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Jane GoodallDer "Engel der Schimpansen" wird 80

6 min

Dr. Jane Goodall lebte mit den Affen.

Am Anfang war der Traum. Er heißt "Afrika". So spart Jane Goodall 1956 jedes Pfund, das sie in London tagsüber als Sekretärin und abends als Kellnerin verdient. Später wird die Sekretärin Wissenschaftsgeschichte schreiben, und Jahrzehnte später jubelt der Moderator einer der vielen Preisverleihungen an Goodall: "Wenn es im Naturschutz Rockstars gäbe, wäre diese Frau Mick Jagger, Bob Dylan und Elvis in einer Person." Der Keim für diese Lebensgeschichte liegt im Kopf eines Mannes. Louis Leakey hatte nur eine Ahnung, dann eine Idee, schließlich den Mut, seine Idee gegen alle Spötter umzusetzen.

Leakey gehört in den 1960er-Jahren zu den großen Pionieren der Paläoanthropologie, die das über hunderte Millionen Jahre verästelte Stammbuch des Menschen entschlüsseln will. Er gräbt in Afrikas Erde nach Knochen und Schädelresten und überlegt, an welcher Stelle des Riesenpuzzles sie ihren richtigen Platz haben. Damals gab es eine sehr spezielle Wissenslücke: Was wissen wir über Menschenaffen? Über Orang-Utans, Gorillas und Schimpansen? Nichts Genaues.

Maximale Unvoreingenommenheit

Die Ahnung beginnt mit einer Frage: Welcher Mensch kann Wesen erkunden, die nicht sprechen, sondern nur Laute von sich geben? Leakey vermutet, dass Frauen das können. Verfügen sie nicht über eine besondere Intuition, wenn sie die Bedürfnisse ihrer - (noch) nicht sprechenden - Babys verstehen? Und er hatte noch eine zweite Ahnung: Es sollten Frauen sein, die noch nicht von der Wissenschaft, ihren Methoden und Gewissheiten geprägt waren. Maximale Unvoreingenommenheit war die zweite "Einstellungsvoraussetzung".

Als die 23-jährige Goodall 1957 in Kenia landet, findet sie eine Stelle im damaligen Kenya National Museum, dessen Direktor Leakey war. Sie wird seine Assistentin. Bald schickt er sie zu den Schimpansen in die Wildnis Tansanias. Im Naturreservat Gombe schlägt Goodall ihr Zelt auf: Blechteller, Tasse, Fernglas, Notizblock.

Anfang des 19. Jahrhunderts glaubt Evolutionsbiologe Charles Darwin, der aufrechte Gang des Menschen habe dessen Hände für Werkzeug- und Waffengebrauch "befreit". Als Goodall Mitte des 20. Jahrhunderts sich im Dschungel in manche Affenhorde integriert, glaubt die Welt, Schimpansen seien Vegetarier, und Menschen hätten im Kanon der Arten das Monopol auf Werkzeugherstellung und -gebrauch. Bald beobachtet Goodall, wie Schimpansen mit geschnitzten Ästen in Termitenbauten nach Insekten "angeln". Oder wie sie Steine zu Hammer und Amboss machen und so harte Nüsse knacken. Sie meldet alles Leakey. Der meint: "Entweder müssen wir Werkzeug neu definieren, den Menschen neu definieren oder die Schimpansen zu den Menschen zählen!" Vielleicht hatten auch schon Generationen zuvor erkannt, dass Schimpansen nicht nur Tiere sind. Ihr Name stammt vom angolischen Bantu-Wort Tshiluba kivili-chimpenze ab, was so viel wie "Scheinmensch" bedeutet.

Namen statt Nummern

Goodall gibt jedem Tier einen Namen. Es dauert, bis die Schimpansen nicht mehr flüchten, wenn sie "den weißen Affen" sehen. Bald beobachtet sie, wie Schimpansen andere Säugetiere jagen und sich die Beute teilen - und Fleisch fressen. Oder essen? Monat für Monat versteht sie auch das komplexe Sozialleben besser und beobachtet, wie lange die Mutter-Kind-Beziehung dauert: bis zum Erwachsenenalter.

Die Meldungen aus dem Dschungel umkreisen die Erde. Leakey ermuntert Goodall, sich an der University of Cambridge für eine Doktorarbeit zu bewerben - ohne Studium.

