FrüherkennungHunde können Krebs erschnüffeln

Die Bildschirmdarstellung einer Magnetresonanz-(MR)-Mammographie. Deutlich sichtbar ein winziger Tumor in der Brust einer Patientin.
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Ein bisschen wachsen müssen die Welpen der Schweizer Hundetrainerin Denise Stadler noch. Erst in ein paar Monaten sind sie groß genug für ihre Ausbildung. Dann sollen die Tiere bei Werner Gleichweit vom Verein für Gebrauchs-, Forschungs- und Suchhunde in Österreich lernen, am Geruch des menschlichen Atems und Urins zu erkennen, ob eine Krebserkrankung vorliegt.
Seit September 2011 bietet Gleichweit einen kostenpflichtigen Krebstest aus der Ferne an. In einem Röhrchen schicken Patienten ihren Atem per Post zu ihm in die Steiermark. Seine fünf Hunde schnüffeln daran. Wenn es sehr stark nach Tumor riecht, werfen sie sich auf den Boden, erzählt Gleichweit. 187 Proben seien in den vergangenen drei Monaten eingetroffen. Bei 22 schlugen seine Tiere Alarm. 19 hätten Krebs gehabt, wie Ärzte später feststellten, beteuert Gleichweit.
Hunde riechen kleinste Tumore
Die Medizintechnikindustrie will die feine Hundenase nachbauen und als handliches Laborgerät verkaufen. Doch nach mehr als einem Jahrzehnt der Forschung stehen die Entwickler vor vielen Problemen und keiner Lösung. Sie wissen nicht genau, auf welche Substanzen im Atem der Hund reagiert. Klar ist nur, dass er mehrere, hochgradig flüchtige Stoffe riecht, die in sehr geringer Konzentration dem Mund entweichen. "Aber es gibt riesige Hintergrundsignale, etwa Zigarettenrauch oder das verwendete Parfüm. Der Hund kann diese ausblenden. Für Geräte ist das extrem schwierig", sagt Rudolf Jörres, einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der elektronischen Nasen an der Technischen Universität München.
Der Spürsinn der Hunde rührt nicht nur vom Riechen, sondern von ihrem Gehirn her. Und das haben Forscher noch lange nicht enträtselt. "Etliche Jahre wird es noch dauern, bis elektronische Nasen tauglich für den Markt sind", so Jörres. Dass einige Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum trotzdem bereits entsprechende Krebsdetektoren für die Atemluft anbieten, hält er für höchst unseriös. Diese produzieren seiner Erfahrung nach keine verlässlichen Ergebnisse.
Die Hunde könnten sogar Tumore im frühen Stadium wittern. Der kleinste sei vier Millimeter groß gewesen. Neben Lungenkrebs bemerken Gleichweits Vierbeiner angeblich Rachen- und Brusttumore. Am Urin wittern sie "Geschwüre der Blase, der Gebärmutter, der Eierstöcke, der Prostata, der Hoden, der Niere und der Harnblase", zählt er auf. Ist der Hund also besser als jeder Arzt?
Für Lungenfacharzt Thorsten Walles vom Universitätsklinikum Würzburg gehörten krebsriechende Hunde schon immer ins Reich der Märchen. Zu einer Studie mit zwei Deutschen Schäferhunden, einem Australischen Schäferhund und einem Labrador ließ er sich nur überreden, um "endlich zu belegen, dass da nichts dran ist". Neben 60 Atemproben von Lungenkrebspatienten wählt er 50 von anderen Patienten und 110 von Gesunden aus, die zum Teil rauchten oder nach Zwiebel oder Knoblauch stanken.
Doch das Ergebnis verblüfft selbst den Skeptiker: Die Hunde erkennen 71 Prozent der Lungenkrebspatienten. Die Gesunden ordnen sie sogar zu 93 Prozent korrekt zu. "Die Hunde sind so gut. Die weisen Sachen nach, die wir mit technischen Verfahren kaum erkennen können", sagt Walles.
Bei Verdacht auf einen Tumor röntgen Ärzte die Lunge üblicherweise. Doch kleine Tumore fallen selten auf. Ehe die Geschwulst sichtbar ist, kommt für etliche der 3700 jährlich neu Diagnostizierten jede Rettung zu spät. Hunde können dagegen frühe Tumorstadien genauso gut erkennen wie fortgeschrittene, legt Walles 2011 im European Respiratory Journal dar. Sie könnten also Leben retten, theoretisch.
Es ist bis dato die größte Studie zum Krebsspürsinn der Hunde, aber nicht die einzige. Alles fing mit der Beobachtung der Ärzte Hywel Williams und Andres Pembroke an. 1989 schreiben sie im Journal Lancet über eine Frau, deren Hund immerzu an einem ihrer Muttermale schnuppert. Als die Ärzte das Gewebe herausschneiden, erkennen sie darin bösartigen Hautkrebs. 2004 bestätigt James Walker von der Florida State University, dass sein Schnauzer mit der Nase Melanome von anderen Geweben unterscheiden kann.
