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Rundschau-Debatte des TagesIst das deutsche Bildungssystem in der Krise?

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Viele Grundschullehrer fühlen sich einer Erhebung zufolge überlastet und vermissen Wertschätzung.

Viele Grundschullehrer fühlen sich einer Erhebung zufolge überlastet und vermissen Wertschätzung.

Die OECD bemängelt die wachsende Bildungskluft in Deutschland. Die Organisation kritisiert zudem weniger Berufsabschlüsse. Grundschullehrer beklagen indessen fehlende Wertschätzung.

Der Anteil junger Erwachsener mit einer klassischen Berufsausbildung in der Tasche ist einer OECD-Studie zufolge in Deutschland stark zurückgegangen. Im vergangenen Jahr konnten 38 Prozent der 25- bis 34-Jährigen einen Berufsabschluss vorweisen, 2015 waren es noch 51 Prozent dieser Altersgruppe, wie aus dem am Dienstag veröffentlichten jährlichen Ländervergleich „Bildung auf einen Blick“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervorgeht. Der Rückgang im Bereich Berufsbildung in Deutschland sei der größte in allen OECD-Ländern, hieß es.

In der jährlichen Studie werden die Bildungssysteme der 38 Mitgliedstaaten der OECD und weiterer Partnerländer miteinander verglichen. Analysiert wird auch etwa, wie viel Geld die Länder für Bildung ausgeben oder wie der Betreuungsschlüssel in Bildungseinrichtungen aussieht.

Zwei Entwicklungen identifiziert

Auf der einen Seite streben mehr junge Menschen höhere Abschlüsse wie ein Studium an. 2015 hatten noch 30 Prozent der 25- bis 34-Jährigen einen Hochschul- oder ähnlichen Abschluss in der Tasche. 2022 waren es bereits 37,5 Prozent. Zugleich erhöhte sich am anderen Ende der Anteil derjenigen, die maximal einen mittleren Schulabschluss ohne weitere Qualifikation wie eine Berufsausbildung hatten, von 13 auf 16 Prozent. Im Bericht ist die Rede von einer zunehmenden „Bildungspolarisierung“.

Reaktionen und Forderungen

Der Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Jens Brandenburg (FDP), zeigte sich besorgt. „16 Prozent – das sind fast 1,7 Millionen junge Erwachsene, die nicht als dringend benötigte Fachkräfte zur Verfügung stehen“, sagte er bei einer Online-Pressekonferenz. Diese jungen Menschen hätten weniger Chancen auf gute Beschäftigung und ausreichendes Einkommen.

Die berufliche Ausbildung müsse attraktiver und zugänglicher werden, forderte der Generalsekretär der OECD, Mathias Cormann, in einem Vorwort zur Studie. Die Leiterin des „OECD Berlin Centre“, Nicola Brandt, appellierte zudem an die Politik, bereits „in den jüngsten Jahren“ mit der Förderung anzusetzen, um zu verhindern, dass junge Leute zurückfielen und am Ende ohne eine guten Abschluss dastünden. Sie sprach von einem besonderen Druck, dem das deutsche Bildungssystem ausgesetzt sei und nannte „mehr Migration“ als in anderen Ländern und auch den Lehrkräftemangel.

Positive und negative Befunde

Deutschland gibt demnach im Jahr im Schnitt kaufkraftbereinigt 14700 Euro pro Bildungsteilnehmer von der Grundschule bis zum Studium aus. Im OECD-Schnitt sind es 11800 Euro. Kritisch merkt die Studie dennoch an, dass Deutschland im Verhältnis zu seinem Bruttoinlandsprodukt weniger Geld in Bildung investiert als der OECD-Durchschnitt: 4,6 Prozent im Vergleich zu 5,1 Prozent. Das Lehrkraft-Schüler-Verhältnis ist vergleichsweise gut: Über alle Bildungseinrichtungen von der Grundschule bis hin zur Uni hinweg liegt es in Deutschland bei 1 zu 13, im OECD-Schnitt bei 1 zu 15. Lehrkräfte verdienen in Deutschland vergleichsweise sehr gut: Mit 15 Jahren Berufserfahrung sind es dem Bericht zufolge kaufkraftbereinigt je nach Schultyp etwa 80000 bis 90000 Euro pro Jahr. Nur in Luxemburg wird mehr gezahlt. Im OECD-Schnitt liegt die Spanne zwischen 47000 und 50000 Euro.

