Herbert Grönemeyer„Ich habe mich nie um Erfolg geschert"

„An der Ostsee kann man gut durchatmen. Die Ruhe, die Weite: Das passt", sagt Grönemeyer.
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Warnemünde – Was verschlägt Sie ausgerechnet nach Warnemünde?
Wir proben hier mit der Band für die anstehende Tournee. An der Ostsee kann man gut durchatmen. Die Ruhe, die Weite - das passt.
Das erinnert an Ihr Stück "Morgen" mit der Zeile: "Und ist der Weg zu mir selbst dir zu weit - wirst du morgen noch mit mir tanzen?"
Nehmen Sie diese Zeile etwa persönlich?
Na ja, ich bin gerade aus Bonn angereist.
Okay, das ist wirklich weit. Für Bonner kann es aber interessant sein, mal ein Gewässer zu sehen, das noch breiter ist als der Rhein.
Meer und Schiffe verwenden Sie gerne als Bilder. Woher kommt das Interesse?
Wir sind früher oft ans Meer nach Holland gefahren. Das hat mich schon als Kind fasziniert. Trotzdem hat beim Album "Schiffsverkehr" keiner meine Seeromantik verstanden.
Und welches Ziel haben Sie mit dem neuen Album verfolgt?
Ich wollte entspannter klingen, cooler. Ich fühle mich momentan sowieso im Überschwang.
Vertonung von Goethes „Faust"
Was stimuliert Sie?
Ich vertone gerade den „Faust" für eine Inszenierung von Bob Wilson. Drei Stunden Musik. 22 Songs.
Wie vertont man „Faust"?
Das habe ich mich auch gefragt, aber es geht. Zum Glück muss ich keine eigenen Texte schreiben, ich nehme die von Goethe.
In welchem Stadium befindet sich ein Album, bevor Sie ins Studio gehen?
Ich gehe ins Studio, wenn ich fünf, sechs Stücke am Klavier geschrieben habe. Dann weiß ich: Es passiert wieder etwas in meinem Kopf. Ich weiß zwar noch nicht, wohin die Reise gehen wird, aber ich fange schon mal an. „Uniform", "Fang mich an" und "Unser Land" habe ich erst im Studio in Stockholm geschrieben.
„Uniform" handelt vom gläsernen Menschen in der digitalen Welt. Da hat sich bei Ihnen offenbar viel aufgestaut, oder?
Ja! 14, 15 Seiten Text kamen zusammen. Stasi-Akten müsste man heute gar nicht mehr anlegen, die Leute geben ja freiwillig alles von sich preis. Wir glauben, im Netz einer Gemeinschaft anzugehören, machen aber letztlich auch dort nichts anderes, als uns selber zu promoten.
Stört es, wenn Konzertbesucher mit ihren Handys filmen?
Es ist befremdlich. Es gibt Besucher, die bei Liedern, die sie langweilig finden, einfach ein Spiel hochladen.
Die Bochumerin Ursula Tharr hat unlängst eine neue Strophe für Ihren Klassier "Bochum" getextet. Bringt „Gefördert wird, was lebt" den Strukturwandel im Ruhrgebiet auf den Punkt?
Bei der Aktion von Radio Bochum gab es 700 Einsendungen. Und diese Zeile ist beeindruckend, unfassbar klug.
Wenn man bedenkt, dass 1984 in Bochum auch Plakate hingen mit der Aufschrift „Sperrt Grönemeyer ein!"
Es war einigen Westfalen suspekt, dass ich eine Platte „Bochum" nannte, obwohl ich im niedersächsischen Göttingen geboren wurde.
Welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit im Sommer 1984 unmittelbar vor dem großen Durchbruch?
Ich gehe mal noch weiter zurück: Mit meiner Platte "Gemischte Gefühle" aus dem Jahr 1983 sollten wir in Hannover spielen, doch wir hatten nur eine einzige Karte verkauft und mussten absagen. In München hatten wir zehn Karten verkauft, der Veranstalter stellte Biertische in die Alabama-Halle, damit sie voller aussah.
Welches Problem hatte der Künstler Grönemeyer damals?
Meine Plattenfirma hatte mir eine neue Band empfohlen, weil ich so erfolglos war.
Und ich musste die Kollegen davon überzeugen, dass es sich lohnt, mit mir Musik zu machen.
Wie haben Sie das getan?
Ich kam mit Liedern an wie "Ich küsse heiß den warmen Sitz, dort wo du breit gesessen bist". Die Kollegen waren skeptisch, aber ich hatte immer einen Heidenspaß. Ich habe mich nie um Erfolg geschert.
Und wie war der Ansatz beim Album "Bochum"?
Ich hatte vorher immer Produzenten, aber "Bochum" konnte ich machen, wie ich es wollte. Ein abendfüllendes Programm mit deutschen Stücken.
Und dieses Repertoire wollten Sie seinerzeit live testen?
Ja, die Jazz Galerie in Bonn etwa war eine tolle Adresse. Ich hatte meinen Spaß. Nach dem Konzert kam "Bochum" heraus, und wir verkauften plötzlich 15 000 Platten - am Tag.
Stimmt heute die Chemie in der Band?
Klar, man geht zusammen durchs Leben. Tourneen kann man ganz anders genießen, wenn man mit Freunden unterwegs ist. Das sind tolle Menschen und tolle Musiker. Nur: Man musste sich damals aneinander gewöhnen.
Was war der Knackpunkt?
Die Band meinte, mein Klavierspieler sei ausbaufähig, mein Timing ebenfalls. Es dauerte Jahre, bis ich bandintern akzeptiert wurde.
Und warum hat das so lange gedauert?
Ich war in all meinen Bands immer der Sänger. Ich hatte schon mit 13 eine Stimme wie heute - und fand mich toll. In der neuen Band jedoch wurde mir klargemacht: Also, singen kannste nicht, Klavierspielen kannste nicht, Gitarre geht. Und ich sagte immer nur: Aber ich bin doch gut drauf!
Wie liefen in dieser Zeit die ersten Tourneen ab?
Wir fuhren mit einem ausrangierten Linienbus von Stadt zu Stadt und wünschten uns als richtige Rock "n" Roll-Band vom Tourneeveranstalter einen Bus mit Schlafgelegenheiten. Er nahm die Sitze heraus und baute einfach ein paar Ikea-Betten ein.
„Was kann man nicht nicht spielen?"
Heute spielen Sie in großen Hallen, in diesem Jahr auch ein paar Open-Airs. Brauchen Sie den Kick, die Massen zu rocken?
Auf der Bühne zu stehen ist wie Küssen: Wenn man das mal erlebt hat, möchte man es nicht mehr missen. Die Größe ist nicht entscheidend.
Steht die Dramaturgie der Shows bereits?
Das hat mich meine Band auch gefragt. Ich sach nur: Langsam, Leute!
Also keine großen Überraschungen?
Na ja, der Kopf rattert. Vielleicht bauen wir eine zweite Bühne für die intimeren Stücke auf.
Und das Repertoire?
Wichtig bei Konzerten ist immer die Frage: Was kann man nicht nicht spielen?
Nicht nicht?
Ja, Stücke, die man auf keinen Fall weglassen sollte.
Gibt es regionale Unterschiede beim Publikum?
Ja. Die Hamburger sind reservierter, aber wenn sie mal da sind, wollen sie nicht mehr nach Hause. Die Westfalen wiederum wollen erst mal testen, ob der Grönemeyer noch der Alte ist. Und in Köln oder Bonn müsste ich eigentlich gar nicht erst auftreten, die Leute sind schon von selber gut drauf.