Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Nacktwandern im BergischenWarum nackt sein glücklich macht

Lesezeit 6 Minuten
Nacktwanderung ich bin dann mal nackt buch

Nacktwanderung im Bergischen Land

  1. Dass viele Freizeitbeschäftigungen nackt mehr Spaß machen, hat Buchautor Marc Engelhardt auf seiner Nackt-Weltreise am eigenen Leibe erfahren.
  2. Im Interview redet der Journalist über Exhibitionismus, Nacktwandern, Swinger, die deutsche Einheit am FKK-Strand und Saunadiplomatie.

Herr Engelhardt, Sie sind nackt um die Welt gereist. Sie haben am FKK-Strand an der Ostsee gelegen, sind in der Karibik an Bord eines Nackt-Kreuzfahrtschiffes gegangen, haben in Japan zusammen mit 9000 anderen nackten Männern Ihr Glück gesucht, sind unbekleidet durchs Bergische Land gewandert und haben in vielen Ländern die Hüllen fallen lassen. Sind Sie ein Exhibitionist?

Marc Engelhardt: Nein, ich habe nie das Verlangen gehabt, mich in der Öffentlichkeit auszuziehen.

Warum haben Sie sich dann trotzdem öffentlich nackt gemacht?

Die Idee zur nackten Weltreise kam mir beim Schwimmen in einem Waldsee in Mecklenburg. Ich hatte keine Badehose dabei, also bin ich nackt ins Wasser gestiegen. Ich spürte die Sonne auf der Haut und das Wasser perlte von mir runter. Es war herrlich! Und da fragte ich mich: Wie ist das mit dem Nacktsein eigentlich in anderen Ländern? Es war also Neugierde, nicht Exhibitionismus, die mich getrieben hat.

Der Autor

Marc Engelhardt, 49, ist Autor und freier Auslandskorrespondent. Seit gut zwei Jahrzehnten berichtet er für den Deutschlandfunk sowie ARD Hörfunk und Fernsehen, zunächst aus Nairobi, inzwischen aus Genf. Er ist Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter. Im Sommer trifft man ihn am Ostseestrand auf Rügen – ohne Badehose.

Da Sie also kein Exhibitionist sind – mussten Sie sich überwinden, sich in der Öffentlichkeit auszuziehen?

Ja! Als ich mich mit einer Nacktwandergruppe im Bergischen Land getroffen habe und wir uns auf dem Parkplatz ausgezogen haben, glaubte ich zunächst, ich versinke im Boden.

Aber warum sollte man sich überwinden, sich öffentlich auszuziehen? Was ist so toll am Nacktsein?

Oft ist es einfach praktischer! Ich finde es angenehmer, ohne durchgeschwitzte Klamotten zu wandern oder ohne eine Badehose in die Ostsee zu springen. Viele Leute, die ich bei den Recherchen zu meinem Buch getroffen habe, haben mir gesagt, dass sie sich nackt der Natur näher fühlen.

Bedeutet nackt sein auch frei sein?

Ja, mir gibt es – gerade jetzt in Zeiten von Corona – ein Gefühl von Freiheit und Erholung. Nacktsein ist die kleinstmögliche Utopie, die für alle möglich ist. Zieh dich aus, spring in den See, leg dich nackt an den Strand, wandere nackt durch den Wald. Das hat etwas Befreiendes, denn mit der Kleidung legt man auch den Alltag und seine Sorgen ab.

nacktreise

Auf den Unterwasserscootern herrscht trotz Schrittgeschwindigkeit Helmpflicht.

Sind Nackte glücklicher?

Ja, davon bin ich mittlerweile echt überzeugt. Es liegt vor allem daran, dass man durchs Nacktsein ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper entwickelt. In der Werbung und im Internet werden wir ständig mit sehr schönen Körpern konfrontiert. Viele Menschen wissen mittlerweile zwar, dass sie oft stark gephotoshopt sind. Trotzdem können diese perfekten Körper einen unter Druck setzen. Aber wenn man am Nacktbadestrand sieht, wie normale Menschen wirklich aussehen, kann es einem helfen, andere und sich selbst schöner zu finden.

Finden Sie sich schöner, seitdem Sie nackt um die Welt gereist sind?

Ich gehe seitdem selbstverständlicher mit meinem Körper um, wenn ich nackt bin. Ich fühle mich wohler in meinem Körper, ich mache mir seitdem viel weniger Gedanken über das halbe Kilo mehr hier oder die eine Falte mehr dort.

Auch am FKK-Strand haben die meisten Menschen stets ein Handy dabei. Haben Menschen deshalb Angst, sich nackt auszuziehen?

