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Von wegen „fett macht fett“Die Fettlüge – was es mit unsinnigen Verboten auf sich hat

Lesezeit 6 Minuten
Currywurst Pommes

Eine kleine Fettbombe: Currywurst mit Pommes

  1. Unser Körper hat vor allem mit hohem Zuckergehalt und zu vielen Kohlenhydraten im Essen zu kämpfen.
  2. Professor Dr. Stephan Martin erklärt, was wirklich zum Problem werden kann und wie man sich ideal ernährt

„Fett macht nicht fett“, sagt Professor Dr. Stephan Martin. Das geht runter wie ein gebuttertes Brötchen, mehr noch: Das Sahnehäubchen auf der Torte rückt in greifbare Nähe. Mit unsinnigen Ernährungsverboten wie dem Fett habe man erstmals in der Weltgeschichte den Menschen gesagt: „Ihr dürft nicht mehr essen, was ihr Jahrtausende lang gegessen habt. Das ist in meinen Augen Missachtung der Schöpfung.“ Martins Devise ist: „Wir sprechen nicht mehr über Kalorien.“ Damit hat er Erfolg.

Im medizinischen Alltag sitzen bei ihm Patienten mit Stoffwechselstörungen, Herzkreislaufproblemen, Bluthochdruck und vielen anderen Erkrankungen, die auf den Lebensstil kombiniert mit zu viel Zucker und zu wenig Bewegung zurückzuführen sind.

Die Deutschen haben einen schlechten Lebensstil

Wobei hoher Zuckerkonsum nicht zwangsläufig zum Diabetes führt, so der Diabetologe Martin. „Wir hier in Deutschland haben weltweit einen der schlechtesten Lebensstile.“ Daher rangieren deutsche Männer laut umfassender Studien was Bewegung betrifft weltweit auf dem fünftletzten Platz. Schlechter stehen nur noch Staaten wie Kuwait und Saudi-Arabien da. Von Martin, Direktor und Chefarzt im Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum im Verbund Katholischer Kliniken in Düsseldorf, erhoffen sich diese Patienten Abhilfe. Es kommen aber auch die Gesunden, vorzugsweise zum Manager-Check-up, den große Firmen ihren leitenden Angestellten kostenfrei alle zwei Jahr anbieten. Die meisten anderen Patienten wollen gegen zu viele Kilos ankämpfen sowie den Organismus wieder in Balance bringen. Martin schickt die wieder nach Hause, die normalgewichtig oder gar schlank sind, gesund zudem, und einfach nur so das eine oder andere Pfündchen loswerden möchten. „Ich bin kein Lifestyle-Mediziner“, gibt er ihnen mit auf den Weg. „Wer schlank ist, sollte sich um seine Ernährung überhaupt keine Gedanken machen, sondern unbeschwert weiterleben. Ernährung macht nicht krank – es sei denn, ich bin zu dick.“ Die Mätzchen, die manche treiben, indem sie sich dieses und jenes kategorisch verbieten und bei einem Löffelchen Sahne oder einem Stück Fleisch schon in Panik verfallen, sind in seinen Augen Religionsersatz.

Professor Dr. Stephan Martin, Direktor und Chefarzt Westdeutsches Gesundheitszentrum im Verbund Katholischer Kliniken, Düsseldorf

Martins Credo: Sich so ernähren und bewegen, dass die Fettverbrennung nicht beeinträchtigt wird. Das passiert immer dann, wenn der Blutzuckerspiegel in die Höhe schießt und zeitgleich die Insulinspiegel ansteigen. Fast jeder weiß, dass Insulin den Blutzucker senkt. Aber nur wenige wissen, dass Insulin die Fettverbrennung blockiert, weil es ein Masthormon ist. Insulin schießt in die Höhe, wenn Kohlenhydrate die Überhand gewinnen. Also kein leckeres Baguette? Mitnichten. Es kommt nur darauf an, wann was wie konsumiert wird. „Gute Restaurants sollten ihren Gästen nicht zuerst das knusprige Brot hinstellen, sondern Oliven, geröstetes Gemüse, Quark-Dip, Rohkost und Gürkchen – das Brot erst später. Denn dann reduziert sich der Blutzuckeranstieg deutlich messbar und die Fettverbrennung wird nicht negativ beeinflusst.“ Wer sich zum Frühstück zuallererst den gesunden Orangensaft einverleibt, dessen Blutzuckerspiegel rast aufgrund des Zuckers in die Höhe.

