Kevin und MariaAuf der Suche nach dem Vater – einem anonymen Samenspender

Maria erfuhr erst im Alter von 24 Jahren, dass ihr Vater nicht ihr Erzeuger ist.
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Kevin Staudt weiß eigentlich, wie es ist, im Rampenlicht zu stehen - spätestens seit er in der 2. Staffel von "The Voice of Germany" im Team von Sängerin Nena vor einem Millionenpublikum im Fernsehen gesungen hat. Seitdem lebt er von dem, was ihn erfüllt: Musik. Und doch hat der 25-Jährige im vergangenen Herbst lange mit sich gerungen, ob er mit einer persönlichen Bitte vor die Kamera treten sollte.
Es sei ihm "schweineunangenehm", gesteht er in einem dreiminütigen Film, den er im September auf Youtube hochgeladen hat. Mit der "wichtigsten Ankündigung meines bisherigen Lebens" startete Kevin Staudt eine Online-Suchaktion nach seinem leiblichen Vater - einem Mann, der im März 1990 in einer Essener Privatklinik seinen Samen gespendet hat. Anonym. Bislang weiß Kevin Staudt nichts weiter über diesen Menschen, mit dem er immerhin seine Gene teilt und von dem er jetzt deshalb endlich wissen will, wer er ist. "Ich will mich nicht in sein Leben einmischen. Ich will nur ein Gesicht, nur einen Namen, bestenfalls ein kurzes Gespräch". Danach könne man wieder getrennte Wege gehen, verspricht der heute 25-Jährige in dem Video.
Mit 13 hatte der gebürtige Trierer von seiner Mutter erfahren, dass er mit Hilfe einer Samenspende gezeugt wurde. "Im ersten Moment war das ein Schock", sagt Staudt. Die Enttäuschung sei aber schnell einem Gefühl der Erleichterung gewichen. "Irgendwie war ich froh, dass es nicht meine Schuld war, dass ich so anders als mein sozialer Vater bin". Zwölf Jahre lang habe er mit der Lüge gelebt, deren Aufdeckung für ihn eine Menge "schwarzer Löcher" entstehen ließ. Um diese Lücken zu füllen, habe er sich nach reiflicher Überlegung und in Absprache mit seiner Familie dazu entschlossen, öffentlich nach seinem leiblichen Vater zu suchen. "Auch wenn ich jetzt vielleicht eine Enttäuschung erleben muss, will ich es nicht unversucht lassen".
Die wenigsten wissen von ihrer Herkunft
Kevins öffentliche Suchaktion ist vielleicht einzigartig, sein Grund dafür nicht. Schließlich wird in Deutschland seit mehr als 50 Jahren die sogenannte "Donogene Insemination" praktiziert, bei der die Eizelle einer Frau künstlich mit dem Sperma eines Mannes befruchtet wird, der nicht der soziale Vater sein wird. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit 100 000 Menschen in Deutschland leben, die mit Hilfe einer Samenspende auf künstlichem Wege gezeugt wurden. Allerdings: Nur die wenigsten von ihnen wissen es auch. Vermutlich nur jedes zehnte so gezeugte Kind wird im Laufe seines Lebens von seinen Eltern über seine wahre Herkunft aufgeklärt.

Kevin Staudt ist Sänger. Er wurde bekannt als Teilnehmer der Casting-Show Voice Of Germany.
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Tatsächlich war das Thema Samenspende lange Jahre gesellschaftlich tabuisiert - was einen offenen Umgang den betroffenen Eltern damit erschwert haben mag. Seit den 2000-er Jahren ändert sich das. Vor allem seit das Oberlandesgericht Hamm 2013 einer jungen Frau das Recht auf Datenkenntnis ihres genetischen Vaters zusprach, wird öffentlich darüber diskutiert und geraten auch die Spenderkinder mehr ins Rampenlicht. Seit 2009 haben sich mehr als 80 von ihnen in dem gleichnamigen Verein zusammengeschlossen - um sich gegenseitig in Ihrer Suche zu unterstützen, nicht zuletzt aber auch um sich auch in der Politik Gehör zu verschaffen.
Jeder Fall ist ein Einzelfall
"Jeder, der sein Recht auf Datenkenntnis einfordern will, muss durch die gleichen juristischen Mühlen gehen. Und jedes Mal ist es eine Einzelfallentscheidung",, erklärt Maria (Name geändert) , die sich vor vier Jahren dem Verein anschloss. Erst seitdem weiß die 28-Jährige, dass sie nicht das leibliche Kind ihres Vaters ist. Geahnt hatte sie es schon viele Jahre. "Ich war so anders als alle anderen Mitglieder meiner Familie. Ich bin größer, habe blonde Haare und viel hellere Haut", sagt die junge Ärztin mit den großen blauen Augen.