Von da an gehen Forscher immer wieder der kuriosen Krebsausdünstung nach: Der kalifornische Onkologe Michael McCulloch trainiert fünf Haushunde, die dann Lungenkrebs- und Brustkrebspatienten sowie Gesunde mit 88-prozentiger Genauigkeit auseinanderhalten können. Onkologe György Horvath vom Krankenhaus in Göteborg entdeckte 2010, dass Hunde den Geruch von Eierstockkrebs sogar am Blut ausmachen können. Das ermögliche eine Frühdiagnose des Tumors, der oft zu spät erkannt werde, so Horvath. Japanische Forscher um Hideto Sonoda von der Universität in Fukuoka setzten einen trainierten Labrador-Retriever auf Stuhl und Atem von Gesunden und Darmkrebspatienten an. Der Hund überführt die Erkrankten am Mief der Exkremente zu 97 Prozent richtig; beim Atem stellte er zu 91 Prozent die richtige Diagnose. Sonoda hat den Schnüffeltest schon als Darmkrebsvorsorge vor Augen, wie er 2011 schreibt. Im selben Jahr roch ein Belgischer Schäferhund in einer Pariser Klinik am Urin von 66 Männern, darunter war die Hälfte an Prostatakrebs erkrankt. 30 der 33 Betroffenen identifiziert das Tier fehlerfrei.
Der Krebsspürsinn der Hunde ist also keine esoterische Fantasterei. Und Gleichweit sieht sich durch die Studien bestätigt. So wie Hunde nach Drogen fahnden und Menschen unter Lawinen orten, sollten sie seiner Ansicht nach dem Doktor bei der Krebsvorsorge helfen. Doch "viele Ärzte wollen keinen Partner auf vier Beinen", klagt Gleichweit. "An den Studien sollte man nicht achtlos vorübergehen", entgegnet der Facharzt für Innere Medizin, Martin Fey, vom Inselspital in Bern. "Gerade beim Lungenkrebs haben wir dringenden Bedarf nach einem verlässlichen Vorsorgetest." Auch für Eierstock-, Darm-, Magenkrebs und Leukämie fehlen nicht-invasive, verlässliche Schnelltests.
Und doch glaubt Fey nicht an den Hund als Arzthelfer: "Es wäre ein beträchtlicher Aufwand, die Hunde zu trainieren und einige Millionen Leute durchzuschnüffeln. Das ist nicht praktikabel." Walles sieht das ähnlich: "Für die klinische Praxis ist das keine Lösung." Täglich mussten die vier Tiere in seiner Studie den Atem Gesunder und Kranker schnuppern, damit sie in Übung blieben. Das sei "außerordentlich kompliziert". Kein Wunder, dass nahezu alle Mediziner lieber auf ein Gerät so fein wie die Hundenase hoffen. Es müsste weder abgerichtet noch gefüttert werden. Die Macht des Vertrauten und der Hang zum Konservativen hält Hunde aus den Kliniken fern.
Mit Tiertrainern und Ärzten treffen noch dazu zwei Disziplinen aufeinander, die bisher nichts verband. So erbringt das Tier nur bei einer guten Bindung zum Herrchen gute Leistungen. "Kein Hund kann zum Krebstest gezwungen werden", so Gleichweit. "Das verstehen viele nicht." Es eignen sich seiner Erfahrung nach auch nur Rassen mit gutem Geruchssinn, ausgeprägtem Such- und Beutetrieb und hohem Konzentrationsvermögen wie Labrador und Schäferhund.
Umgekehrt kennen die Tiertrainer die Standards der Wissenschaft kaum. Gleichweit verweist gerne auf eine Pilotstudie, die belege, dass seine Hunde zu mehr als 90 Prozent recht haben. Doch diese hat er nie in einem Fachjournal veröffentlicht, moniert Walles. Fey fordert große doppelblinde Studien mit ein paar Tausend Teilnehmern wie bei der Mammografie. Man müsse exakt angeben können, wann das Tier irrt. Denn auch Hunde machen Fehler: Bei einem Mann hätten seine Tiere angeschlagen, obwohl dieser keinen Krebs hatte, gesteht Gleichweit. "Die fauligen Zähne" dieses Kunden hätten die Hunde auf die falsche Fährte gelockt. Solche Mutmaßungen taugen für Walles nichts: "So hängt der Test in der Luft. Wir Ärzte müssen immer eine Entscheidung treffen: ob wir das Hundevotum ignorieren oder ob wir operieren." Der große Bedarf nach besseren Krebstests und das Potenzial des Hundespürsinns verlangen nach weiteren Studien, nach einem Zusammenschluss von Tiertrainern und Krebskliniken. Doch es laufen nur wenige Untersuchungen. Walles ergründet zurzeit beispielsweise in einer neuen Studie, ob die vier Hunde Lungenkrebs- von anderen Krebspatienten trennen können. Doch schon jetzt sei das "sehr teuer und langwierig", klagt er. Trotz der ermutigenden bisherigen Ergebnisse sind sich deshalb die Ärzte einig: Noch ist es zu früh für die Diagnose durch einen Hund.