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Der Ordenmacher vom RheinFür Thomas Gimbel ist das ganze Jahr über Karneval

Lesezeit 6 Minuten
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Für Thomas Gimbel beginnt die Saison gleich nach Ostern.

Köln – Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg war es, als die Kölner Roten Funken Zigarrentütchen über Eck rot und weiß bemalten, die Mitte mit dem Emblem und dem Namen der Karnevalsgesellschaft sowie der Jahreszahl 1946 zierten, eine Kordel durchzogen und eine Zigarre in die Falte steckten. Fertig war der Orden der Session der altehrwürdigen Gesellschaft von 1823. Unbekannt ist, wie viele Exemplare damals entstanden. Vermutlich haben die Empfänger zwar den Stumpen konsumiert. Aber die papierne „Ordenshülle“ ist überliefert aus dieser harten Zeit, in der weder Materialien noch Kapazitäten für die Herstellung eines echten Karnevalsordens vorhanden waren. Aber es gab Ideen. Und auf die kommt es an in den Ordens-Schmieden. Noch heute.

Thomas Gimbel sitzt konzentriert über einem Blatt Papier in seinem Büro im Bonner Norden. Mit gespitztem Bleistift skizziert er geschickt Figuren auf einer handtellergroßen Fläche. Einige Tanzmariechen sollen den Orden schmücken und natürlich das Emblem der Karnevalsgesellschaft, die ihn beauftragt hat, ihren aktuellen Sessionsschmuck zu fertigen. Denn: Gimbel ist einer der Ordenmacher im Rheinland.

Individuelles, närrisches Blech

Für den Bonner ist das ganze Jahr Karneval, denn der 54-Jährige liebt das Winterbrauchtum, ist in etlichen Vereinigungen inaktives Mitglied, besucht Sitzungen und Proklamationen und freut sich, wenn er mit einem Orden ausgezeichnet wird. So an die 150 hat er mittlerweile. Direkt nach Fastenzeit und Ostern beginnt für Thomas Gimbel die neue Fünfte Jahreszeit. Die ersten Kunden melden ihre Wünsche für die nächste oder auch schon übernächste Session an, vor allem dann, wenn ein Jubiläum ansteht oder auch der Orden von Prinz, Prinzenpaar oder Dreigestirn mit besonderer Sorgfalt geplant sein will. Am liebsten ist es ihm, wenn die Ordensbeauftragten der Gesellschaften frühzeitig erscheinen, dann bleibt ihm ausreichend Zeit, Entwürfe zu fertigen und sie zu perfektionieren. Andere Jecken fragen in letzter Minute nach: „Können Sie nicht noch etwas machen? Wir haben gestern doch noch ein Prinzenpaar gefunden.“

Manche Vereine haben konkrete Vorstellungen, andere kommen mit einem weißen Blatt Papier in die Firma am Rande der Stadt und suchen das beratende Gespräch. Sie wissen, der Gimbel macht das schon. Die Kinderprinzessin schwimmt gern – das soll auf den Orden, auch der Clown mit Luftballon oder die Kirche, die im Dorf bleiben soll. Einige bringen das Foto eines Originals mit, das auf dem närrischen Blech verewigt werden soll. Manchmal erträumt Gimbel den Orden – für diesen Fall liegt stets ein Blöckchen am Bett, in das er die Idee skizziert. Am PC entsteht danach der Entwurf, der dem Kunden noch einmal vorgelegt wird.

Jeder Orden hat seine Geschichte

Der Ordenshersteller ist von Beruf Industriemeister und Metallgraveur. „Das bedeutete viel Zeichnen in der Ausbildung: Schon in der Schule hatte ich Kunst als Hauptfach“, erklärt er seinen schwungvollen Strich, der sich bei ihm mit einer gehörigen Portion Kreativität paart – und mit einigem handwerklichem Können. Denn der technische Aufwand ist enorm, bis der Orden in Gold, Silber oder Bronze auf der Brust seiner Empfänger landet.

So wie hinter jedem Orden eine Geschichte steht, hat auch eine der Spindelpressen des Unternehmens ihre Historie. Sie ist jetzt 100 Jahre alt. 1966 hatte Gimbels Vater Hans-Peter den Gravurbetrieb gegründet, in dem vorwiegend Werkzeuge gefertigt wurden, und übernahm später zusätzlich eine alte Firma, die Karnevalsorden herstellte – somit auch dieses Schätzchen. „Diese Presse ist effektiver als die modernen Geräte“, betont Gimbel, während er an der zwölf Tonnen schweren Presse steht, die in einem zwei Meter starken Fundament verankert ist. Der Oberstempel knallt immer wieder mit 300 Tonnen Druck auf das eingespannte Werkzeug, bis die Umrisse des Motivs, das gemäß der Schablone im Prägestempel eingraviert wurde, erscheinen. Jeder Prägestempel muss anschließend bei 900 Grad in den Härteofen, bis er glüht, dann geht’s zum Abschrecken ins Ölbad.

