Interview mit Klaus DoldingerDie unverwechselbare Doldinger-Sprache

Der Jazz-Musiker Klaus Doldinger posiert mit seinem Saxophon vor dem Schlossturm in Düsseldorf für die Jazz Rally in der Landeshauptstadt.
Copyright: dpa Lizenz
Köln – Wir treffen Klaus Doldinger in seiner Suite in einem Kölner Hotel. Er trägt ein kariertes Hemd mit viel Gelb und Grün, darunter ein blaues T-Shirt, darüber ein blaues Cord-Sakko. "Ach", sagt er, als er den Stapel alter Doldinger-Platten sieht, die wir mitgebracht haben, und fängt gleich an zu erzählen. Natürlich gibt es zu jeder Platte etwas zu sagen. Der Jazz-Saxofonist und Komponist ließ sich schon früh von anderen Kulturen inspirieren. Afrika, Indien, Nord- und Südamerika. Doldinger saugte alles auf und prägte so seinen unverwechselbaren Doldinger-Sound. Im kommenden Jahr wird er 80 Jahre alt, vor wenigen Tagen erschien ein aktuelles Album mit seiner Band Passport. "En Route", das nur so vor jugendlicher Frische strotzt. Mit Klaus Doldinger sprach Cem Akalin.
Geboren am 12. Mai 1936 in Berlin. Von 1940 bis 1945 lebt die Familie in Wien, danach in Bayern und Düsseldorf.
Doldinger studiert Klavier und Klarinette, ab 1952 spielt er Dixie-Jazz in einer Band und wechselt zum Modern Jazz. 1962 gründet er das Klaus Doldinger Quartett.
1970 schreibt Doldinger die Titelmelodie zum "Tatort", 1981 die Musik zum Kinohit "Das Boot".
1971 gründet Klaus Doldinger die Band Passport, am Schlagzeug sitzt zunächst Udo Lindenberg. In der vergangenen Woche erschien mit "En Route" das 34. Album von Passport.
Klaus Doldinger lebt mit Ehefrau Inge bei München.
Düsseldorfer Jazz Rally Klaus Doldinger ist seit vielen Jahren Schirmherr der Düsseldorf Jazz Rally, wo er regelmäßig auftritt. Beim diesjährigen Festival ( Mai) spielt er bei einer Jazz Sessionen im Breidenbacher Hof, Königsallee 11, am 23. Mai, 22.30 Uhr
Konzerte mit seiner Band Passport4. Juni: Würzburg, Africa Festival / 10. Juni: Berlin, Schloßparktheater / 12.Juni: Frankfurt, Alte Oper (u. a.)
Mit 16 haben Sie angefangen, Musik zu machen. Welche Musik würde Klaus Doldinger heute machen, wenn er 16 wäre?
Schwer zu sagen. Dass ich zum Jazz gekommen bin, hat ja auch eine biografische Vorgeschichte.
Nämlich?
Erstmals mit Jazz in Kontakt gekommen bin ich im Alter von neun Jahren. Kriegsende, Oberbayern, Amerikaner marschieren ein, ich hör meinen ersten Jazz! Das hat mich sofort mitgerissen. Davor gab es nur deutsche Volkslieder, Marschmusik und so.
Und es ging gleich los mit Sidney Bechet?
Nein, den habe ich erst später entdeckt. Am Anfang war das, was die GIs eben hörten. Glen Miller und so was.
Also Tanzjazz?
Richtig. Dann kam die Entdeckung des Blues hinzu, was dazu führte, dass ich später immer wieder bei Blueskünstlern aufgetreten bin. Aber die 60er Jahre haben mich dahin geführt, wo dann später meine Band Passport entstanden ist.
Was genau meinen Sie?
Die Begegnung mit Rock, Beat-Musik, den Rattles, Liverbirds. Für einen, der aus dem Jazz kam und sich in den Bebop entwickelt hatte, war es interessant, Musik zu entdecken, die etwas simpler strukturiert war und Leute zum Tanzen brachte. Als ich von einer Südamerika-Tournee zurückkehrte, dachte ich: Jetzt muss was Neues her. Und dann kam Passport.
1952 haben Sie mit dem Jazz begonnen. Hatte diese Hinwendung auch etwas mit der inneren Einstellung zu tun?
Absolut. Wir waren auf einem ziemlichen Konfrontationskurs zur älteren Generation, und bei mir ging es nicht nur gegen die Schule.
Sondern?
Ich hatte auch Probleme im Elternhaus. Meine Eltern waren überhaupt nicht einverstanden. Sie hatten den wunderbaren Einfall, mich auf das Robert Schumann Konservatorium in Düsseldorf zu stecken.
Eine solide Ausbildung.
Ja, ich habe eine klassische Ausbildung durchlebt.
Es hatte aber schon mit Auflehnung zu tun?
Natürlich. Wir waren so was wie non grata. Für viele Leute war das "Ami-Jazz". Wir wurden nicht mit offenen Armen empfangen. Was später der Punk war, war damals der Jazz.
Hat der Jazz heute noch diese Kraft des Auflehnens?
