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„Im Netz der Versuchung“ neu im KinoMcConaughey mimt den trunksüchtigen Kapitän

Lesezeit 4 Minuten
Im Netz der Versuchung

Matthew McConaughey als Baker Dill

Baker Dill (Matthew McConaughey) lebt auf der Insel Plymouth irgendwo vor der Küste Floridas eigentlich mitten im Paradies. Die Sonne scheint ohne Unterlass, das Meer erstrahlt in feinstem Postkartenblau, die Zuckerrohrfelder wiegen sich im Wind. Am beschaulichen Hafen liegt die Yacht am Steg, auf der der begeisterte Hochsee-Angler jeden Tag mit betuchten Touristen hinaus fährt, um die ganz großen Fische zu fangen.

Aber auch wenn alle Lebensqualität-Parameter stimmen, ist Baker Dill kein glücklicher Mann. Er trinkt zu viel, raucht wie ein Schlot und wird nicht nur von seinen Erlebnissen als Soldat im Irak-Krieg verfolgt, sondern auch von Erinnerungen an das eigene, gescheiterte Familienleben. Vor allem aber ist Baker besessen von einem riesigen Thunfisch, der ihm schon mehrfach wieder vom Haken gegangen ist. Wie einst Captain Ahab in Hermann Melvilles „Moby Dick“ jagt er einem Fisch hinterher, der ihm überlegen zu sein scheint.

Wenn das mysteriöse Meereswesen angebissen hat, geht der Captain auch schon einmal auf die zahlende Kundschaft mit dem Messer los, wenn die ihre vertragsgemäßen Ansprüche auf die Übergabe der Angelroute geltend macht. Aber dann steht eines Tages seine Ex-Frau Karen (Anne Hathaway) im hellen Designer-Kostüm auf dem Steg und schlägt ihm ein Geschäft vor: Baker soll ihren schwerreichen Ehemann Frank (Jason Clarke), der sie regelmäßig misshandelt, mit auf Tour nehmen und an die Haie verfüttern. Dafür winkt nicht nur eine Entlohnung von 10 Millionen Dollar. Durch den Mord könnte auch das Seelenheil des gemeinsamen Sohnes gerettet werden, der unter dem gewalttätigen Stiefvater leidet und zu dem Baker eine geradezu telepathische Nähe empfindet.

Schleier des Surrealen breitet sich aus

Mit paranormalen Tagtraumsequenzen zwischen Vater und Sohn schürt Regisseur Steven Knight in seinem sonnendurchfluteten Noir-Thriller „Im Netz der Versuchung“ schon früh Zweifel an der Tragfähigkeit der filmischen Wirklichkeit, welche sich im Verlauf der Handlung schleichend verdichten. Schon die Anfangssequenz, in der in Nahaufnahme ein Auge gezeigt wird, in das die Kamera hinein taucht, um danach aus den Tiefen des Meeres wieder aufzusteigen, deutet auf die subjektive Wahrnehmung der nachfolgenden Ereignisse hin.

Ein Schleier des Surrealen liegt über dem Geschehen. Zu idyllisch erscheint die paradiesische Insel. Zu klischeehaft deren Bewohner von der allwissenden Angelladen-Besitzerin über den verständnisvollen Wirt bis zum Steuermann, der immer wieder versucht, seinen Kapitän auf Kurs zu bringen. Wie aus einem Genrefilm ausgeschnitten wirken die Femmme-Fatale-Auftritte der Ex-Frau und die abgrundtiefe Widerlichkeit ihres Verbrechergatten.

Im Netz der Versuchung (1)

Anne Hathaway als Ex-Frau Karen

All diese sich langsam steigernden Überzeichnungen laufen schließlich auf eine radikale Plotwendung zu, die die Wahrnehmung des Zuschauers auf den Kopf stellen soll. Aber der Truman-Show-Trick, mit dem Knight im letzten Filmdrittel eine neue Erzählebene einzieht, will seine erhellende Wirkung nicht entfalten. Allzu stolz zeigt der Film, wie er sein Publikum an der Nase herum geführt hat. Die große emotionale Erleuchtung, die danach im Finale entzündet werden soll, ist allerdings nur eine dünne Wunderkerze. Das verwundert umso mehr, weil Steven Knight als viel beschäftigter und versierter Drehbuchautor einige Erfolge vorzuweisen hat.

David Cronenbergs „Eastern Promises“, Robert Zemeckis „Alied: Vertraute Feinde“ und Lasse Hallstöms „Madame Mallory und der Duft von Curry“ beruhen auf Knights Entwürfen, und mit „No Turning Back“ legte der Brite 2013 sein vielversprechendes Regiedebüt vor. Ein Mann, ein Auto und eine Freisprechanlage reichten ihm hier aus, um Shakespeare'sche Wucht zu entwickeln. Von einer solchen ästhetischen Entschlackung und dramatischen Konzentration ist „Im Netz der Versuchung“ weit entfernt. Allzu aufgeregt zappelt die Geschichte umher, weil sie es kaum abwarten kann, endlich das Kaninchen aus dem Hut zu zaubern.

Im Netz der Versuchung (2)

Djimon Hounsou (l) als Maat Duke und Matthew McConaughey als Fischerboot-Kapitän Baker Dill

Dauernd auf dem Gaspedal der Eskapaden

Matthew McConaughey ist diesbezüglich auch keine große Hilfe. Seit er 2013 den Oscar für „Dallas Buyers Club“ erhalten hat, scheint er sich in Hollywood als zertifizierte Rampensau etablieren zu wollen und ergibt sich regelmäßig vor der Kamera dem ungebremsten Overacting. Hier ist er in fast jeder Filmsekunde zu sehen, darf als trunksüchtiger Seefahrer gründlich auf den Hund kommen, animalisch in die dunkle Nacht hinausbrüllen und seinen trainierten Körper in gut durchfeuchteten Textilien oder gern auch splitterfasernackt zur Schau stellen. Wenn dann die Stunde der Enthüllung kommt, bleibt McConaughey mit dem Fuß auf dem Gaspedal und ist nicht in der Lage, die Tiefenverunsicherung seiner Figur zu vermitteln.

Es gibt einige Filme, die den finalen Twist als erzählerische Irritation kultiviert haben. Das bekannteste Beispiel ist M. Night Shyamalan „The Sixth Sense“, den nicht wenige Zuschauer ein zweites Mal angeschaut haben, um mit dem erworbenen Wissen das Erlebte neu zu überprüfen. Auf die Idee dürfte in diesem Fall wohl kaum einer kommen.

Zum Film

Im Netz der Versuchung USA 2019, 106 M., R Steven Knight, D Matthew McConaughey, Anne Hathaway

Fazit: Eine radikale Plotwendung will ihre erhellende Wirkung nicht entfalten und verpufft in einem unbefriedigenden Finale.