DemenzVorsorge gegen Alzheimer ist möglich

Bundesweit sind etwa 1,4 Millionen Menschen an Demenz erkrankt.
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Berlin – Rainer Knöfel erinnert sich noch gut an den Tag, an dem er merkte, dass in seinem „Kopf etwas nicht in Ordnung ist“: „Ich wollte meine Steuererklärung machen und bin damit einfach nicht mehr zurechtgekommen“, sagt der 75-Jährige. Immer wieder habe er von vorn anfangen müssen, doch die Zahlen passten einfach nicht mehr zusammen. Was dem Pensionär all die Jahre so leichtgefallen war, ging auf einmal nicht mehr. Auf alltäglichen Wegen verlor der Berliner immer öfter die Orientierung, und die Namen seiner vier Enkel hält er nur mit Hilfe seiner Frau Bärbel auseinander. „Ich kann mir einfach nichts mehr merken“, bedauert der ehemalige Beamte.
Dass er unter Demenz leiden könnte, habe er früh geahnt. Die Diagnose Alzheimer - die häufigste Form der Krankheit - sei vor zwei Jahren daher nicht überraschend gekommen.
Rainer Knöfel ist kein Einzelfall: Bundesweit sind laut Deutscher Alzheimergesellschaft (DALZG) etwa 1,4 Millionen Menschen an Demenz erkrankt, zwei Drittel davon an Alzheimer. Und weil es immer mehr alte Menschen gibt, steigt die Zahl der Patienten des oft altersbedingten Leidens: „Wenn es keinen Durchbruch bei der Therapie gibt, könnte es 2050 etwa drei Millionen Demenzkranke geben“, sagt DALZG-Sprecher Hans-Jürgen Freter.
Die DALZG und andere Organisationen wollen am Welt-Alzheimertag am 21. September auf das globale Problem aufmerksam machen. Forscher suchen seit Jahrzehnten nach einer Therapie. Vor etwa zehn Jahren schien eine Lösung zum Greifen nah. Damals setzten Forscher ihre Hoffnungen in einen Impfstoff gegen das Eiweiß beta-Amyloid, das im Gehirn der Patienten abgelagert wird. Doch trotz erfolgreicher Versuche in der Grundlagenforschung hätten die Studien an Menschen nur ernüchternde Ergebnisse gebracht, sagt Professor Thomas Klockgether vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn.
Die Idee:
Wie Alzheimer genau entsteht, weiß bislang niemand. Sicher ist, dass im Gehirn von Alzheimer-Patienten sogenannte senile Plaques entstehen - Verklumpungen von Beta-Amyloid-Eiweißen - sowie Ablagerungen des Tau-Proteins. Noch ist ungeklärt, ob diese Verklumpungen Ursache oder Folge der Krankheit sind. Falls sie sich aber im Hirn wie eine Infektion ausbreiten, könnte es Mechanismen geben, diese Ausbreitung zu verhindern. Sollte Alzheimer gar von Mensch zu Mensch ansteckend sein, wären wohl umfangreiche Schutzmaßnahmen nötig - diese Theorie ist aber alles andere als bewiesen.
Aktuelle Ansätze:
Schon im Jahr 2000 berichtete ein Team um den US-Forscher Larry Walker, dass sich Alzheimer bei Mäusen auslösen lässt, wenn man ihnen Hirngewebe von Demenz-Patienten ins Gehirn injiziert. 2006 konnte der Tübinger Hirnforscher Matthias Jucker das in Versuchen bestätigen: Spritzte er Mäusen, die das menschliche Beta-Amyloid-Gen besitzen, erkranktes Hirngewebe, entwickelten diese die typischen Alzheimer-Plaques.
Stanley Prusiner von der University of California zeigte kürzlich im Tierversuch, dass auch die Injektion von künstlich hergestelltem Beta-Amyloid schädlich sein kann: 300 Tage nach dem Eingriff hatten sich die Verklumpungen im ganzen Gehirn der Tiere ausgebreitet. Ob sie dadurch kognitiv beeinträchtigt sind, ist unklar.
Ist Demenz also ansteckend? Einen echten Nachweis dafür liefern die Studien nicht. "Auf Basis der bisherigen Forschungsergebnisse kann nicht behauptet werden, dass es sich bei Alzheimer um eine Infektionskrankheit handelt", sagt Dr. Mai Panchal von der Alzheimer Forschung Initiative. Sollte der Nachweis irgendwann gelingen, wäre das wohl eine Schreckensmeldung - aber auch eine Chance, um neue Therapien zu entwickeln.
