Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

GesundheitsbücherRatgeber mit vielen Nebenwirkungen

Lesezeit 6 Minuten

Eher als Unterhaltungslektüre sollte man manche Gesundheitsratgeber betrachten. (Foto: Photocase)

Eine Kurzumfrage unter Ärzten. "Unverantwortlich" ist noch die moderateste Antwort, es gibt weit schlimmere Kommentare. Was so heftige Reaktionen hervorruft, ist ein Buch mit unschuldigen Kräutern auf dem Titel. "Heilpflanzen: Urmedizin gegen Krebs Rheuma, Fettsucht, Allergie, Herz- und andere chronische Leiden" heißt es dort vollmundig. Auch der Sieg über alle Potenzprobleme wird versprochen. Und innen lobt TV-Pfarrer Jürgen Fliege: "Franz Konz ist der einzige Arzt, der wirklich die Krankheiten heilt und nicht verschleppt."

Dabei war Konz gar kein Arzt, sondern warnt auf fast 1500 Seiten vor Ärzten und ihrer Medizin. Behauptet, dass Behandlungen von Ärzten nur schaden, nie nutzen würden. Verspricht selbst aber die Heilung auch schwerster Krankheiten wie etwa Aids. Darf man das? Wer ist verantwortlich, wenn tatsächlich ein Leser stirbt, weil er auf eine wirksame Behandlung verzichtet hat? Im Impressum des Buchs wird eine Haftung des Autors oder des Verlages ausgeschlossen. Reicht das?

10 269 Titel aus dem Gesundheitsbereich

"Im Jahr 1970 wurde zuletzt ein derartiger Fall gerichtlich behandelt: In einem Fachbuch war in einer Rezeptur ein Komma verrutscht, so dass die Infusion einer 25-prozentigen statt einer 2,5-prozentigen Kochsalzlösung empfohlen wurde", sagt Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. "Ein Assistenzarzt richtete sich danach, und der Patient konnte nur mit Mühe gerettet werden." Eigentlich ein klassischer Fall. "Die Haftung des Verlegers wurde dennoch verneint, weil der die Korrektur dem Verfasser überlassen hatte und dies auch bei einem Fachbuch durfte. Zudem hätte dem Arzt die Unverträglichkeit der Dosierung geläufig sein müssen. Seither gab es keinen weiteren Fall", so Sprang. Keine Klage, keinen Prozess, keine Verurteilung. Autoren dürfen schreiben, was sie wollen, Verleger dürfen drucken, was sie wollen?

Geschrieben, verlegt und geraten wird auf jeden Fall viel: Insgesamt 10 269 unterschiedliche Titel aus dem Bereich Ratgeber/Gesundheit zählte Media Control GfK im vergangenen Jahr. Viele kommen aus kleinen Verlagen. Aber auch klassische, große Wissenschaftshäuser beteiligen sich mit einem Spagat zwischen Wissenschaft und Heilsversprechen. Thieme etwa. Hier werden hoch spezialisierte Fachbücher für die Aus- und Weiterbildung von Ärzten, von Anästhesisten bis zu Zahnmedizinern, veröffentlicht. Und im Tochterverlag Trias auch Ratgeber. Meist wissenschaftlich orientiert vom "Asthma-Selbsthilfebuch" bis zum "Krankheitsherd Zähne". Einerseits. Andererseits ist der Verlag auch mit Schüßler-Salz-Büchern dabei. Und nicht nur damit. In einer Pressemitteilung für ein Hörbuch heißt es: "Die uralte Tradition des Nada Yoga bringt die Energiefelder unseres Körpers mit Hilfe von Klang wieder in ihre natürliche Schwingung." Klingt gut, dürfte sich gut verkaufen. Aber auch das ist nicht bewiesen.

Ist ein solcher Spagat kein Problem? "Unser Anspruch als Verlag ist es nicht zu sagen: Das ist die wahre und richtige Medizin und das ist die verkehrte", sagt Thomas Scherb, Geschäftsführer Medizinverlage Stuttgart. Hier ein Fachbuch über Anästhesie, in dem Wirkung und Nebenwirkung jeder Therapie wissenschaftlich belegt sein muss. Dort, im Tochterverlag, ein Ratgeber über: Terlusollogie - "Atmen nach Mond und Sonne".

Diäten in Hülle und Fülle

Die Erklärung: "Im Mittelpunkt dieser ganzheitlichen alternativen Methode steht das typgerechte Atmen, das uns Wohlbefinden, Gesundheit und ein harmonisches Leben sichert. Erkennen Sie Ihren Atemtyp." Wirklich kein Problem für einen Medizinverlag?