Orangensaft hemmt die Fettverbrennung

Der Zucker im Saft, egal ob frisch gepresst oder qualitativ hochwertig und gekauft, steigert die Insulinproduktion und hemmt somit die Fettverbrennung. Stephan Martin geht sogar so weit: „Es ist egal, ob ich ein Glas Orangensaft oder ein Glas Cola trinke, beides ist gleich schlimm, beide verursachen denselben traumatischen Zuckeranstieg“ – auch dann, wenn man auf „light“ oder „zero“ umsteigt. Auf dem Index stehen ebenso die fettreduzierten Produkte: „Darin sind Emulgatoren enthalten, die die Insulinproduktion des Körpers ankurbeln und die Fettverbrennung beeinträchtigen.“

Verfechtern der oft teuren, fettreduzierten Produkte, die des Geschmacks wegen mit Emulgatoren angereichert werden, hält Professor Martin das Ergebnis großer Studien mit 7500 Menschen entgegen, die über vier Jahre angelegt waren. Eine Gruppe mit Übergewichtigen wurde fettarm ernährt, die zweite Gruppe mediterran mit jeweils 30 Gramm Nüssen pro Tag und die dritte Gruppe durfte pro Woche zusätzlich einen Liter Olivenöl konsumieren. Das Resultat: Die Gewichtsabnahme bei der Olivenöl-Gruppe war am größten, das Herzinfarktrisiko und die Brustkrebsrate waren bei der Nuss- und Olivenöl-Gruppe extrem niedrig. „Wenig erfreulich für Hersteller fettreduzierter Produkte“, resümiert Martin. Zweiflern schickt er noch die „Pure“-Studie hinterher, in der weltweit die Ernährungsgewohnheiten von 130000 Menschen in Zusammenhang mit dem Fettkonsum über Jahre beobachtet wurden. Fazit: Fettkonsum erhöht nicht die Sterblichkeitsrate. Durch Konsum der guten, also ungesättigten, Fette sinkt die Sterblichkeitsrate. Aber: Die bösen Fette, also die gesättigten Fettsäuren, lassen die Sterblichkeitsrate auch nicht steigen. Die steigt nur bei erhöhtem Kohlenhydrat-Konsum.

Lediglich bei einer Fettsorte, den industriell gehärteten Transfetten – gehärtete Fette, die vor allem durch Erhitzung aus flüssigen Ölen oder Tierfetten entstehen – lässt sich ein möglicher Zusammenhang mit Herzkreislauferkrankungen nicht von der Hand weisen. Transfette werden angewandt bei frittierten Lebensmitteln, Chips, Berlinern, Blätterteig, Fertigsuppen, Wurst, aber auch in Müsliriegeln oder Frühstücksflocken.

Fette, unter anderem auch Cholesterin, nimmt der Mensch nur zu einem Drittel durch Nahrung zu sich. Um den Bedarf zu decken, stellt der Körper zwei Drittel selber her, vor allem in der Leber. Dieses Blutfett gerät allerdings immer mehr außer Kontrolle, weil immer mehr Menschen bundesweit an Fettleber erkranken – nicht aufgrund des gern zitierten übermäßigen Alkoholkonsums, sondern oft durch Konsum von Kohlenhydraten, so der Experte.

Ein Frühstück mit fettreichem Joghurt und Beeren

Jeder kann seine zu Verfettung neigende Leber allerdings positiv überraschen: Ein Spaziergang genügt. Dadurch reduziert sich das Blutfett. Denn jeder noch so kleine Schritt animiert die kleinen Kraftwerke des Körpers, die Mitochondrien, jene Zellorgane, die in jeder Zelle vorhanden sind, den „Motor“ anzuwerfen und Energie zu verbrennen. Nicht nur Fette, sondern auch Zucker. „Es ist aber unsinnig, auf Zucker zu verzichten und weiterhin Brötchen zu essen.“ Egal ob weiße oder dunkle Brötchen, egal ob mit Körnern oder Dinkel, egal ob Weiß- oder Schwarzbrot – alle verbindet, dass sie reichlich Kohlenhydrate und Zucker zuführen.

Der Mediziner hält Aktionen wie den Zuckergipfel, der Süßes auf den Index setzt, für verfehlt, wenn nicht zeitgleich ein Brötchengipfel gegründet wird, und vor allem „alles besteuert wird, was Fertigprodukt heißt“. Der Fett- und Zuckerfalle entrinnt man am besten, wenn man selber kocht und mit Verstand einkauft: „Zum Frühstück einen schönen fetten griechischen Joghurt und Beeren dazu. Alle Beeren haben im Vergleich zu anderen Obstsorten relativ wenig Zucker.“ Wer zudem nicht nur die Leber mit einem Spaziergang überrascht, sondern den restlichen Körper erfreut, ist eindeutig auf der Siegerstraße. „Bewegung ist anti-entzündlich, Kohlenhydrate dagegen sind Entzündungsreizer.“ Und dann noch regelmäßig ein heißes Bad – heißes Wasser reguliert Entzündungen runter und senkt den Insulinspiegel. Duschen bringt’s dagegen nicht – wer bleibt schon 60 Minuten unter der heißen Dusche stehen?