Auf jeden Fall. Vor allem Eltern haben Angst, ihre Kinder nackt am Strand rumlaufen zu lassen, weil sie befürchten, dass sie gefilmt oder fotografiert werden könnten. Deshalb finde ich es wichtig, dass alle aufpassen, um so etwas zu verhindern. Für die Recherchen für mein Buch habe ich an vielen Nackt-Aktivitäten teilgenommen. Meistens war Fotografieren dabei verboten. 99,9 Prozent der Teilnehmer halten sich an solche Verbote. Die anderen 0,1 Prozent haben am Nacktbadestrand oder wo auch immer nichts zu suchen. Das Recht auf Nacktheit sollte man sich aber auch im Smartphone-Zeitalter nicht nehmen lassen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Nicht nur Handys auch Bodyshaming führt dazu, dass viele Menschen sich nicht öffentlich ausziehen möchten...

Bodyshaming gab es sicher immer schon, aber mir scheint es heute brutaler. Denn wir haben heute Ansprüche an unseren eigenen und fremde Körper, die ästhetischen Idealen genügen müssen, die es eigentlich gar nicht gibt.

Wie kommt das?

Dahinter stecken unter anderem handfeste Wirtschaftsinteressen. Ich finde es sehr erschreckend, dass Schönheitsoperationen im Intimbereich vor allem bei jungen Frauen boomen. Da ist die Rede von „Genital-Ästhetik“ und dem „Barbie-Look“, für den in der Pornoindustrie wohl immer häufiger die Vulven digital nachbearbeitet werden. Viele Frauen werden in der Konsequenz Opfer von Bodyshaming, finden sich im Intimbereich nicht schön genug. Sie denken, einen Körper haben zu müssen, der anderen gefällt, und geben viel Geld für Operationen aus. Ich finde das einen total falschen Ansatz. Mein Körper muss vor allem mir gefallen, und dann gefällt er hoffentlich auch denen, die mir wichtig sind.

Ist Nacktsein nur etwas für Schöne?

Nein, Nacktsein ist etwas für alle. Wenn jemand tatsächlich denkt, er oder sie sei nicht schön genug und müsste für viele tausend Euro eine Operation machen, dann würde ich vorschlagen: Geh doch mal an den Nacktbadestrand. Guck dir mal an, wie die anderen aussehen und wie du aussiehst: Normal eben. Das ist gut fürs Selbstbewusstsein und kann sehr viel Geld sparen.

Haben Nackte mehr Sex?

Da die meisten Menschen beim Sex nackt sind – bestimmt! Aber Sie meinen sicher, ob diejenigen, die sich gerne öffentlich ausziehen, sexuell aktiver sind. Nachdem, was ich auf meiner Nackt-Weltreise gesehen, gehört und erlebt habe, sehe ich da keinen Zusammenhang. Oft hat das nackte Leben sogar gar nichts mit Sexualität zu tun. Ich habe auch an einem Nacktseminar teilgenommen. Dabei ging es durchaus auch um Sexualität. Aber der Seminarleiter hat sich darüber beschwert, dass man in der FKK-Bewegung mit der Kleidung auch gleich seine Sexualität an der Garderobe abgibt.

Buch-Tipp

Cover Ich bin dann mal nackt

Ich bin dann mal nackt. Eine Reise zu den unverhüllten Kulturen unserer Welt, Goldmann-Verlag, 288 Seiten, 14 Euro. 

Haben Ost- und Westdeutsche ein anderes Verhältnis zum Nacktsein?

Ja. Die Ostdeutschen haben sich ihr Recht auf Nacktheit hart erkämpft. Die DDR-Staats- und Parteiführung wollte in den 50er- und 60er-Jahren verbieten, dass man nackt an den Strand geht und ist damit krachend gescheitert. Es war eine kleine Freiheit, die sich die DDR-Bürger erkämpft haben. Nacktbaden war auf einmal nicht nur angenehm, sondern auch noch subversiv.

Fielen mit der Mauer auch die Badehosen und Bikinis im Westen?

Nein, es war eher andersrum. Als in den 90er-Jahren die Westdeutschen mit ihren Badetextilien an die Ostseestrände kamen, haben viele Ostdeutsche das als übergriffig empfunden. Mittlerweile ist es entspannter. Ich war im Sommer wieder auf Rügen am Strand. Natürlich nackt. Dort geht es heute bunt zu. Gemischte Einheit! Der eine hat eine Badehose an, der andere nicht. Die eine trägt Bikini oder Badeanzug, die andere nicht. Und ich glaube nicht, dass man daran ablesen kann, wer aus dem Osten und wer aus dem Westen kommt.

Wäre die Welt ein besserer Ort wäre, wenn mehr Leute häufiger nackt wären?

Nacktsein an sich macht die Welt nicht zwangsläufig zu einem besseren Ort. Aber ich glaube, viele Menschen wären entspannter, zufriedener, toleranter und glücklicher, wenn sie häufiger nackt wären. So könnte die Welt zu einem glücklicheren Ort werden.

Das Gespräch führte Philipp Heidemann