtigen Waldbrölers, der bei der Viktoria seit 2011 als Hauptgeldgeber fungiert, könnte sich der Verein einen mit ehemaligen Erst- und Zweitligaspielern gespickten Kader nicht ansatzweise leisten. Und das, obwohl die Rechtsrheinischen in dieser Saison 26 neue Förderer für sich gewinnen konnten, die das Sponsoring-Netzwerk auf rund 100 Unternehmen anwachsen ließen.

Doch selbst dem finanziellen Liga-Krösus geht nicht alles locker von der Hand: Die trotz des sportlichen Erfolges nur 1100 Zuschauer, die im Durchschnitt zu den Partien im Sportpark Höhenberg erscheinen, können die Heimspielkosten nicht decken. "Dies wäre erst ab 1500 Zuschauern aufwärts möglich", sagt Eric Bock, der sich seit Saisonbeginn gemeinsam mit seinem Geschäftsführerkollegen Axel Freisewinkel eigenständig um die Sponsoren-Akquise kümmert.

Die eigentlich langfristig geplante Zusammenarbeit mit Lagardère Sports (früher Sportfive) brachte der Viktoria nicht den erhofften Ertrag und wurde im Sommer 2016 nach nur anderthalb Jahren wieder aufgelöst. Der auf Profi- und weniger auf Regionalligafußball spezialisierte Sportrechtevermarkter tat sich schwer damit, passende regionale Unternehmen für die Viktoria zu finden.

Allen droht permanent die Pleite

Für viele Regionalligisten bleiben selbst Spieleretats wie der der Alemannia (eine Million Euro) ein Traum. Der Bonner SC zählt dazu. In diesen Tagen veröffentlicht der Club einen Statusbericht, der auch potenziellen Sponsoren zeigen soll, was vorhanden ist - und was fehlt. Insgesamt 780 000 Euro kostet die laufende Regionalligasaison. Größter Posten auf der Ausgabenseite: der Personalaufwand Sport mit 494 000 Euro. Laut Schmitz kostet die Mannschaft in dieser Saison 350 000 Euro.

Wie Regionalligisten wirtschaften, hat Oberhausens Präsident Hajo Sommers neulich skizziert. "Bis auf die U 23-Vertretungen und zwei oder drei andere Vereine droht allen Clubs permanent die Pleite. Man hält meist nur irgendwie den Kopf über Wasser", sagte Sommers bei "derwesten.de". In Siegen hat man nun keine Lust mehr auf diesen Tanz auf der Rasierklinge. Es wurde zunehmend schwerer, den Gesamtetat von 1,1 Millionen Euro zusammenzukriegen. "Wir mussten immer dieselben Leute ansprechen, ob sie nicht noch einmal aushelfen können", erzählt Gerhard Bettermann, der im Vorstand der Sportfreunde fürs Marketing zuständig ist.

Sponsoren sind skeptisch

"Das war denen nicht mehr zuzumuten." Also werden die Siegener in der kommenden Saison freiwillig wieder in der Oberliga auflaufen. "Alles andere wäre Selbstmord", meint Bettermann. Vor gut zehn Jahren spielten die Siegener noch in der 2. Bundesliga. Der Unternehmer Manfred Utsch finanzierte dieses Abenteuer. Als Utsch sich zurückzog, wurde deutlich, dass es in der Stadt an einer breiteren Basis fehlte. "Die 3. Liga besitzt Argumente", findet Bettermann. "Aber gegenüber der Regionalliga sind potenzielle Sponsoren skeptisch. Viele sagen dann: Wenn ihr in der 3. Liga seid, können wir nochmal reden."

Vielerorts fällt es nicht leicht, Geldgeber für die Regionalliga zu begeistern. Das hat Gründe - vor allem die Aufstiegsregelung. Die Meister der fünf Staffeln und der Zweite der Regionalliga Südwest spielen nach der eigentlichen Saison drei Aufsteiger aus. Das Werk eines Jahres kann in zwei Spielen zerbröseln, wenn etwa nur der Torjäger eine Wadenzerrung hat. Besonders hart traf es die Sportfreunde Lotte 2013. Als Westmeister trafen sie in der Relegation auf den Nordost-Meister RB Leipzig. Obwohl eigentlich chancenlos, unterlag Lotte erst in der Verlängerung des Rückspiels. Auf den Aufstieg musste der Verein noch drei Jahre warten. Claus-Dieter Wollitz, aktuell Trainer bei Energie Cottbus, rief vor einigen Wochen sogar zum Streik der Regionalligisten auf, um auf diese Problematik aufmerksam zu machen. "Die Aufstiegsregelung ist der größte Schwachsinn", sagte Wollitz im "Kicker". "Was da entschieden wurde, ist mit normalem Menschenverstand nicht vereinbar. Der Erste hat aufzusteigen."

Eine Liga tiefer darf der Erste zwar aufsteigen, will es aber oft nicht. So wie der VfL Alfter . Dass sein Verein keinen Zulassungsantrag beim Westdeutschen Fußballverband stellte, begründete Vorsitzender Uwe Emons so: "Der VfL Alfter sieht keine Möglichkeit, für den Fall des Aufstiegs die Auflagen zu erfüllen. Die Infrastruktur und die Rahmenbedingungen für Regionalligafußball sind in Alfter nicht gegeben."

Tatsächlich stellt der Verband Forderungen, die oft hohe Investitionen nötig machen, etwa die Trennung der Fangruppen in den Stadien. Da es in der Regionalliga kein Fernsehgeld mehr gibt, sind kleine Vereine damit oft überfordert. Vor der Ligenreform 2012 hatte der Deutsche Fußball-Bund immerhin noch mehr als fünf Millionen Euro an die Vereine der drei Staffeln ausgeschüttet. Mehr als ein Dutzend Clubs verzichtete seitdem auf den Aufstieg.

Hermann Korfmacher, Präsident des Westdeutschen Fußball-Verbandes, sieht all diese Probleme, sagt aber auch: "Ich habe keine Lösung." Alle fünf Regionalligameister aufsteigen lassen? "Dann wird jedes Jahr die halbe 3. Liga ausgetauscht." Zurück zur alten Regelung mit drei Regionalligen? "Dann möchte ich den Aufschrei nicht hören, wenn es 40 Absteiger gibt." Weil es aktuell keine Idee gibt, den Flaschenhals des deutschen Ligasystems irgendwie zu erweitern, bleibt Korfmacher nur, an die wirtschaftliche Vernunft zu appellieren: "Die Vereine müssen von Kaufleuten geführt werden. Insofern war der Siegener Schritt jetzt lobenswert." Immerhin sieht es so aus, als könnten die Sportfreunde und auch Aachen die Saison zu Ende spielen. (cto)

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