Diese fünf Rituale helfenWie das Zubettbringen stressfrei gelingt

Kinder erfahren Trennungsangst, wenn sie allein im Bett liegen.
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Frau Becker-Stoll, warum ist das Einschlafen so ein großes Thema in vielen Familien?
Dazu muss man unsere biologische Veranlagung kennen. Schlaf ist für Menschen eine extrem verletzbare Situation. Hätte ein Baby bei unseren Vorfahren im Urwald allein auf dem Boden geschlafen, wäre es jedem Raubtier sofort zum Opfer gefallen. Und auch ein Dreijähriger wäre für jedes große Tier ein schneller Leckerbissen gewesen. Das Überleben unserer Art konnte nur dadurch gesichert werden, dass wir im Körperkontakt mit den Personen schlafen, die uns beschützen. Bei vielen Urvölkern ist das heute übrigens immer noch so. Da schläft das Baby immer gemeinsam mit dem Clan.
Deswegen fällt es Kindern so schwer, alleine einzuschlafen?
Ja, wenn ein kleines Kind alleine in seinem Bett liegt, ist sein Trennungsangst-Bereich in seinem limbischen System aktiviert. Trennungsangst tut Kindern fast auf die gleiche Weise weh wie körperlicher Schmerz. Ein Baby versteht nicht, dass die Eltern wiederkommen, oder in der Nähe sind, wenn es die Eltern nicht sieht oder bei sich spürt. Kinder spüren diese Trennungsangst noch etwa bis zum fünften Lebensjahr, manche bis zum Ende der Grundschulzeit. Sie sind darauf programmiert, dass sie Körperkontakt suchen, wenn sie müde werden.
Und Eltern sollten ihrem Kind diesen Körperkontakt geben?
Ja, definitiv. Müdigkeit fühlt sich für Kinder wie Unwohlsein an. Sie wollen am liebsten bei Mutter oder Vater schlafen, weil Körperkontakt für sie in dieser Situation das beste Beruhigungsmittel ist. Kinder haben übrigens immer eine bevorzugte Bindungsperson, damit sie in akuten Gefahrensituationen nicht lange überlegen müssen, zu wem sie gehen sollen. Diese Person ist in der Regel die, die die meiste Zeit mit dem Kind verbringt.
"Du verwöhnst dein Kind!" Das hören viele Eltern, wenn sie ihr Kind mit ins Bett nehmen und werden dann unsicher ...
Ja, dass kommt aus der deutschen Erziehungstradition heraus. Durch das strenge, preußische Erziehungsideal und die Nazizeit. Damals galt das Buch "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" als Standardwerk. Darin rät Autorin Johanna Haarer zu einer Abhärtung von Neugeborenen, die fast schon an Vernachlässigung grenzt. Ich sage in meinen Vorträgen immer: "Liebe Eltern, bitte lügt, dass sich die Balken biegen, wenn es um den Schlaf eures Kindes geht!"
Wieso das denn?
Wo und wie mein Kind schläft, ist solch ein privates und intimes Thema, das geht niemand anderen etwas an. Das hat mit Vertrauen, mit Bindung, mit Nähe zu tun. Da sollte sich niemand genötigt fühlen, darüber Auskunft erteilen zu müssen. Es käme ja auch nie jemand auf die Idee zu fragen: "Welche Praktiken bevorzugen Sie im Bett?" Oder: "Beten Sie vor dem Abendbrot?" Eltern können ruhig sagen: "Mein Kind schläft von Anfang an super." Punkt.
Woher kommt der große Druck bei dem Thema?
In Deutschland herrscht die fatale Idee vor, dass die Kompetenz von Eltern daran gemessen wird, wie schnell ein Kind durchschläft. Das ist absoluter Quatsch. Kompetente Eltern merken, dass ihr Kind am besten mit Körperkontakt einschläft. Über liebevollen Hautkontakt wird das Bindungshormon Oxytocyn freigesetzt und Stresshormone werden abgebaut, das ist übrigens auch bei vielen Tieren so. Wenn das Elternpaar genug Intimität abbekommt, ist es doch wurscht, wo das Kind schläft. Wenn alle damit zufrieden sind, kann das auch im Doppelbett sein.
