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Rundschau-Debatte des TagesWarum bekriegen sich Indien und Pakistan?

Lesezeit 4 Minuten
akistan, Muridke: Ein Medienvertreter geht durch die Trümmer einer Moschee, die durch einen indischen Raketenangriff beschädigt wurde, in Muridke, einer Stadt in der pakistanischen Provinz Punjab.

akistan, Muridke: Ein Medienvertreter geht durch die Trümmer einer Moschee, die durch einen indischen Raketenangriff beschädigt wurde, in Muridke, einer Stadt in der pakistanischen Provinz Punjab.

Dutzende Menschen in Pakistan sterben bei indischen Militärschlägen. Als Auslöser gilt ein Attentat auf Touristen. Der Grund für die Feindseligkeiten liegt aber viel tiefer. Von Deeskalation ist in dem gefährlichen Konflikt zweier Atommächte derzeit keine Spur.

Die Region Kaschmir im westlichen Himalaya ist seit Jahrzehnten zentrales Streitthema zwischen den Atommächten Indien und Pakistan. Die jüngsten indischen Angriffe auf Ziele in Pakistan und im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs gelten als Reaktion auf einen Terroranschlag in der Unruheregion am 22. April. Dabei wurden nahe der Stadt Pahalgam 26 Menschen – vorwiegend indische Touristen – getötet. Die Regierung in Neu-Delhi wirft Pakistan eine Beteiligung vor, Islamabad weist das zurück. Der Territorialkonflikt reicht jedoch viel weiter in die Geschichte zurück.

Warum der Konflikt so gefährlich ist

Kaschmir ist von drei Atommächten umgeben, in der Region sind militante Gruppierungen aktiv. Pakistan hat nach den Luftangriffen Indiens in der Nacht zum Mittwoch mit Vergeltung gedroht. Das nährt die Befürchtung, dass die Lage außer Kontrolle geraten könnte – mit unabsehbaren Folgen. Auch China, das eine umstrittene Grenze mit Indien im Osten Kaschmirs teilt, könnte in den Konflikt hineingezogen werden.

Die Hintergründe des Konflikts

Die Ursprünge reichen bis in die Kolonialzeit zurück. 1947 entließen die Briten den indischen Subkontinent in die Unabhängigkeit. Neben dem überwiegend hinduistischen Indien entstand der neue Staat Pakistan mit hauptsächlich muslimischer Bevölkerung. Bis zu 15 Millionen Menschen wurden vertrieben oder mussten flüchten. Die Teilung nährt bis heute eine erbitterte Rivalität. Seit ihrer Unabhängigkeit führten beide Länder drei Kriege gegeneinander, zwei davon um Kaschmir. Mit seinen Bergseen und Gipfeln ist es ein beliebtes Touristenziel.

Was in den letzten Wochen geschah

Indien hat den Vertrag ausgesetzt, der für beide Seiten die Wassernutzung des Indus und seiner Nebenflüsse regelt. Als Reaktion darauf erklärte Pakistan, man behalte sich vor, ein Abkommen von 1972 für ungültig zu erklären, das eine wichtige Basis für Verhandlungen zwischen beiden Staaten darstellt. Dies wird als extrem gefährlich gesehen. Die Regierungen in Neu-Delhi und Islamabad stehen zudem innenpolitisch stark unter Druck, auf Feindseligkeiten der anderen Seite mit aller Härte zu reagieren.

Wie hoch die Gefahr eines Atomkriegs ist

Mit seiner „No first use“-Doktrin verpflichtet sich Indien zwar, auf einen Ersteinsatz nuklearer Waffen zu verzichten. Erstschläge gegen das eigene Land will Neu-Delhi jedoch mit einem vernichtenden nuklearen Gegenschlag beantworten. Pakistan behält sich hingegen auch den Ersteinsatz von Atomwaffen vor – sofern seine Existenz unmittelbar bedroht ist. Die „Full Spectrum Deterrence“-Doktrin dient vor allem als Abschreckung. Das Friedensforschungsinstitut Sipri schätzt, dass Indien über 172 Atomsprengköpfe verfügt, Pakistan über 170.