Schon im Kindergartenalter habe sie deshalb einmal bei ihrer Mutter nachgefragt, ob sie wirklich ihr Kind sei. Damals hatte Maria zu Hause einen Film über ein adoptiertes Kind gesehen und ein Junge sagte in diesem Film zu seiner Mutter: "Ich bin ganz anders als die anderen in meiner Familie", erinnert sich Maria. Eine Adoption? Das könnte ja eine Erklärung sein, habe sie damals gedacht und bei ihrer Mutter nachgefragt. Die habe damals aber wahrheitsgemäß geantwortet: "Natürlich bist du mein Kind". "Einige Jahre später hatte ich eine Zeitlang die Illusion, dass ich im Krankenhaus vertauscht worden bin", erzählt die junge Frau weiter. Misstrauisch habe sie dann nach alten Fotos gesucht. "Als ich dann aber Fotos von meiner Mutter und mir im Krankenhaus gefunden hatte, habe ich mich irgendwie mit dem Gedanken abgefunden, dass ich einfach anders bin." Sie sei eben das ""Kind vom Postboten", was schließlich der Running Gag in der Familie wurde. Trotzdem habe es immer wieder mal Momente gegeben, in denen sie sich gerade ihrem Vater wenig verbunden gefühlt habe - nicht nur, weil sie seine mathematische Neigung offensichtlich so gar nicht geerbt zu haben schien. "Mein Vater sagte dann immer zu mir: Krause Haare, krauser Sinn", sagt Maria und lacht. Auch wenn es merkwürdig klinge, es sei vor allem der spezifische Geruch des Vaters gewesen, der ihr so wenig vertraut war - ganz anders als der "Familiengeruch" ihrer Mutter damals oder jetzt ihres eigenen Ehemannes. "Ich hatte richtige Schuldgefühle, wieso ich ihn nicht so mögen konnte wie meine Mutter", sagt Maria.
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Die Antwort auf diese Frage bekam sie schließlich vor vier Jahren während ihres Medizinstudiums. "Ich saß in einer Humangenetik-Vorlesung und es ging um die Vererbungsgesetze. Da wurde mir auf einmal so klar: Aus grünen und braunen Augen, wie sie meine Eltern hatten, werden niemals blaue, wie ich sie habe." Vollkommen aufgebracht sei sie an dem Mittag nach Hause gefahren und habe ihre Eltern zur Rede gestellt. "Meine Mutter war total in Aufruhr und rief meine Schwester, sie solle auch kommen. Und dann war es mein Vater, der die Nerven behielt und uns ganz ruhig die ganze Geschichte erzählte, dass sowohl meine vier Jahre ältere Schwester als auch ich dank einer anonymen Samenspende gezeugt wurden", berichtet Maria.
"Im allerersten Augenblick war das für mich eine Bestätigung, dadurch erklärte sich schließlich einiges", erinnert sie sich noch sehr genau an den Moment, in dem sie die Wahrheit erfuhr. Allerdings: Allein schon das Wort "anonym" habe ihr auch ein ungutes Gefühl gegeben. "Das klang schmutzig, versteckt, illegal." Und auf einmal sei ihr Kopf dann völlig leer gewesen. "Ich bin mein Leben lang betrogen worden. Dabei geht es doch um meine Wurzeln."
Marias Gedanken drehten sich wochenlang im Kreis. Nur langsam schaffte sie es, aus diesem Gedankenkarussell wieder auszubrechen. Sie fasste einen Entschluss: Anders als ihre Schwester -wollte sie sich auf die Suche nach ihrem leiblichen Vater machen. Nicht um sich fortan in sein Leben einzumischen oder finanzielle Forderungen zu stellen. Nein, nur um zu wissen, wer er ist.
Klage wegen Formfehlers abgewiesen
"An die Akten muss man doch drankommen - dachte ich damals". Doch ähnlich wie bei Kevin Staudt hat die Essener Privatklinik, in der sie im Dezember 1986 gezeugt wurde, auch bei ihr auf eine erste Anfrage angegeben, keine Akten mehr zu haben. Auch eine Klage gegen den Arzt der Klinik, die sie gemeinsam mit vier anderen Spenderkindern eingereicht hatte, wurde wegen eines Formfehlers abgewiesen.
