Interview mit Christoph Waltz„Gelernt, was für ein Viech der Mensch ist“
Herr Waltz, dieses Interview findet über den Internetdienst Skype statt. Mögen Sie das lieber, als Ihrem Interviewer persönlich gegenüberzusitzen?
Ich habe das schon einmal gemacht und ich finde diese Methode lächerlich. Aber es bleibt uns leider nichts anderes übrig. Schließlich sitze ich geschätzt 20000 Kilometer von Ihnen entfernt auf Hawaii, weil ich da einen Film drehe.
Christoph Waltz wurde 1956 in Wien geboren. Er ist Vater von drei Kindern.
Waltz studierte am Max-Reinhardt-Seminar und dem Lee Strasberg Institute. Seit Ende der 70er Jahre spielte er in zahlreichen TV- und Kinoproduktionen, etwa „Die Roy Black Story“ (1996) und „Der Tanz mit dem Teufel – Die Entführung des Richard Oetker“ (2001). Sein internationaler Durchbruch kam 2009 mit der Rolle als SS-Oberst Hans Landa in Quentin Tarantinos „Inglorious Basterds“.
Sein neuer Film „Zero Theorem“ kommt am 27.11. in die Kinos.
In Ihrem aktuellen Film „Zero Theorem“ kommunizieren Sie auch hinlänglich mit Hilfe von Computern. Was ist Ihre Einstellung zur Technologie?
Dass wir uns hier über eine so große Entfernung unterhalten können, ist natürlich positiv. Aber insgesamt habe ich das Gefühl, dass nicht wir die Technologie zu unserem Vorteil nutzen, sondern umgekehrt. Wir stecken im Mittelalter der Technologie. Wir haben noch nicht den Punkt erreicht, wo wir sie elegant und ohne Anstrengung nutzen können.
Wobei es im Film letztlich um philosophische Fragen zum Sinn oder Unsinn des Lebens geht. Haben Sie und Regisseur Terry Gilliam auch privat über solche Themen gesprochen?
Oh ja. Wir begannen mit der Lektüre von Schopenhauer und sobald wir damit durch waren, haben wir uns ein bisschen mit Existenzialismus beschäftigt und zuletzt diskutierten wir die aktuellen Philosophen. Eineinhalb Jahre später haben wir unseren Film gedreht.
Scherz beiseite – „Zero Theorem“ schickt Ihre Figur auf einen aberwitzigen Trip durch metaphysische Konstrukte. Wie geht man als Schauspieler an so ein Projekt heran?
Erstmal habe ich für meine Rolle die Haare mehr oder weniger an allen Stellen abrasiert. Was meine sonstige Vorbereitung anbetrifft, die geht Sie eigentlich nichts an. Aber grundsätzlich war ich für all die Exzentrizitäten und Eigentümlichkeiten offen und habe mich darauf eingelassen. Es gab auch gar keine Zeit, um das alles in Frage zu stellen. Jeder kannte das Drehbuch und jeder verstand es bis zu einem gewissen Grad – ich weiß nicht, auf welchem Platz der Skala ich gelandet bin. Aber Terry Gilliam hat eine so gewinnende und anziehende Persönlichkeit, dass du ihm einfach nur auf seinem Pfad folgen möchtest.
Es dauerte ja bis zu Ihrem 53. Lebensjahr, bis Sie mit „Inglorious Basterds“ solche aufregenden Trips im internationalen Kino absolvieren konnten. Hatten Sie trotz aller Frustrationen je überlegt, vorher aufzuhören?
Nein. Ich bin mit einer ziemlichen Portion Sturheit gesegnet. Ich würde trotz aller Haderei nie erwogen haben, die Erfahrungen, die ich über viele Jahre gesammelt habe, einfach für wertlos zu erklären und etwas anderes zu machen. Denn wenn ich etwas anderes machen würde, dann bräuchte ich auch viele Jahre. Das ist eine Gesetzmäßigkeit bei mir. Am Anfang geht es irrsinnig schnell. Ich weiß nicht, wie viele Musikinstrumente ich gelernt habe. Zu Beginn sagten die Lehrer immer „Was ist denn das für ein Talent!“ Und dann bleibt’s dabei. Bei den Instrumenten habe ich es nie wirklich konsequent weiterverfolgt. Deshalb kann ich auch keines. Bei der Schauspielerei lief es in den ersten Jahren irrsinnig gut, und danach folgte diese elend lange Strecke in der Mitte, 25 Jahre lang. Und die wollte ich einfach durchstehen, nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen. Wobei ich die Entwicklung dieser letzten Jahre nicht erwartet hätte.
Nachdem Sie von Ihren Lehrern sprechen – wie war eigentlich Ihre Schulzeit?
Lang und fad. Ich habe sowohl negative wie positive Erfahrungen gemacht, und war insofern normal. Ich war nie herausragend gut und nie herausregend schlecht. Ich habe mich nie wirklich krummgelegt und immer das Nötigste gemacht. Ich war in manchen Fächern uninspiriert und in anderen inspiriert. Das hat sich abhängig von den Lehrern auch verändert.
In welchem Fach waren Sie langfristig am inspiriertesten?
Deutsch. In Latein hatte ich in den letzten drei Jahren eine Lehrerin, die eine ziemlich inspirierte und daher inspirierende Person war. Sie sagte zu mir: „Das glaub’ ich dir schon, dass du den Ovid oder Horaz wortwörtlich übersetzen kannst, aber gib dem Ganzen mal deine eigene Form.“ Und dann bin ich interessanterweise in kürzester Zeit ziemlich gut geworden.
Haben Sie damals Autoren für sich entdeckt, die lebensprägend wurden?
Ich habe damals nicht so wahnsinnig viel gelesen – das kam erst später, und da gab es Bücher, die mir – ohne dass ich es bewusst wahrnahm – ein völlig neues Interesse erschlossen.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel „Der nackte Affe“, das ich in den 80ern gelesen habe. Der britische Zoologe Desmond Morris hat darin Ende der 60er analysiert, wie das Sozialverhalten des Menschen biologischen Bedingungen unterworfen ist. Danach habe ich angefangen, über Verhaltensforschung zu lesen. Es ist unglaublich interessant, was für ein Viech der Mensch ist.
Aber als Mensch haben Sie wohl auch Eigenschaften, die Sie über die Existenzform eines Viechs hinausheben?
Gelegentlich zeigt der Mensch eine Geistigkeit, die über die des Viechs hinausreicht und die ihm Dinge ermöglicht, die einem Viech nicht zur Verfügung stehen...
Filme zu machen etwa...
Naja, im Idealfall vielleicht.
Und an einen Oscargewinn zu denken...
Wer daran denkt, der ist geistig ziemlich beschränkt.