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Debatte um SelbstbestimmungsrechtKommt jetzt der große Wurf für die Gleichberechtigung?

Lesezeit 4 Minuten
Die Regenbogenfahne weht anlässlich des Berliner Christopher Street Day (CSD) erstmals auf dem Reichstagsgebäude.

Im Zeichen der Gleichberechtigung: Die Bundesregierung will die Selbstbestimmung von Trans-, Inter- und nichtbinären Menschen stärken.

Mit dem neuen Selbstbestimmungsrecht will die Bundesregierung die Rechte queerer Menschen stärken. Einige Punkte sorgen dabei für Diskussionen – der Zeitplan ist trotz klarer Pläne noch ungewiss.

In der Bundesregierung existiert erstmals ein sogenannter Beauftragter für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt – und Sven Lehmann (Grüne) hat große Pläne: Im November stellte er den Aktionsplan „Queer leben“ vor. Bringt das die Gleichberechtigung voran?

In den angekündigten Plan inkludiert sind zahlreiche Gesetze aus den Feldern der rechtlichen Anerkennung, Teilhabe, Sicherheit und Gesundheit, die es für queere Menschen zu optimieren gelte. Eines dieser Gesetze aus dem Pool der überholungsbedürftigen Richtlinien sei das 1980 verabschiedete Transsexuellengesetz. 2012 führte Argentinien ein Vorgehen ein, den Geschlechtseintrag per Selbstauskunft ändern zu können, in den folgenden Jahren zogen weitere elf Länder nach, darunter Luxemburg, Belgien und Norwegen. „Selber über sich und seine Identität zu bestimmen, ist eine existenzielle Persönlichkeitsfrage, das ureigenste Recht eines jeden Menschen. Trans-, Inter- und nichtbinären Menschen wird dieses Recht bislang verweigert“, betont der Queer-Beauftragte Lehmann. An einer Reform für mehr Selbstbestimmung von Trans-, Inter- und nichtbinären Menschen in Bezug auf die eigene Identität arbeiten Justiz- und Familienministerium aktuell gemeinsam.

Was gilt als veraltet am jetzigen Transsexuellengesetz?

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat die Notwendigkeit zur Schaffung des Selbstbestimmungsgesetzes wie folgt begründet: „Nicht alle Menschen identifizieren sich mit dem Geschlecht, das beim Standesamt für sie eingetragen ist. Das ist Teil der Vielfalt des Lebens. Das geltende Recht behandelt die betreffenden Personen wie Kranke. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Die Schaffung eines neuen Selbstbestimmungsgesetzes ist deshalb überfällig.“

Lehmann ist wichtig, mit einem neuen Gesetzentwurf voranzukommen: „Bereits sechsmal seit Inkrafttreten des Gesetzes 1981 hat das Bundesverfassungsgericht einzelne Vorschriften für verfassungswidrig erklärt“, berichtet er. Noch bis 2008 mussten Transmenschen sich scheiden lassen, damit ihr falscher Geschlechtseintrag korrigiert werden konnte. Bis 2011 wurden sie dazu gezwungen, sich sterilisieren zu lassen und geschlechtsangleichenden Operationen zu unterziehen. Und bis heute brauche es für eine amtliche Namens- und Geschlechtsänderung ein Gerichtsverfahren und zwei medizinische Gutachten – in Fachkreisen umstritten, da das psychiatrische Gutachten Transgeschlechtlichkeit als eine Krankheit konnotiere, so Lehmann. Für das Gutachten müssen die Menschen oftmals intime Fragen zum Masturbationsverhalten und zur Vorliebe von Unterwäsche beantworten, sagt der Queer-Beauftragte. Das langwierige Verfahren müssen die Menschen außerdem selber bezahlen – erst dann wird gerichtlich entschieden, ob der Wechsel der Geschlechtsidentität vollzogen werden darf. „Das ist jedes Mal ein Spießrutenlauf“, betont Lehmann.

Welche Änderungen soll es mit dem neuen Gesetz geben?

Ebenjener Spießrutenlauf aus Gutachten, Anhörungen und Gerichtsverfahren werde durch die Selbstauskunft beim Standesamt abgekürzt: „Das Selbstbestimmungsgesetz würde nichtbinäre, Inter- und Transmenschen endlich als gleichberechtigte Bürger behandeln, ihre Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Achtung der Privatsphäre und Schutz vor Diskriminierung staatlich anerkennen“, so der Queer-Beauftragte Lehmann. Eike Hosemann, Sprecher des Justizministeriums, sagt: „Das Selbstbestimmungsgesetz betrifft die Angabe des Geschlechts im Personenstandsregister: Das ist ein staatliches Register, das bei den Standesämtern geführt wird.“ Letztlich also ein bloßer Verwaltungsakt, der juristisch festgehalten werden muss. Schon jetzt sei ebenjener Wechsel möglich, aber doch mit zu vielen Hürden verbunden, die wegfallen sollen: „Künftig wird die Änderung des Geschlechtseintrags keine gerichtliche Entscheidung mehr voraussetzen. Und auch eine Begutachtung wird nicht erforderlich sein.“

Auch das sogenannte Offenbarungsverbot wird überholt. Schon jetzt gibt es einen Paragrafen, der regelt, dass frühere Vermerke zu einer Namens- oder Geschlechtsänderung bei Transpersonen nicht offenbart oder ausgeforscht werden dürfen. „Das dient dem Schutz von Privatheit“, erklärt Hosemann. Mit Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes soll an diese Überlegung angeknüpft werden, so Hosemann. „Es soll verhindert werden, dass transgeschlechtliche, aber auch intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen gegen ihren Willen zwangsgeoutet werden.“ Besonders in den sozialen Netzwerken wird hinter diesem Paragrafen eine Art der Sprachkontrolle vermutet; letztlich verbirgt sich dahinter die private Entscheidung von Transmenschen, sich zu outen, wann sie es für richtig halten, zu respektieren.

Werden geschlechtsangleichende Maßnahmen auch neu geregelt?

Nein, das Gesetz berührt solche Regelungen nicht. Es geht einzig und allein um den Vermerk beim Amt, das Geschlecht und den Namen kurzfristiger und leichter bearbeiten zu können.

Und welche Folgen sind für den Sport zu erwarten?

Ein weiterer Vorwurf gegenüber dem Selbstbestimmungsgesetz: Transmenschen könnten für ein unausgeglichenes Kräfteverhältnis im Sport sorgen. Das weisen Justiz- und Familienministerium von sich: „Über die Zulassung zu sportlichen Wettbewerben entscheiden die Sportverbände in eigener Zuständigkeit. Das ändert sich nicht durch das Selbstbestimmungsgesetz“, erklärt eine Sprecherin des Familienministeriums.

Wann könnte das neue Gesetz verabschiedet werden?

Bisher ist von beiden Seiten der Ministerien die Rede davon, dass Fachfragen noch geklärt werden müssten. Welche genau das sind, bleibt offen. Aber es werde „mit Hochdruck an der Fertigstellung des Entwurfs für das Selbstbestimmungsgesetz gearbeitet. Die Arbeiten sind weit vorangeschritten, aber noch nicht abgeschlossen“, so Hosemann. Dass die Debatte um Schutzräume jedoch ein Hindernis für den Gesetzesbeschluss bedeuten könnten, war schon oft in der Diskussion. Und dennoch lohnt sich jeder Aufwand, wenn es nach dem Queer-Beauftragten geht.