GeschwisterDas sollte man mit einem behinderten Kind beachten
Herr Lehmkuhl, welche Probleme können unter Geschwisterkindern auftreten, wenn eines das Down-Syndrom hat?
Das ist eine Frage der Ausprägung des Down-Syndroms und den damit verbundenen Einschränkungen: Je mehr Beachtung das Kind mit der Behinderung von den Eltern einfordert, desto eher kann es zu Konkurrenzsituationen unter den Geschwisterkindern kommen. Das nicht behinderte Kind kann sich auch benachteiligt fühlen, oder überfordert sein, wenn die Eltern in zu hohem Maße erwarten, entlastet zu werden. Wenn das Kind, das ohne Behinderung zur Welt gekommen ist, zu wenig Zeit für die Freizeitgestaltung bekommt, kann Frust entstehen.
Und wie kann man diesen Frust verhindern?
Durch ganz offene Kommunikation ohne Tabus: Es ist wichtig, dass für das nicht behinderte Kind so rasch wie möglich deutlich wird, dass sein Geschwisterkind in bestimmten Entwicklungsschritten hinterher hinkt. Für das Kind muss nachvollziehbar sein: Der Bruder oder die Schwester ist ganz besonders, braucht für einige Dinge mehr Zeit.
"Deine Schwester hat das Down-Syndrom und entwickelt sich nicht so schnell." Versteht ein sechsjähriges Kind einen solchen Satz?
Wahrscheinlich nicht. Kindergartenkindern kann man die besondere Situation aber anhand von bestimmten Momenten im Alltag erklären: Beim Schuhe schnüren zum Beispiel. Da kann man ganz konkret festmachen, dass das Kind mit Behinderung langsamer ist, das Verhalten beider Kinder ist gut vergleichbar. Präziser sollte man erst im Grundschulalter werden. Dann kann man das für Kinder komplizierte Wort "Down-Syndrom" auch verwenden.
Was ist, wenn sich das Kind ohne Behinderung trotz aller pädagogischen Mühen überlastet fühlt?
Man sollte das Gespräch suchen, das Kind fragen, wie es ihm geht. Ob es die Aufgaben, die es übernimmt, gut meistern kann. Eltern müssen sich fragen, wo sie Hilfestellungen von den Geschwisterkindern erwarten können und wo man sich Hilfe in Gruppen oder Einrichtungen suchen sollte. Sinnvoll ist es zum Beispiel, besondere Spielzeiten einzurichten: Zeiten, in denen sich ein Elternteil ausschließlich um das Kind ohne Behinderung kümmert.
Profitiert ein junger Mensch in seinem Leben auch davon, mit einem geistig behinderten Geschwisterkind aufgewachsen zu sein?
Das kann man auf jeden Fall sagen. Besonders in Familien, in denen es die Eltern schaffen, beiden Kindern gerecht zu werden, lernen die nicht behinderten Kinder schnell, verantwortungsvoll zu sein. Sie haben einen ausgeprägten Blick für besondere Fähigkeiten und Eigenschaften ihrer Mitmenschen, sind toleranter und sozialer, tauschen sich anders aus. Kinder mit Down-Syndrom haben ein sehr liebevolles Wesen: Sie reagieren selten mit psychischen Störungen oder Aggressionen und haben eine positive Grundhaltung zum Leben.
Das heißt, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es gar nicht so viele Fälle, in denen Eltern geistig behinderter und nicht behinderter Kinder an ihre Grenzen stoßen? Diese Fälle gibt es, aber sehr selten. Es gibt viel öfter Probleme unter Geschwisterkindern, die ohne jegliche Behinderung zur Welt gekommen sind.