Auch bei Kevin hatten Anfrage und Klage keinen Erfolg. Den jungen Musiker macht das wütend: "In anderen Fällen sind dann auf einmal Akten wieder aufgetaucht. Hier wird doch mit der Identität eines Menschen gespielt." Seine geballte Wut über die Klinik hat der 25-jährige Sänger in einen Song gepackt, den er mit seiner Online-Suchaktion unter dem Titel "Novum" - so der heutige Name der Klinik - veröffentlicht hat. "Dr. Frankenstein ... Du hast meine Identität gestohlen .... Sag mir, wo ich hingehöre", lautet sein verbitterter Appell an die Essener Ärzte, die 1990 seiner Mutter mithilfe eines Spendersamens halfen, schwanger zu werden.
Nimmt er seiner Mutter heute diesen Schritt übel? Nein, sagt Kevin. Man habe ihr damals versichert, dass Kevin mit 18 Jahren die Akten seines Spenders einsehen dürfe. Seine Mutter unterstütze ihn jetzt in der Suche nach seinem leiblichen Vater - genauso wie auch sein sozialer Vater, zu dem er inzwischen ein freundschaftliches Verhältnis hat. "Anfangs waren wir unsicher, wie wir miteinander umgehen sollten. Jetzt akzeptieren wir uns in unserer Unterschiedlichkeit."
Auch Maria berichtet, dass ihr Verhältnis zu ihrem Vater entspannter geworden ist, seitdem sie die Wahrheit kennt. "Ich habe jetzt umso mehr Respekt vor dem, was er sein Leben lang für mich getan hat." Vorwürfe, dass ihre Eltern ihr diese so lange vorenthalten haben, macht sie den beiden heute nicht - auch wenn die Tatsache, dass ihr Vater im Rollstuhl sitzt, "eigentlich eine Steilvorlage gewesen wäre. Sie haben es immer wieder mal vorgehabt, aber dann gab es immer irgendeinen Grund, der dagegen sprach - die Pubertät meiner Schwester, dann meine Pubertät - und irgendwann haben sie einfach den Zeitpunkt verpasst", sagt sie ohne Groll. Dass der Mann, mit dem sie aufgewachsen ist, weiterhin "mein Vater ist", ist für Maria klar. "Ich habe sehr viel Liebe erfahren, sowohl von meiner Mutter als auch von meinem Vater".
Trotzdem malt sie sich manchmal aus, wie ihr leiblicher Vater aussehen könnte. "Ich gehe davon aus, dass er etwa 1,85 Meter groß ist und wie ich blaue Augen hat und ein heller Hauttyp ist. Seine Blutgruppe muss wohl A positiv oder 0 sein", sagt sie. Vielleicht sei er ja auch so harmoniebedürftig, emphatisch und kontaktfreudig wie sie selbst. Während ihres Studiums habe sie mit einem Arzt zusammengearbeitet, der dieser Vorstellung sehr nahe kam und von dem sie das Gefühl hatte, dass sie einfach gleich ticken.
DNA-Test verlief negativ
Sie habe bei Recherchen herausgefunden, dass dieser Mann zum Zeitpunkt ihrer Zeugung 1986 auch in Essen gearbeitet hat. "Es ist eine schöne Vorstellung, dass so ein Mensch mein Vater sein könnte. Aber ich weiß nicht, ob ich den Mut aufbringe, ihn zu fragen, ob er es sein könnte".
Kevin hat auf seinen Internet-Aufruf inzwischen einige Rückmeldungen bekommen. Tatsächlich sind auch drei Männer darunter, die in den 1990er Jahren in der Essener Klinik ihre Samen gespendet haben. Zwei von ihnen haben jetzt ihre DNA testen lassen. Das Ergebnis der ersten Probe: Negativ. Er hat wenig Hoffnung, dass die zweite Probe ein anderes Ergebnis bringt. Umso mehr setzt er darauf, mit seiner Berufungsklage auf der Suche nach seinem Vater weiter zu kommen.
Derweil haben sowohl er als auch Maria ihren eigenen DNA-Test an "Familyfinder", eine Datenbank in Texas geschickt. Vielleicht finden sich darüber ja zumindest Halbgeschwister. Das wäre immerhin mehr als nur das kleine Stück Papier, auf dem Marias Mutter quittiert wurde, dass sie die Gebühr für die Samenspende von Marias Vater bezahlt hat.