Das Familienbett ... Ein Thema, das unter Eltern immer noch heiß diskutiert wird.
Ich empfehle ein Beistellbett, das man direkt an das Elternbett andocken kann. Das muss kein teures sein, es reicht auch ein günstiges Kinderbett, an dem man eine Gitterseite abschrauben kann. So sind alle zusammen und jeder hat genug Platz. Und das Kind bekommt durch die Schlafgeräusche der Eltern so viel Stimulation mit, dass das Risiko für den plötzlichen Kindstod sogar gesenkt wird. Viele Eltern machen das ja auch intuitiv richtig, indem sie ihr krankes oder kränkelndes Kind mit zu sich ins Bett nehmen. Wenn jemand im Zimmer schnarcht, schlafen viele Kinder am besten.
Viele Kinder brauchen Einschlaf-Rituale. Sind diese wirklich so wichtig?
Für manche Kinder ja. Einem Baby, kleinen Kindern und jungen Eltern können feste Abläufe gut tun. Diese sollten aber immer wieder angepasst werden. Wenn Eltern an einem bestimmten Ritual unbedingt festhalten, kann das auch schnell zur Hängepartie werden.
Wie meinen Sie das?
Wenn Eltern ihren Kindern abends vorlesen und gemeinsam Zeit verbringen, ist das sehr schön. Aber viele Eltern machen sich mit dem Einschlafritual riesigen Stress. Mein Mann hat zum Beispiel früher den Kindern so viel vorgelesen und vorgesungen, dass er manchmal selbst darüber eingeschlafen ist. Meine Tochter kam dann runter zu mir und sagte: Mama, mir ist langweilig, der Papa schläft schon. Das macht so dann natürlich keinen Sinn. Jede Familie muss das Ritual finden, das am besten zu ihr passt. Ich finde es immer gut, wenn diese wichtige Übergangszeit nicht in eine bestimmte halbe Stunde gepresst wird, sondern wenn der ganze Abend vom Essen bis zum Vorlesen gemütlich und entspannt abläuft.
Warum ist das Vorlesen ein gutes Ritual?
Das ist eine Zeit der puren, liebevollen Nähe. Und Kinder lieben es ja, immer die gleichen Geschichten vorgelesen zu bekommen. Sogar Schulkinder möchten manchmal noch die Bücher aus ihrer Kleinkindzeit vorgelesen haben, sie dürfen dann noch einmal mal klein sein.
Welche Rituale eignen sich nicht zum Einschlafen?
Laptop, iPad und Fernsehen. Das blaue Licht macht wach. Auch Konsolen- und Computerspiele sind vor dem Schlafengehen viel zu aufregend. Schlecht ist auch, wenn das Einschlafritual für die Eltern nur Alibi-Funktion hat. Wenn sie in dieser Zeit eigentlich etwas ganz anderes tun wollen, zum Beispiel arbeiten oder fernsehen. Wenn sie nicht entspannt sind, spüren das die Kinder.
Welche Tipps haben Sie noch für Eltern?
Genießt es einfach. Die Zeit, in der die Kinder den Körperkontakt noch suchen, geht so schnell vorbei. Das Erziehungsziel sollte doch sein, dass wir eine glückliche, entspannte Zeit miteinander haben. Und nicht, dass das Kind möglichst schnell acht Stunden lang durchschläft. Wenn Kinder da sind, ist die partnerschaftliche Intimität sowieso eine andere. Und so muss dann auch das Schlafverhalten angepasst werden. Viele Eltern sind gestresst, weil sie vor allem übernächtigt sind. Gehen Sie öfter mal um 20 Uhr ins Bett und gönnen Sie sich den Erholungs- und Schönheitsschlaf gemeinsam mit Ihren Kindern.