Die Idee:
Die Hoffnung vieler Alzheimer-Forscher ruht momentan auf der Idee einer Impfung, die schon den Ausbruch der ersten Ablagerungen im Gehirn verhindert. Bei der aktiven Immunisierung bekommt der Patient einmal ein Mittel gespritzt und bildet fortan selbst die Antikörper. Bei der passiven werden ihm im Labor hergestellte Antikörper gespritzt, die sein Körper regelmäßig wieder abbaut - weshalb der Stoff monatlich gegeben werden muss.
Aktuelle Ansätze:
Schwedische Forscher am Stockholmer Karolinska-Institut haben den aktiven Alzheimer-Impfstoff CAD106 über drei Jahre an Alzheimer-Patienten getestet. Ihre Ergebnisse, die im Juni im Fachmagazin "The Lancet Neurology" veröffentlicht wurden, lassen zarte Hoffnungen keimen: So löste der Impfstoff bei Patienten mit leichter oder mittelschwerer Demenz eine Antikörperreaktion gegen Beta-Amyloid aus - jenen Proteinen also, die sich bei Alzheimer-Kranken als Plaque in Gehirn und Blutgefäßen ablagern. Nicht bekannt ist jedoch, ob der Anstieg der Antikörper die Plaques tatsächlich verschwinden lässt. Genau das wird derzeit weltweit in vier Folgestudien überprüft.
Auch an einer passiven Immunisierung wird gearbeitet. Wie das Fachjournal "Nature" im Mai berichtete, gelang es Forschern aus Halle, Mäuse gegen ein bestimmtes Beta-Amyloid zu schützen. Der Impfstoff erkennt die giftigen Stoffe im Gehirn der Tiere und baut sie ab. Ob er auch beim Menschen wirkt, soll jetzt erprobt werden.
Gerade angelaufen sind auch die sogenannten DIAN-Studien mit Menschen, die aus Familien stammen, in denen eine seltene, mit Alzheimer verbundene Genmutation auftritt. Ob sich bei ihnen durch eine frühe prophylaktische Impfung der Ausbruch der Krankheit verhindern lässt, ist eine der spannendsten Fragen der Forschung.
Die Idee:
Wer an Krebs erkrankt, scheint ein geringeres Risiko für ein Alzheimer zu haben - und umgekehrt. Den molekularen Link zwischen Alzheimer und Krebs hat der Göttinger Forscher Thomas Bayer schon 2010 gefunden. Dieses Verbindungsstück ist das "Amyloid-Vorläufer-Protein (APP)". Bei Krebs fördert die zellschützende Funktion von APP das Wachstum von Tumoren. Bei Alzheimer fehlt dagegen die zellschützende Funktion von APP.
Aktuelle Ansätze:Forscher aus Boston (USA) haben kürzlich im Rahmen einer Langzeitstudie eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht: Sie fanden heraus, dass Überlebende eines Krebsleidens gut 30 Prozent seltener an Alzheimer erkranken als Gleichaltrige ohne Krebs. Dafür beobachteten die Forscher zehn Jahre lang 1278 Menschen, die bei der Basisuntersuchung geistig völlig gesund waren, von denen aber 176 eine Tumorerkrankung überstanden hatten. Am Ende des Beobachtungszeitraums hatten 221 der Probanden Alzheimer entwickelt - Krebspatienten waren nur wenige darunter. Frühere Studien hatten schon gezeigt, dass Nervenzellen im Gehirn von Alzheimer-Patienten durch Apoptose (den programmierten Zelltod) sterben. Die Forscher vermuten, dass eine genetisch bedingte Neigung zur Apoptose zwar Krebs entgegenwirken könnte, gleichzeitig aber eine Demenz befördert.
Tatsächlich hat bereits ein Krebsmedikament - Bexaroten - im Tierversuch zu einer Reduzierung von Alzheimer-Plaques geführt. Die Studie von US-Forschern um Paige Cramer von der Case Western Reserve School of Medicine in Cleveland legt nahe, dass Bexaroten offenbar die Produktion eines bestimmten Proteins ankurbelt, das eine wichtige Rolle beim Abbau der Alzheimer-Plaques spielt. Ob die Ergebnisse der Studie auch auf den Menschen übertragbar sind, sollen nun klinische Studien zeigen.