Kann er gar nicht haben! Damals war Jazz eine Art Gegenmittel zum bürgerlichen Leben. Der Angelpunkt für junge Leute heute wäre es, sich über eine freie, selbstgestaltete Musik zu äußern - im Gegensatz zur notenabhängigen klassischen Musik. Viele andere Stile können das bieten, aber das ist nicht mit dem Jazz vergleichbar.
Was hat Sie am Jazz gereizt?
Die Freiheit!
Verfolgen Sie noch, was sich in der Musikszene tut?
Natürlich. Auch über YouTube. Das ist ein Gewinn, aber auch eine Gefahr. Überhaupt macht das Internet fast das große Musiklexikon überflüssig.
Wie steht es um den Nachwuchs?
Ich sitze in der einen oder anderen Jury, und da sind hervorragende Musiker unterwegs. Ob es ihnen gelingt, etwas Eigenes zu entwickeln, ist eine andere Frage.
Das neue Album heißt "En Route", also immer noch unterwegs. Ist das ein Statement?
Eigentlich ist der Titel als kleiner Fingerzeig nach Frankreich zu verstehen. Ich habe viel dort gespielt, früher oft im Blue Note in Paris, wo wir mal den Opener für Miles Davis gemacht haben. Er hat damals erstmals mit Herbie Hancock und Tony Williams gespielt.
Es gab auf Ihren Alben häufig Stücke, die auf die jeweiligen Einflüsse hinwiesen: indische, afrikanische, lateinamerikanische. Wie ist das dieses Mal?
Dieses Mal ging es mir darum, das Gesicht der Band auf einem Album festzuhalten - zu zeigen, was ihr Spaß macht. Das Stück "Playground Jam" etwa ist live entstanden. Es entwickelt sich aus einem völlig frei gespielten Einleitungsteil, der in eine Art Latin-Rhythmus übergeht, aber das Ostinato bleibt, und dann landet es innerhalb der Soli in einem
Bluesformat.
Die Stücke "Polysadness" oder "Infusion Rag" strotzen vor Kraft. Das klingt nicht gerade nach der Musik eines fast 80-Jährigen, oder?
Das liegt auch an der tollen Band. "Infusion Rag" entstand letztes Jahr. Ich sollte bei der Grimme-Preisverleihung die "Tatort"-Musik spielen, wollte aber was anderes machen. Ich habe einen deutsch-türkischen Rapper engagiert: Eko Fresh hat einen Text geschrieben, ich habe einen Rhythmus-Loop programmiert, und dazu ergab sich ein neuer Teil, auf dem ich über acht Takte improvisiere. Hinterher kam die Band und sagte: Tolles Solo - können wir nicht was daraus machen?
Das Stück "Stratosport" weicht etwas vom Doldinger-Konzept ab. Sind da Bezüge zum alten Jazz?
Mag sein. Ich hatte tatsächlich das Schlagzeugspiel von Gene Krupa im Sinn, das dann im Piano in einen Viervierteltakt geht. So etwas haben wir von der Struktur und von der Melodie her tatsächlich noch nie gemacht.
Haben nicht alle Ihre Stücke die Melodiösität gemein?
Das wird mir manchmal angelastet. Anzutreten mit erkennbarer Melodik, dazu gehört eine Menge Mut. Es ist viel leichter, etwas Abstraktes zu komponieren. Bei mir ist natürlich viel angeregt worden durch meine Arbeit für Film, Funk und Fernsehen.
Befruchten sich diese beiden Bereiche? Film und Jazz?
Eigentlich schon.
Einiges auf dem neuen Album könnte auch ein Soundtrack sein. Was ist denn schwieriger - Filmmusik zu komponieren oder Lieder für ein Album zu schreiben?
Es ist beides gleich schwierig.
Und was macht mehr Spaß?
Kann ich so nicht sagen. Der Spaß ergibt sich auch auf der Bühne. Etwa wenn wir die Titelmelodie zu "Liebling Kreuzberg" spielen.
Was ist mit dem "Tatort"? Können Sie die Melodie überhaupt noch hören?
Ja, klar!
Diese Melodie ist von 1970, und sie funktioniert immer noch. Wie ist sie entstanden?
Von hier auf jetzt! Ich hatte zur Einführung des Farbfernsehens etwas Orchestrales komponiert. Das war auch mit Quarten, und ich dachte, die Idee könnte ich zum "Tatort" rüber nehmen. Die Serie war ja damals nur als Zehnteiler geplant. Ich habe das Glück, dass mir immer was einfällt.
Ist das einfach nur Glück?
Außerdem schreibe ich mir unheimlich viel auf. Bei mir liegen Berge von Ideen rum. Aber heute mache ich das alles natürlich digital.
Und alles trägt diese unverwechselbare Doldinger-Sprache. Wo kommt die her?
Das hat man entweder in den Knochen oder nicht!
Sie haben keine Erklärung?
Dizzy Gillespie hatte mich mal eingeladen, bei ihm mitzuspielen. Und nach einem Solo nuschelte er mir ins Ohr: Yeah, you sound like a black man!