Jung, laut, anarchischNach 25 Jahren ist für Viva nun Schluss

Mola Adebisi prägte als Viva-Moderator das Gesicht des Senders mit.
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Köln – Heike Makatsch, Jessica Schwarz, Matthias Opdenhövel, Klaas Heufer-Umlauf, Oliver Pocher, Nils Bokelberg, Collien Fernandes, Niels Ruf, Sarah Kuttner, Enie van de Meiklokjes, Aleksandra Bechtel, Charlotte Roche, Stefan Raab – was sich liest wie eine willkürlich zusammengestellte Liste von TV-Moderatoren, die in den 90er Jahren ihre Karrieren begonnen haben, ist in Wahrheit nur ein kleiner Teil späterer Stars (und Sternchen) der Branche, die einst beim bekanntesten deutschen Musiksender ihre ersten Gehversuche vor der Kamera machten: Viva.
Die einstige Talentschmiede wurde nun 25 Jahre alt. Und wenn man sich so manchen der Namen vor Augen führt, ist das Wort „alt“ an dieser Stelle richtig gewählt, obwohl es um ein Programm geht, das zumindest im ersten Jahrzehnt im besten Fall jung, frisch und häufig auch überraschend war. Doch die Generation Viva, die ihre Pubertät und Jugend zwischen der Mitte der 90er und 2000er Jahre erlebt hat, ist genau so in die Jahre gekommen wie die Karriere der einen oder anderen oben genannten Person verblasst ist. Zeit, zurückzublicken.

Heike Makatsch
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Anders als der Rest
„Viva war 100 Prozent authentisch, ganz anders als der Rest des deutschen Fernsehens“, hat Tobi Schlegl einmal gesagt. Der Moderator gehörte ab 1995 für fast zehn Jahre zum Team und war lange ein Aushängeschild des Senders, der am 1. Dezember 1993 als deutscher Gegenentwurf zum amerikanischen Musikfernsehen von MTV Europe erstmals über die Röhrenbildschirme flackerte. Das Selbstbewusstsein wurde gleich mit dem ersten gespielten Video deutlich gemacht: „Zu geil für diese Welt“ von den Fantastischen Vier war in gleich doppelter Hinsicht programmatisch. Denn während MTV, das mit seinem US-Start 1981 das Musikfernsehen erfunden hatte, ein rein englischsprachiges Programm anbot, war die Zielsetzung von Viva, mindestens 40 Prozent des Programms mit deutschsprachigen Interpreten zu bestreiten – und von deutschen Moderatoren gestalten zu lassen.

Geschäftsführer Dieter Gorny
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Eine Rechnung, die aufging. Binnen kurzer Zeit entwickelte sich der Sender, der seine Inhalte in Köln-Ossendorf, später dann im Mediapark produzierte, zu einer Art Bewegtbild-Bravo für eine Generation, die hungrig war auf Musik und junge Inhalte, aber statt Internet nur Discman und Faxgerät zur Verfügung hatte. Viva war für sie Youtube und
Spotify in einem – und hatte enormen Einfluss. Im Gegensatz zum coolen MTV war Viva hausgemacht, nahbar und teilweise geradezu anarchisch. Vieles hatte zunächst den Charakter einer öffentlichen Probe. Im Internet gibt es zahlreiche Videos, die dies verdeutlichen. Aus heutiger Sicht sind die manchmal etwas bemüht locker wirkenden Moderationen teilweise kaum auszuhalten. Doch diese Art von buntem, lautem Fernsehen war damals ein frecher Gegenentwurf zu allem Etablierten, ohne in das Schema einer einstündigen Musiksendung wie „Formel 1“ gezwängt zu sein.

