Tagesthema vom 21. OktoberDas Netzwerk der Terrorschüler

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Die Terrorangst hat ein Gesicht: Bekkay Harrach. (Bild: dpa)

Die Terrorangst hat ein Gesicht: Bekkay Harrach. (Bild: dpa)

Ein schlichtes Mehrfamilienhaus im Bonner Stadtteil Mehlem. In der ersten Etage stehen Kinderschuhe vor der Tür, Stimmen dringen aus der Wohnung. Der Islampredigerer Yusuf A. (Name geändert) wohnt hier. Ihm wird vorgeworfen, in Seminaren Gläubige zu radikalisieren. Mit acht weiteren Beschuldigten wird er sich vermutlich noch dieses Jahr vor dem Oberlandesgericht München verantworten müssen. Die Vorwürfe: Bildung einer kriminellen Vereinigung, Verdacht der Verbreitung volksverhetzender Schriften und Anwerbung zu einem fremden Wehrdienst. Es geht um die Anwerbung junger Gläubiger - bis hin zur Indoktrinierung, bis zum dschihadistischen Einsatz.

Die Tür geht auf. Ein junger Mann öffnet. „Nein, Yusuf A. möchte nicht mit Ihnen sprechen. Geben Sie Ihre Nummer. Er ruft an.“

Am nächsten Tag meldet sich sein Anwalt. „Yusuf A. steht für ein Interview nicht zur Verfügung.“

A. gilt als eine zentrale Figur in der Bonner Islamistenszene. Immer mehr ist die Stadt in den letzten Jahren in den Fokus der Ermittler gerückt. „Es ist heute eine der fünf oder sechs islamistischen Hochburgen in Deutschland“, heißt es in Kreisen des Verfassungsschutzes. Zwei Bonner Moscheen werden kontinuierlich überwacht. Mehrere in Bonn lebende Personen gelten als „Gefährder“. Andere sind im Ausland und drohen per Videobotschaft.

Spätestens mit Bekkay Harrach hat die Terrorangst in Deutschland ein Gesicht bekommen. Nur hatte man es sich ganz anders vorgestellt. Nicht so geschniegelt, nicht so bubihaft. Der 32-Jährige gilt als Stimme der El Kaida in Deutschland. Auch er ist in Bonn groß geworden, im Stadtteil Tannenbusch. Als „Abu Talha“, der Deutsche, verbreitet er Terrorangst mit Schlips und Kragen. Die USA ächteten ihn nun höchstoffiziell als El-Kaida-Mitglied.

Harrach soll bei A. in Bonn Seminare besucht und später dort gepredigt haben. Burkhard Freier vom Verfassungsschutz NRW hält Islamseminare für immer entscheidender in „einer Radikalisierungs-Biographie“. „Bekannte Personen, die wir haben, sind durch solche Seminare gelaufen“, sagt der stellvertretende Leiter der Behörde. Der Bonner Politikwissenschaftler Peter Wichmann, der an seiner Dissertation arbeitet und die Bonner Islamistenszene beobachtet, sagt: „A. ist eine Schlüsselfigur für die Rekrutierung islamistischer Kämpfer.“

Nach Erkenntnissen des Doktoranden hat Harrach bei einem von A. organisierten Islamseminar in einer der Bonner Moscheen gesprochen. Der Trägerverein äußert sich auf Anfrage nicht dazu. Auch Attila Selek und Adem Yilmaz, die als Mitglieder der Sauerlandgruppe in Düsseldorf vor Gericht stehen, sollen nach eigener Aussage solche Kurse in Bonn besucht haben.

A. selbst gilt als Salafist, als Vertreter eines besonders kompromisslosen Islam. Für einen Bonner Verlag hat er das Buch „Die Glaubenslehre der sunnitischen Gemeinschaft“ übersetzt, im Vorwort würdigt er den Inhalt des Werkes. Die Übersetzung ist im Internet nachzulesen. Darin heißt es: Wer behaupte, es könne neben dem Islam eine andere Religion „wie das Judentum, Christentum, usw.“ geben, sei ein „Ungläubiger“. „Er sollte aufgefordert werden zu bereuen, tut er dies nicht, muss er als ein Abtrünniger (Murtad) hingerichtet werden (...).“

Es ist schwer zu sagen, was mit einem jungen Mann passieren muss, damit er solchen Parolen zu folgen bereit ist. Mit Sicherheit passiert es in Hinterzimmern, über Mittelsmänner und Internetbotschaften. Und am Ende können die Verheißungen des Märtyrertodes stehen, erprobt in einem Terror-Camp in Afghanistan, Pakistan oder Tschetschenien.

Aus den Bergen des afghanisch-pakistanischen Grenzgebietes stammt auch der letzte Gruß der Bonner Brüder Mounir und Yassin C. Sie nennen sich heute „Abu Adam“ und „Abu Ibrahim“ und rufen als Angehörige der „Islamischen Bewegung Usbekistans“ Muslime in Deutschland zur Gewalt auf. Die Männer mit marokkanischen Wurzeln, 27 und 24 Jahre alt, sind im bürgerlichen Bonner Stadtteil Kessenich groß geworden. Sie spielten Fußball bei Fortuna Bonn und Oedekoven. Sie galten als freundlich, hilfsbereit, nette junge Männer eben, bestens integriert. Mounir besuchte das Beethoven-Gymnasium, arbeitete für das Statistische Bundesamt und leistete wie sein Bruder Wehrdienst.