Die Idee:
Manche Forscher nennen Alzheimer inzwischen auch "Typ-3-Diabetes": Damit wollen sie auf die Zusammenhänge zwischen Insulinstoffwechsel und kognitiver Leistungsfähigkeit hinweisen. Alzheimer ist durch einen niedrigen Insulinspiegel im Blut und eine Insulinresistenz im Gehirn gekennzeichnet. Zudem sind die Blutgefäße im Gehirn sowohl bei Diabetes als auch bei Demenz beeinträchtigt. So liegt die Frage nahe: Helfen Diabetesmedikamente vielleicht auch gegen Demenz?
Aktuelle Ansätze:Epidemiologische Studien legen seit Jahren den Verdacht nahe, dass Diabetes das Risiko für Alzheimer offenbar verdoppelt. Der Frage nach dem Warum gehen Forscher inzwischen mit Hochdruck nach. Einen gemeinsamen genetischen Nenner der beiden Krankheiten entdeckte der US-Neurologe Giulio Maria Pasinetti von der New Yorker Mount Sinai School of Medicine 2010 im Tierversuch: Sein Team verglich gesunde, diabetische und an Demenz erkrankte Mäuse und identifizierte ein Gen, dass den Zuckerstoffwechsel bestimmt - und bei Alzheimer weniger aktiv ist.
Momentan steht besonders das Diabetesmedikament Metformin im Fokus der Forschung: Wissenschaftler um Susann Schweiger vom Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik konnten nachweisen, dass das Mittel ein Enzym im Gehirn aktiviert, das bei Alzheimer-Patienten den Zelltod von Nervenzellen verhindern kann. Aktuelle Ergebnisse von Jing Wang von der University of Toronto (Kanada) scheinen das zu bestätigen. In Labyrinthversuchen zeigten sich mit Metformin behandelte Mäuse deutlich lernfähiger als ihre unbehandelten Artgenossen. Der Grund: Metformin fördert das Zellwachstum im Gehirn. Ob die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, muss weitere Forschung zeigen - zumal das Mittel auch Risiken birgt.
„Die Diskussion dreht sich im Moment darum, ob es wirklich richtig war, sich auf ein einzelnes Molekül zu konzentrieren. Dieser Ansatz mag möglicherweise falsch gewesen sein“, erklärt der Direktor für Klinische Forschung mit Blick auf die komplexe Krankheit. Derzeit gebe es viele weitere Forschungsansätze. Doch keiner sei so vielversprechend und elektrisiere das gesamte Feld so wie einst die Impfung. Er rechne damit, dass es man künftig mehrere Ansätze verbindet und Kombinationstherapien entwickelt wird.
Ein zweites großes Diskussionsthema sei, ob die Impfstudie zur richtigen Zeit stattfand. „Man hat vielleicht eine richtige Therapie zu einem zu späten Zeitpunkt durchgeführt“, sagt Klockgether. Man wisse jetzt, dass die Erkrankung im Gehirn schon 15 bis 20 Jahre einsetzt, bevor Patienten über Vergesslichkeit klagen. Forscher hätten die Impftherapie deshalb nicht aufgegeben und arbeiteten jetzt mit Menschen, in deren Familien die Krankheit erblich bedingt auftritt. Dort sei schon früh klar, dass sie potenzielle Patienten werden könnten.#
Ganz machtlos sind Patienten allerdings nicht. Prävention kann helfen: „Wir wissen, dass körperliche Fitness und mentale Stimulation vorbeugend wirken. Menschen, die einen gesunden, sportlichen und abwechslungsreichen Lebensstil haben, scheinen später Alzheimer zu bekommen“, berichtet Professor Emrah Düzel vom Institut für kognitive Neurologie und Demenzforschung am Universitätsklinikum Magdeburg.
Düzel und Kollegen haben nach Lauftrainings ihrer Probanden herausgefunden, dass zunehmende Fitness mit der Bildung neuer Gefäße und dem Wachstum von Nervenzellen verbunden ist, die für das Gedächtnis wichtig sind. Ziel sei jetzt herauszufinden, welche biochemischen Prozesse dahinter stecken, sagt Düzel. Mit diesem Wissen, so hofft er, könne man möglicherweise Medikamente entwickeln. Außerdem könne man die Erkenntnisse nutzen, Patienten mit leichter Demenz vorbeugend zu trainieren.
Rainer Knöfel hofft, dass sich sein Zustand möglichst langsam verschlechtert. Er trifft sich wöchentlich mit einer Gruppe der Alzheimergesellschaft Berlin zu Ausflügen, Museumsbesuchen oder anderen Aktivitäten, die ihm Abwechslung bieten - wie es Ärzte empfehlen. Außerdem nimmt er Medikamente. Die können den Verlauf der Krankheit bislang allerdings nur etwas hinauszögern. (dpa)