Das strenge Establishment macht eine große Ausnahme, bleibt aber skeptisch, weil sie die "Beobachtungsobjekte" nicht nummeriert, sondern "Fifi", "Wounda" oder "David" nennt. Doch sie setzt sich durch. Bevor das Jahr 1965 endet, heißt sie: Dr. Jane Goodall. Bald kehrt sie als Stanford-Gastprofessorin nach Gombe zurück. Das Wissen wächst weiter: Jede Schimpansengruppe hat ihre eigene Kultur: Fellpflege, Balz, Werkzeuggebrauch. Das lässt auf soziales Lernen schließen. Schimpansinnen sind polygam, wechseln die Gruppe, bevor sie sich fortpflanzen; das senkt die Inzuchtgefahr. Schimpansen, das zeichnet sich ab, sind intelligent, gefühlsstark, auch kriegerisch. Gibt es Revierkämpfe, werden die Säuglinge des Gegners getötet.

Vor der Hütte erschlagen

Goodalls Ziehvater Leakey treibt unterdessen seine Mission weiter und sendet 1966 die 28-jährige Ergotherapeutin Dian Fossey zu den Berggorillas nach Ruanda und zwei Jahre später die 22-jährige Litauerin Biruté Galdikas zu den Orang-Utans nach Borneo. Auch das Leben der Amerikanerin Fossey wird zur Legende und ("Gorillas im Nebel") verfilmt. Auch Fossey kämpft gegen den schrumpfenden Lebensraum "ihrer" Vertrauten - und gegen Wilderer. Ende 1985 endet ihre 18-Jahre-Mission jäh. Sie wird vor ihrer Hütte erschlagen. Vermutlich von Wilderern, sagen die Behörden. Die Täter wurden nie gefasst.

Goodalls aktive Zeit in Gombe, inzwischen Naturpark und Forschungsstation, liegt weit zurück. Die Waldzerstörung hat sich heute bis an die Gombe-Grenze herangefressen. Eine neue Gefahr heißt "Bushmeat" (Buschfleisch), und die Wilderer schießen selbst auf Schimpansen-Mütter, deren Waisen in Gombe großgezogen werden. So sank die Zahl unserer nächsten lebenden Verwandten von geschätzten 1,5 Millionen (1960) in 18 Staaten auf heute rund 300 000. Bei den Gorillas sieht es noch trauriger aus.

"Als ich Gombe verließ, wusste ich nach all dem, was die Schimpansen mir gegeben hatten, was ich tun muss, um ihnen zu helfen. Also wurde ich Aktivistin", erzählt sie in dem Film "Die Lebensreise der Jane Goodall". Ihr Buch "In the Shadow of Man" (1971), in dem sie die Individualität und Dramen der Schimpansen schildert, wird ein Bestseller. 1977 gründet sie das Jane-Goodall-Institut zur Erforschung und zum Schutz wildlebender Tiere mit Filialen in heute 22 Ländern.

Wissenschaftlichen Standard begründet

1991 entsteht in Tansania die Schüleraktion "Roots & Shoots" (Wurzeln & Sprösslinge) zum Erhalt des Waldes, die sich weltweit rasant vermehrt: rund 10 000 Gruppen in mehr als 100 Ländern. 2002 wird sie zur UN-Friedensbotschafterin ernannt. 2003 schreibt die in den USA lehrende Primatologin Amy Parish: "Durch die Einzeltierbeobachtung wurde die Beachtung von Individuen, wie sie von Goodall und Fossey begründet worden war, zum wissenschaftlichen Standard." 2012 berichtet "Nature": Der genetische Unterschied vom Menschen zum Schimpansen beträgt 1,37 Prozent, zum Gorilla 1,75 Prozent und zum Orang-Utan 3,4 Prozent.

Leakey erlebt den Aufstieg seiner jungen Damen zu Weltstars nicht mehr. Er stirbt 1972 an einem Herzinfarkt. Und Goodall hat den Überblick über ihre vielen Ehrendoktorwürden längst verloren. Nicht aber ihren Humor. Wenn sie einen Kindervortrag beginnt, hält sie die Begrüßung gerne in "Schimpansisch". Oder erzählt: "Als ich klein war, liebte ich Tarzan und war auf Jane eifersüchtig. Ich hielt sie für einen Schwächling und dachte, ich hätte so viel besser zu Tarzan gepasst." Heute sind etwa 80 Prozent aller weltweiten Primatenforscher weiblich.

Am 3. April wird Jane Goodall, eine Art Engel der Schimpansen, 80 Jahre alt.