Kopie des Kaiserordens angefertigt

Für jedes Motiv existiert aus Rohstahl gefertigte Prägestempel, der für Ordens-Nachbestellungen zwei Jahre im Stempel-Keller des Unternehmens archiviert wird. Ganz besondere Exemplare werden auf Dauer, mindestens für zehn Jahre, aufbewahrt. Von einem Teil wird sich Thomas Gimbel nie trennen. Das hat aber nichts mit Karneval zu tun: Der Bonner fertigte für zwei Museen eine Kopie des Kaiserordens mit Schwert und Zepter an, wie ihn der letzte deutsche Kaiser persönlich trug. Nach historischen Informationen aus Schriften arbeitete Gimbel eineinhalb Jahre an dieser kniffligen Aufgabe.

In einem Walzwerk im Schwarzwald werden für die Ordenschmiede Gimbel die Bleche angefertigt, wie sie in unterschiedlichen Stärken zwischen 0,5 und fünf Millimetern bereitliegen, um in Orden verwandelt zu werden. Motive aus Rohlingen prägen, Außenformen stanzen, entgraten – und dann ab in die Poliertrommel. Galvanische Bäder verleihen den Orden die gewünschte Metallfarbe. Von Hand erhalten sie den letzten Schliff. Mit Injektionsnadeln lassen Mitarbeiterinnen beim Kolorieren die Farben mit Trockengängen in die Vertiefungen fließen. Danach wird der verwendete Autolack eingebrannt, der Orden erhält auf der Rückseite einen Filz.

Orden extrem hochwertig

Soll das Schmuckstück auch glitzern, drücken sie konische Steinchen an die Stellen des Ordens, auf die sie mit dem Zahnstocher Leim aufgetragen haben. Immer öfter wünschen die Karnevalisten auch Orden aus mehreren Teilen, die dann zusammengesetzt werden müssen. Und zum Schluss muss noch Kordel oder, immer beliebter, das feinere Band montiert werden, in der Regel in den Farben der Gesellschaft. Bei einem ganz erlesenen Stück in diesem Jahr wurde noch ein zartes Goldfädchen eingewebt. Muss eine Gesellschaft sparen, macht Gimbel ebenfalls Vorschläge. „Einige Steinchen weniger wirken sich schon aus. Fällt aber gar nicht auf“, sagt Gimbel. Ein Prinzenpaar bestellt ungefähr 400 bis 600 Prinzenorden und 1000 Pins dazu, große Gesellschaften zwischen 1000 und 4000 Sessionsorden.

Reichen die nicht aus, kann nachbestellt werden. „Weiß ich das bis Mitte Dezember, ist das kein Problem. Aber zwei Wochen vor Rosenmontag wird es schwierig. Die Arbeitsabläufe dauern eben. Das soll ja ordentlich sein. Orden sind eine wertige Sache, vergoldet und mit Swarovski-Steinen.“

Gimbel hat sich intensiv mit der Geschichte der Orden befasst, seitdem er 1990 das väterliche Geschäft übernahm. Heute macht die Produktion für den Karneval 60 bis 80 Prozent des Geschäfts aus, auch Schützenorden, Staatsorden, Medaillen, Schlüsselanhänger oder Military Coins gehören zum Portfolio. „Jeder Ordenmacher hat seinen Stil“, meint der Meister.

Bonner Verein trägt Kölner Orden

Dass ein Bonner Verein mit seinem Orden in Köln von sich reden macht, ist selten. In der Session 2017/18 befassten sich sogar Kirchenvertreter mit dem Metall, mit dem die Bonner Karnevalsfründe Durschlöscher durch die Session schunkelten. Eine Monstranz, in deren Inneren statt der Hostie ein Kölschglas steht, hatte für Aufsehen gesorgt. Der Vorwurf: die Verunglimpfung christlicher Reliquien. „Die Durschlöscher-Herren auf dem Orden schielen aufs Bier, obwohl sie das Durschlöscher-Mädchen verehren. Gemeint war, dass in der Karnevalszeit vor dem Fasten die kleinen Sünden oft etwas zu sehr angebetet werden“, sagt Gimbel. Und auch der Bonner Festausschuss hielt zu den Durschlöschern. Erstens gehöre es zum Brauch, alles und jeden aufs Korn zu nehmen und zu persiflieren. Und außerdem: Im Mittelalter diente den Mönchen Starkbier als Fastengetränk.

Aber die Durschlöscher sind ohnehin für ihre aufwendige Orden bekannt. Der Clou jedoch: das edle Fabergé-Ei mit herausnehmbarer Figur in der Session 2016/17 in Anlehnung an die Prunk-Eier des russischen Zaren. In diesem Jahr, soviel darf bereits gesagt sein, wollten es die Durschlöscher mal etwas weniger pompös. Aber – auch das Schlichte will gekonnt sein, von den Ordenmachern vom Rhein. Und die Roten Funken haben schon 1946 gezeigt, dass auch mit spärlichem Material ordentlich Staat gemacht werden kann. 

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