Die meisten Ratgeber sind vorsichtig. Gräfe und Unzer (GU) etwa hat 48 Ratgeber zur Gesundheit im Angebot. Eher über weiche Themen - von Yoga über Trennkost bis zu den unvermeidlichen Schüßler-Salzen. Aber auch "Die 8 Anti-Krebs-Regeln". Allerdings wird die rote Linie hier nicht überschritten: Es gehe nicht darum, die ärztliche Behandlung zu ersetzen: "Das Autorenteam hat ein Konzept erarbeitet, mit dem man mit Hilfe des Ernährungs- und Lebensstils die Wirksamkeit von Krebstherapien steigern kann", heißt es. "Uns geht es eher um Vorbeugung und Unterstützung", sagt Claudia Uhr von GU. "Die Bücher werden von Ärzten geschrieben, oft mit Unterstützung von Journalisten - und die kennen die Grenzen, wann die Leser zum Arzt gehen sollten."

Man muss offensichtlich kein Arzt sein, um einen Gesundheitsratgeber zu schreiben. Fantasie sollte man allerdings haben. Unter dem Suchbegriff "Quantenheilung" etwa listet das Online-Versandhaus Amazon 194 Bücher. Aber was ist das? Dem weltgrößten Lexikon Wikipedia ist der Begriff unbekannt. Die Schulmedizin kennt ihn ebenfalls nicht. Beispiele für fantastische Behandlungen gibt es ohne Zahl: "Heilen mit Zeichen", ein Buch über die "Medizin zum Aufmalen". Oder "38 Heilsteine für ein gesundes Leben". Oder auch "Moon Power", das "komprimierte Mondwissen für über 100 Tätigkeiten aus allen wichtigen Bereichen", von der richtigen Zeit für Operationen bis zur Nagelpflege. Und natürlich mit dem besten Zeitpunkt zum Abnehmen, dem großen Bereich der Ratgeber.

Überhaupt Diät: Zum Abnehmen gibt es ein unerschöpfliches Angebot. Es gibt eine "90-Tage-Diät" und eine "17-Tage-Diät", eine "2-Tage-Diät" und eine "24-Stunden-Diät". Es gibt "Schlank-im-Schlaf"-Bücher für Berufstätige, für Frauen und für Vegetarier. Alles ist neu, revolutionär besser, ultimativ anders. Amazon listet allein unter der Begriffskombination "Diät" und "Revolution" 88 Treffer. Die Versprechen einiger Ratgeber erinnern dabei an die Wundertinkturen fahrender Chirurgen im Mittelalter: ein Mittel gegen jede Art von Gebrechen.

Wenn auf den Titelseiten der Ratgeber nicht "revolutionär" zu lesen ist, steht dort meist "sanft" oder "individuell", fast immer aber "natürlich". Die Autoren schreiben vom "Leben im Einklang mit der Natur". Einige Bücher haben pseudoreligiöse Züge und preisen sich etwa als Grüne Bibel, als "Die neue Vitamin-Bibel", als "Fett-weg Bibel". Der Erfolg gibt ihnen Recht, zumindest wirtschaftlich. Allein im ersten Halbjahr 2013 haben die Ratgeber (inklusive aller Bereiche wie Essen und Trinken, Heimtier, Hobby oder Garten) 277 Millionen Euro umgesetzt, so die Gesellschaft für Konsumforschung. Bücher über Körper, Geist und Seele waren mit 77,7 Millionen Euro dabei.

Nachfrage nach Fitness-Büchern steigt

Die Versuchung, sich an dem großen Kuchen zu beteiligen, ist groß. Allerdings gibt es eine leichte Verschiebung: "Die Gesundheitsratgeber gehen leicht zurück, die Nachfrage nach Fitnesstiteln steigt dagegen momentan", sagt Claudia Uhr von GU. Auch in diesem Segment wird geklotzt: Es gibt Fitness für Clevere, Dummies und Gestresste: Sogar ein "Fitness-Training fürs Gesicht" ist erhältlich. Vielleicht gibt es bald auch den Ratgeber "Fitness im Schlaf". Oder, umfassender: "Fit, gesund, potent und schön in 24 Stunden".

Die Gedanken sind frei, Papier ist geduldig. Viele Ratgeber enthalten sinnvolle Tipps und helfen, mit Krankheiten klug umzugehen. Aber einige Autoren versprechen Heilung, wo es keine gibt, und verhindern dadurch eine sinnvolle Behandlung. Bleibt zu hoffen, dass die Leser viele dieser Bücher eher als Unterhaltung verstehen denn als Ratgeber. Die Übergange sind tatsächlich fließend.