Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Interview mit ExpertenBeim Kinderwunsch ist das Alter erheblich

Lesezeit 5 Minuten
Kinderwunsch

Je öfter es nicht klappt mit dem Schwan­ger­wer­den, umso schwie­ri­ger wird für Paare ein un­be­fan­ge­ner Umgang mit­ein­an­der.

Dr. Stefan Palm ist Reproduktionsmediziner und Ärztlicher Leiter der PAN-Klinik in Köln. Mit ihm sprach Chri-stina Rinkl über die Möglichkeiten, Paaren ihren Kinderwunsch zu erfüllen.

Herr Palm, sind die Ursachen für unerfüllte Kinderwünsche ähnlich oder je nach Paar ganz verschieden?

Ungefähr zu einem Drittel sind es weibliche Ursachen, zu einem Drittel männliche, und zu einem weiteren Drittel liegt es an beiden. In der Praxis erleben wir aber vor allem einen Faktor als das größte Problem: das Alter der Frau. Dies hat eine wesentlich einschneidendere Bedeutung als beim Mann.

Warum eigentlich?

Der Erfolg einer Kinderwunschbehandlung hängt wesentlich von der Anzahl verfügbarer Ei- und Samenzellen ab. Während der Hoden des Mannes meist lebenslang neue Samenzellen bildet, ist bei der Frau die Entwicklung der Eizellen im Eierstock abgeschlossen, während sie noch im Bauch der Mutter ist, also zwischen der 20. und 22. Schwangerschaftswoche. Ein weiblicher Fötus hat zwischen drei und vier Millionen Eizellen.

Was passiert danach?

Danach gehen zunehmend Eizellen verloren durch Apoptose, einen natürlich programmierten Zellabbau. Wenn das Mädchen ihre erste Blutung bekommt, verbleiben meist nur noch 500 000 bis 600 000 Eizellen für die folgenden Monatszyklen. Im Alter zwischen 20 und 30 verliert eine Frau rund 40 Eizellen am Tag, das wird dann irgendwann zum Mengenproblem. Und ab 30 wird es zunehmend auch zu einem Qualitätsproblem, das anfangs noch therapeutisch ausgleichbar ist. Nach 37 wird dies zunehmend schwieriger. Danach eignet sich etwa nur jede achte bis zehnte Eizelle zur Einnistung und Fehlgeburten nehmen zu. Frauen ab 35 machen in unserer Klinik einen wesentlichen Anteil der Patientinnen aus.

Entscheiden sich viele Paare heute einfach zu spät für ein Kind?

Tja, das ist auch ein gesellschaftliches Problem, es ist bei uns immer noch schwierig, Beruf und Familie miteinander sinnvoll zu vereinbaren. Viele Frauen machen nach 30 ihren ersten Karrieresprung und warten dann erstmal noch mit der Familienplanung. Zunehmend lassen Frauen deshalb auch ihre Eizellen durch Social Freezing vorsorglich einfrieren.

In welchem Alter müssen Paare daran denken, ein Kind zu kriegen, wenn sie eines wollen?

Das wurde vor einigen Jahren in einer Allensbach-Umfrage sinngemäß gefragt. Mehr als 50 Prozent antworteten: mit 40 Jahren. Das ist definitiv zehn Jahre zu spät! Bis zum 30. Lebensjahr wäre es optimal, ab 35 ist es sinnvoll, bereits bei mehrmonatigem Ausbleiben einer Schwangerschaft oder nach einer Fehlgeburt ein Kinderwunschzentrum aufsuchen.

Was macht eine gute Kinderwunschklinik aus?

Dazu tragen im Wesentlichen vier Faktoren bei: eine hohe Geburtenrate, eine geringe Komplikationsrate, wenig Mehrlingsschwangerschaften und die Erfahrungen aus einer großen Anzahl von betreuten Patienten. Sie sehen daran, nicht nur die "Baby-Take-Home"-Rate ist wichtig, sondern auch, dass die Patienten unbeschadet durch die Therapie kommen - das ist nicht selbstverständlich. Insbesondere Mehrlingsschwangerschaften bedeuten immer ein deutlich erhöhtes Risiko, dem wir Mutter und Kind nicht aussetzen wollen.

Wie hoch ist die "Baby-Take-Home"-Rate in der PAN-Klinik?

Diese Frage muss man differenziert beantworten. Bei unseren Patienten bis 35 zwischen 30 und 40 Prozent pro Embryotransfer-Zyklus. Das Alter ist hier ein wichtiger Faktor, es kommt aber auch auf die Zusammensetzung des Patientenklientels und insbesondere auf die noch vorhandene Eizellreserve an. Deshalb müssen Erfolgsraten immer an definierten Patientengruppen festgemacht werden.

In jedem zehnten Fall können die Ursachen für Kinderlosigkeit nicht geklärt werden. Wieso?

Diesen Anteil kann man heute deutlich senken. Wenn man sorgfältig untersucht, kann in den meisten Fällen die Ursache definitiv geklärt werden - aber eben nicht immer! Zum Beispiel können auch Stoffwechselstörungen bei Übergewicht und eine Insulinresistenz wesentliche Kofaktoren sein. Wenn man die Patienten interdisziplinär gemeinsam mit Fachkollegen untersucht, wird man auch meist eine Diagnose stellen und dann die Therapie zielgenauer bestimmen können.

Als Laie denkt man oft, es liegt an der Psyche. Doch nur bei einem kleinen Teil der Frauen soll das tatsächlich der Grund für den unerfüllten Kinderwunsch sein. Oder?

Früher nahm man an, dass es in 30 Prozent der Fälle so sei. Klar ist, dass die Psyche einen wichtigen Anteil an der Behandlung hat. Unsere Eingangsuntersuchungen zeigen, dass tatsächlich 25 Prozent der Paare durch den unerfüllten Kinderwunsch wesentlich psychisch beeinträchtigt sind. Die Erwartungen sind bei den Paaren sehr hoch. Wenn es mit dem Kinderwunsch nicht klappt, belastet das oft beide Partner gleich. Die Entscheidung für eine Kinderwunschbehandlung fällt den Patienten meist nicht leicht, deshalb stellt die Therapie für sie oft auch eine erhebliche Belastung dar. Man muss daher darauf achten, dass man durch die Behandlung nicht ein zusätzliches Problem schafft. Dies erfordert ärztliches Einfühlungsvermögen und oft eine begleitende psychosomatische Betreuung.

Wie sieht die Zukunft der Reproduktionsmedizin aus?

Im Vordergrund steht die weitere Verbesserung und Sicherheit unserer Behandlungsmethoden. Unsere größte Herausforderung sind nach wie vor ältere Frauen, bei denen wir wegen ihrer nachlassenden Eierstockfunktion nicht ausreichend helfen können. Die Eizellspende ist hier eine weltweit häufig praktizierte Alternative. In Österreich wurde sie 2015 zugelassen, während bei uns noch Vorbehalte bestehen. Es wird gegenwärtig über ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz diskutiert, das vielleicht zukünftig auch diese Therapie bei uns ermöglichen kann. Zukunftsmusik ist die Reprogrammierung von adulten Stammzellen in Ei- und Samenzellen. Bei Mäusen hat das bereits funktioniert, aber von der Maus zum Menschen ist noch ein weiter Weg. Auch die Entwicklungen in der molekularen Genetik werden zunehmend Bedeutung bekommen.