„Das waren ganz normale Jungs“, erinnert sich ein Freund von früher. „Ganz verlässlich, man konnte mit ihnen Spaß haben.“ Vor drei bis vier Jahren habe man sie jedoch nicht mehr so oft gesehen. „Dann waren sie in sich gekehrt, trugen plötzlich Kopftücher und grüßten nicht mehr. Ich habe gar nicht verstanden, was da passiert ist.“ 2008 sollen sie Bonn Richtung Hindukusch verlassen haben.

„Kommt und sterbet den Tod der Ehre“, fordert Mounir in einem Videoband.

Warum Bonn? 30 000 Muslime leben in der Stadt, das sind rund zehn Prozent der Bevölkerung, aber keine Zahl, aus der sich islamistische Tendenzen ableiten ließen. 2003 rückte die König-Fahd-Akademie in den Blickpunkt, weil dort extremistisches Gedankengut verbreitet wurde. Die Verfassungsschützer registrierten Zuzüge etwa aus Ulm, von Eltern, die ihre Kinder „wahrhaft“ unterrichten lassen wollten. „Bonn war immer schon eins der Zentren für die Ansiedlung von Islamisten“, sagt ein ehemaliger Verfassungsschützer. Teils durch die internationale Ausrichtung, die Botschaften, noch heute pilgern viele Araber in die Gesundheitszentren.

Auch Guido Steinberg, der bis 2005 im Referat für internationalen Terrorismus im Kanzleramt gearbeitet hat, hält Bonn für eins der islamistischen Zentren, in dem junge Dschihadisten herangezogen werden. „Zum Teil sind das sehr begabte und erfolgreiche Leute, die seit langem in Deutschland leben“, sagte er der „Zeit“. Daneben gebe es aber so etwas wie ein „islamistisches Lumpenproletariat“. In den internationalen Terrornetzen dürfte sich für jeden eine Aufgabe finden.

Monuir und Yassin C. haben in Bonn auch Kontakt mit Bekkay Harrach gehabt. Der Deutsch-Marokkaner Harrach hat in Tannenbusch den Call-Shop „Casablanca“ betrieben, direkt an der U-Bahn gelegen. Man kennt seinen Namen noch im Bonner Norden. Hier nahe der Bahntrasse, im Schatten der schlichten Hochhausfassaden, soll er Räume angemietet haben, um junge Islamisten zu „unterrichten“. Er sei einen Audi-Coupé gefahren, erzählt einer, und dass er ständig mit Autoteilen gehandelt habe. In Beuel habe er auf einem Schrottplatz gearbeitet, heißt es. Noch 2006 rief er namentlich zu einer Demonstration gegen die Mohammed-Karikaturen in Bonn auf. Viele Worte wollen die meisten Leute in Tannenbusch nicht mehr über Harrach verlieren. Die Wohnungsbaugenossenschaft hat einen Sicherheitsdienst bestellt. „Hier ist genug Stress“, sagt einer der Angestellten.

Auch im Umfeld der Al-Muhajirin-Moschee haben Harrach und die Kessenicher Brüder verkehrt. Die Moschee im Bonner Zentrum ist in einem schlichten Wohnhaus mit Klinkerfassade untergebracht. Im Inneren weist ein Plakat auf die muslimischen Gebetsgepflogenheiten hin, gegenüber ein Andachtsraum „nur für Frauen“. Nach dem Mittagsgebet ziehen die Männer ihre Schuhe an.

„Es wird nicht überprüft, wer unsere Moschee besucht“, sagt Jürgen Baasem Kannich, Rechtsanwalt des Moscheevereins. „Es gibt keine Einlasskontrollen.“ Möglicherweise sei Harrach mal in der Moschee gewesen, „ich kann da nichts zu sagen“. Wer Vorträge hält, werde dagegen genau untersucht. Der Verein plant derzeit einen Neubau für die Al-Muhajirin-Moschee. Der Stadtrat hat in seiner jüngsten Sitzung grundsätzlich grünes Licht für das 2,5 Millionen Euro teure Projekt gegeben. Allerdings wurde die Zusage, dem Verein ein Grundstück in Tannenbusch zu verkaufen, mit der Forderung nach Transparenz verbunden. Und: Die Moschee müsse vor allem als Gebetshaus genutzt werden. Seminarräume sollen nicht erlaubt sein. Kannich weist darauf hin, dass der Rat der Muslime Bonn nach den Videobotschaften eine Erklärung veröffentlich hat, in der man sich gegen jegliche Gewalt im Namen des Islam wendet.

Von rund „150 Gefährdern“ gehen die Ermittler bundesweit aus. Sie alle bewegen sich in einem Netzwerk wie die vier oder fünf Personen, die derzeit in Bonn vermutet werden. Wie in jedem Netzwerk tauschen sich die Mitglieder aus, auch ganz praktische Dinge. Die Zwei-Zimmer-Wohnung, in der Bekkay Harrach etwa zuletzt in Mehlem lebte, soll er nach Berichten weitergegeben haben an Burhan M. (Name geändert). Der junge Mann war wie ein weiterer Terrorverdächtiger im Herbst des vergangenen Jahres auf dem Köln / Bonner Flughafen aus einer startbereiten Maschine der KLM geholt worden.

Seine Hilfsbereitschaft hat Harrach nun auch öffentlich dokumentiert. In einem seiner Videos sagt er: Wenn er etwas beitragen könne, damit die „Ungläubigen“ die Muslime in Ruhe lassen, „dann darf ich nicht zögern“. Und ob es ein größeres Bekenntnis gebe als zu sagen: „Oh, Allah, ich liebe dich, und bin bereit für dich zu sterben.“

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