Der geschichtliche Hintergrund

Die britische Kolonialmacht verkaufte Kaschmir 1846 trotz mehrheitlich muslimischer Bevölkerung an den Hindu-Herrscher Gulab Singh. Als die Briten 1947 den Subkontinent verließen und die Landesfürsten erklärten mussten, ob sie dem islamischen Pakistan oder dem hinduistischen Indien beitreten wollten, sprach sich der Hindu-Maharadscha für Indien aus. Mehrere Aufstände der Bevölkerung konnten durch den von den Vereinten Nationen vermittelten Waffenstillstand 1949 beendet werden. Schon 1948 hatte der UN-Sicherheitsrat beschlossen, die endgültige Entscheidung über die staatliche Zugehörigkeit Kaschmirs durch eine Volksbefragung zu ermitteln. Das ist bis heute nicht passiert.

Wer Kaschmir kontrolliert

Die 222.236 Quadratkilometer große Region mit ihren rund 20 Millionen Bewohnern ist zerstückelt und eingezwängt in ein Machtdreieck der Atommächte Pakistan, Indien und China. Seit 1949 ist der größte Teil Kaschmirs Indien unterstellt, etwa ein Drittel wird von Pakistan verwaltet. Ein kleinerer Teil im Osten steht unter Chinas Kontrolle. Eine Waffenstillstandslinie markiert den faktischen Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan. Rebellengruppen kämpfen im indischen Teil Kaschmirs für eine Unabhängigkeit vom mehrheitlich hinduistischen Indien – oder für einen Zusammenschluss mit Pakistan. Indien beschuldigt Pakistan, diese Gruppierungen zu unterstützen, was Pakistan zurückweist.

Was 2019 in Kaschmir passierte

Bei dem schwersten Angriff auf indische Sicherheitskräfte seit 30 Jahren wurden damals im Februar 40 Menschen getötet. Indien machte Pakistan für den Anschlag verantwortlich und griff nach eigenen Angaben ein Terrorcamp einer islamistischen Organisation an. Pakistan erklärte, zwei indische Militärflugzeuge abgeschossen zu haben. Ein indischer Pilot wurde gefangen genommen, später aber wieder freigelassen. Die Lage beruhigte sich zunächst weitgehend.

Die Spannungen flackerten jedoch wieder auf, nachdem Indien im August dem von ihm kontrollierten Teil Kaschmirs die Teilautonomie entzogen und das Gebiet aufgeteilt hatte. Zwei Unionsterritorien – Jammu und Kaschmir sowie Ladakh – entstanden, die stärker unter die Kontrolle der Zentralregierung in Neu-Delhi gestellt wurden. Pakistan bezeichnete die Aufhebung der Teilautonomie als illegal. Es kam vermehrt zu Gefechten entlang der Kontrolllinie. Tausende zusätzliche indische Soldaten wurden ins Kaschmir-Tal geschickt, um Proteste zu verhindern. 2021 einigten sich die Staaten darauf, alle Kampfhandlungen einzustellen. Die verstärkte Militarisierung des indischen Teils von Kaschmir wird jedoch von Menschenrechtlern kritisiert. Sie werfen Indien zudem vor, die Region mit Repressionen kontrollieren zu wollen.

Welche Rolle andere Länder spielen

Wie weit einflussreiche Mächte wie die USA oder China auf Indien und Pakistan einwirken können, um einen bewaffneten Konflikt zu verhindern, gilt als unklar. Indien ist ein wichtiger Verteidigungspartner der USA, während Washington Pakistan zu seinen Nicht-Nato-Verbündeten zählt. In der Vergangenheit hätten internationale Akteure eine wichtige Rolle gespielt, um Krisen in Südasien zu entschärfen, schreibt „Foreign Affairs“. Doch gegenwärtig sei die Welt müde, was die Streitereien betreffe. „Der Rückzug der Nato-Truppen aus Afghanistan hat das Interesse der USA an Pakistan verringert.“ (dpa)