Stefan Raab
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Heike Makatsch, Mola Adebisi und Bokelberg ohne Star-Allüren
Und Viva bot ein Umfeld, in dem sich Talente ohne Druck ausprobieren und ihren eigenen Stil entwickeln konnten. Die Gründungsmoderatoren Heike Makatsch, Mola Adebisi und Bokelberg waren allesamt keine Profis und vermittelten gerade dadurch eine Nahbarkeit im Umfeld einer Welt aus Stars, die beim Publikum gut ankam.
Schon zum Sendestart lümmelten Makatsch, Bokelberg und Adebisi gemeinsam hübsch drapiert im Studio rum und Makatsch sagte zur Begrüßung: „Wir sind mehr als nur ein Fernsehsender, denn wir sind euer Sprachrohr. Und euer Freund. Und ab heute bleiben wir für immer zusammen, okeee?“ Letzteres hat zwar nicht so ganz geklappt, aber die Art und Weise dieses Auftritts passte extrem gut in den damaligen Zeitgeist und muss verglichen mit dem etwas steifen öffentlich-rechtlichen sowie dem recht marktschreierischen Privatfernsehen geradezu wie eine Offenbarung auf die Zahnspangen-Teenies der 90er gewirkt haben.
Für viele Moderatoren war der Musiksender ein Sprungbrett in die spätere Karriere, obwohl das Programm anfangs auch belächelt wurde. „Natürlich wurden da Witze drüber gemacht. Es gab das Klischee vom Viva-Moderator, der bunte Klamotten trägt und bei dem man nicht sicher ist, ob er lesen und schreiben kann“, sagte Oliver Pocher kürzlich. „Aber genau das hat den Charme ausgemacht.“ Und bei vielen habe man ja auch gesehen, dass sehr viel mehr dahintersteckte.
„Viva hat mich für den Rest meiner beruflichen Laufbahn geboren“, sagt Heike Makatsch, die schon längst als ernstzunehmende Schauspielerin arbeitet. Der Satz könnte stellertretend auch für Matthias Opdenhövel gelten, der als Sportmoderator für die ARD unterwegs ist. Oder für Klaas Heufer-Umlauf, der mittlerweile seine eigene Late Night auf Pro Sieben hat. Oder Stefan Raab, der die wahrscheinlich größte Marke ist, die aus Viva hervorging.
Andere wie etwa Bokelberg sind aus den Medien nahezu verschwunden. Nach vier Jahren Viva habe er sich damals gedacht, dass es noch mehr geben müsse auf der Welt, als DJ Bobo anzusagen. „Aber damit tu' ich der Zeit unrecht“, hat er kürzlich in einer Kolumne geschrieben. „Denn mit Viva zu starten war viel mehr. Ein riesengroßes Medienlabor. Das mittlerweile so glattgebügelt ist, dass man wieder auf etwas Neues wartet.“
Bei aller Romantik für die damalige Zeit, sollte jedoch nicht vergessen werden, dass hinter dem Sender ein Geschäftsmodell steckte und das Programm letztlich als Vehikel diente, um Musik zu verkaufen. Viva, das war eben auch die Kurzform von Videoverwertungsanstalt. Die Gründung wurde vom Medienriesen Time Warner vorangetrieben, der gemeinsam mit Sony, Polygram und EMI Music das Deutschland-Geschäft ausbauen und MTV die Marktführerschaft streitig machen wollte. Letzteres gelang zumindest zeitweise.
Verantwortlich für den großen Erfolg von Viva war vor allem Dieter Gorny. Er hatte in den 80er Jahren bereits die Musikmesse Popkomm aufgebaut und war seit Sendestart Viva-Geschäftsführer. Er blieb auf diesem Posten bis ins Jahr 2005, als der Sender vom amerikanischen Viacom-Konzern gekauft wurde, zu dem auch MTV gehört. Über Musik hat er einmal gesagt: „Das ist das spannendste, emotionalste Produkt, das es gibt. Wie Fußball. Jeder kann den Bundestrainer spielen und jeder kann Musikmanager sein, weil jeder genau weiß, wie's richtig geht. Stimmt nur nicht.“
Nach der Übernahme durch Viacom nahmen die Viva-Eigenproduktionen stetig ab und der Sender wurde mehr und mehr zur bloßen Abspielstation von Klingeltonwerbung, beliebigen Musikvideos und Comics ohne größere Relevanz. Selbst der seit 1995 verliehene, sendereigene Preis „Comet“ wurde bereits 2012 eingestellt.
Neue Sehgewohnheiten
Dass es den Verantwortlichen aber nicht ausschließlich um Gewinnmaximierung ging, zeigte die Gründung von Viva Zwei im März 1995. Der Sender hatte ein weniger flippiges Image, sollte ältere Zuschauer ansprechen und konzentrierte sich neben journalistischen Formaten auf alternative Musikrichtungen wie Metal, Rap oder Techno. Sein bekanntestes Gesicht: Charlotte Roche, die später als Autorin zu größerer Berühmtheit gelangte. Doch nach jährlichen Verlusten wurde Viva Zwei trotz Kultsendungen wie „Fast Forward“ oder dem HipHop-Magazin „Supreme“ Ende 2001 eingestellt – für Medienkritiker damals ein Indiz dafür, dass es Privatsendern nicht gelingt, mit Inhalten abseits des Mainstreams überlebensfähig zu sein.
Ende des Jahres wird Viva nun endgültig abgeschaltet. Das hat sicher auch unmittelbar mit dem veränderten Medienkonsum gerade junger Generationen zu tun. Musikvideos werden heutzutage auf Youtube geschaut, Fernsehsendungen immer häufiger zeitversetzt im Netz. Doch es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Musiksender mit dem Aufkommen des Internets und damit neuer Sehgewohnheiten und Ansprüche vor langer Zeit schon den Anschluss verpasst haben – allen voran Viacom mit seinen Marken MTV und Viva. Dieter Gorny hat bereits vor zehn Jahren ein vernichtendes Urteil über die Sender gefällt, die immer mehr auf Reality-Formate setzten: „Sie sind zu einer Karikatur ihres eigenen Namens, sie sind nahezu musikfreie Zonen geworden. Es gibt keine Musiksender mehr.“
Dies wird nun durch das Abschalten von Viva tatsächlich Realität. Doch was die Bedeutung von Viva in der Gegenwart angeht, ist nichts passender als die Aussage von Rapper Smudo, der als Teil der Fantastischen Vier seinen festen Platz in der Geschichte des Senders hat: „Ich wusste gar nicht, dass es Viva noch gibt.“