Überlastet und wenig wertgeschätzt

Viele Grundschullehrer fühlen sich unterdessen überlastet und vermissen Wertschätzung. Das geht aus den Angaben der 252 Deutschlehrkräfte hervor, die die rund 4600 Grundschulkinder unterrichtet hatten, deren Lesekompetenzen in der internationalen Iglu-Studie untersucht worden waren. Demnach gaben 45 Prozent der bundesweit Befragten an, sie fühlten sich überlastet und oft erschöpft in der Schule. Wie die vom Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Uni Dortmund veröffentlichte Analyse ergab, nahmen 38 Prozent einen Mangel an Wertschätzung wahr. Dennoch sagten 71 Prozent der Lehrkräfte, dass sie ihre Arbeit für wichtig halten. (dpa)


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Leserbriefe, Postfach 102145, 50461 Köln


Die OECD

In der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben sich 38 Industrie- und höher entwickelte Länder zusammengeschlossen. Die Organisation erstellt regelmäßig Analysen und Studien wie etwa auch die Pisa-Studie und gibt Politikempfehlungen ab. Die Mitgliedsstaaten fühlen sich nach Angaben der Organisation der Marktwirtschaft und Demokratie verpflichtet. (dpa)


Standpunkt

Lehrergewerkschaften fordern nicht erst seit heute die Ausweitung der Lernmittelfreiheit. Die Wohlfahrtsverbände in NRW haben das Thema ebenfalls seit Langem auf dem Schirm. Die Diözesan-Caritasverband in Köln dringt zum Beispiel darauf, Laptops und vergleichbare digitale Endgeräte grundsätzlich als Lernmittel anzuerkennen. Caritasdirektor Dr. Frank Johannes Hensel sagt mit Blick auf die Kosten: „Wir entfernen uns immer weiter von einer so wichtigen und notwendigen Chancen- und Bildungsgerechtigkeit.“ (kf)


NRW-SPD dringt auf eine „echte“ Lernmittelfreiheit

In Nordrhein-Westfalen gilt die so genannte Lernmittelfreiheit. Sie federt zum Beispiel die Kosten für Schulbücher bis auf einen relativ geringen Eigenanteil ab. Viele Eltern schulpflichtiger Kinder dürften aber von dieser Lernmittelfreiheit wenig spüren. Jetzt vor den Herbstferien, wenn die ersten Hefte voll, die ersten Stifte wieder leer sind und das neue Geodreieck schon verloren ging, müssen manche Familien wieder in die eigene Kasse greifen.

Schulexpertin Dilek Engin und ihre SPD-Landtagsfraktion haben eingekauft, was Schülerinnen und Schüler gemäß den Vorschriften ihrer Schulen für ein Jahr benötigen. Unterm Strich stehen demnach bei einem Grundschulkind rund 424 Euro, Schulkinder an weiterführenden Schulen seien mit etwa 485 Euro dabei, so die Abgeordnete. „Nicht nur arme Familien, sondern auch viele aus dem Mittelstand wissen kaum noch, wie sie das finanziell stemmen können“, sagte sie. Die Landtagsfraktion fordert daher eine „echte“ Lernmittelfreiheit für alle, und auf dem Weg dorthin solle die schwarz-grüne Landesregierung erst einmal feststellen, wie viel Geld der Schulbesuch eines Kindes in NRW tatsächlich im Jahr kostet. Die Landeselternkonferenz (LEK) umriss die Kosten für Schulutensilien und vor ein paar Wochen nur grob, aber mit einem durchaus beeindruckenden Vergleich: Von Elternverbänden durchgeführte Umfragen hätten ergeben, dass die Familien in manchen Schuljahren pro Kind ein durchschnittliches Monatseinkommen ausgeben müssten. (kf)