Otto Benecke Stiftung fördert MigrantenEs ist cool, in Deutschland zu leben

Zahnarzt Lothar Kluba ist ein Musterbeispiel gelungener Integration. Geholfen hat ihm die Otto Benecke-Stiftung. (Foto: Andreas Hoffmannbeck)
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Düsseldorf, an einem Vormittag im März, eine Zahnarzt-Praxis gleich neben der Kö: Lothar Kluba fliegt mit einem kurzen "BingleichdawollensieeinenKaffe" am Wartezimmer vorbei und bringt erst noch einmal eine Behandlung zu Ende. Für den 54-Jährigen läuft es prima. Die Praxis steht bei Patienten hoch im Kurs. Und Kluba macht das, was er liebt: Er ist Zahnarzt, und das in Deutschland. Was nach stinknormalen Standard klingt, ist für ihn ein großes Glück - und Ende eines langen Weges. Ohne Mut, ohne den unbedingten Willen zum Erfolg würde Kluba heute Angestellter in einem kleinen Nest bei Oppeln in Polen sein, kein Wort Deutsch sprechen und vom Rheinland wohl nur träumen.
Doch der Reihe nach. Kluba lässt sich auf den Stuhl plumpsen und erzählt: Wie seine deutschstämmige Familie im schlesischen Malapane lebte - ein Ort, der 1945 polnisch wurde und seitdem Ozimek heißt. Wie die Familie den Ort nicht verlassen wollte, weil der Uropa von den Russen verschleppt worden war und man auf seine Rückkehr wartete. Wie darüber die Zeit verging und allmählich auch das Deutschsein der Familie. "Wir sprachen kein Deutsch mehr, sonst hätten wir Schwierigkeiten bekommen", erinnert sich Kluba, "es ist meine Oma-Sprache, aber nicht meine Muttersprache."
Doch die Anpassung ans Polnische reichte natürlich nicht. "Mit einem deutschen Vornamen kannst Du bei mir kein Abitur machen", beschied der Mathelehrer dem jungen Lothar Kluba. Also ging der in den nächstgrößere Stadt, bekam dort die Hochschulreife, bestand die Aufnahmeprüfung fürs Medizinstudium. Doch Klubas Vater war nicht in der Partei - wegen der Sache mit den Russen und dem verschleppten Opa gab es seit jeher in der Familie eine gewisse Abneigung gegen die Partei. Also wurde ihm das Studium verweigert. "Da reifte die Idee, Polen zu verlassen", erinnert sich der Zahnarzt heute, "es machte einfach keinen Sinn, in die Opposition zu gehen." 1981 stieg er mit 21 Jahren in den Zug. Ziel: die Türkei. "In Wien verwechselte ich dann die Anschlussbahn", sagt Kluba, mit einem Augenzwinkern. Er kam in Frankfurt aus, ohne Wissen seiner Eltern, die er vor Repressalien in der Heimat schützen wollte.
Schlug sich durch, schlief bei Freunden von Kontakten, kommunizierte mit Händen und Füßen und auf Französisch, denn das Deutsche hatte er verlernt. Nicht aber die Haltung, die seine Eltern ihm mitgegeben hatten. Lektion 1: "Mein Vater war Maschinenbauingenieur und hat immer versucht, durch Fleiß und Wissen seinen Platz zu finden." Lektion 2: Gastfreundschaft muss man sich durch Mitarbeit verdienen.
Also stand Kluba vor Morgengrauen mit seiner Gastfamilie auf und half, Getränkekisten zu verladen, fuhr Trecker und wurde schnell zum Erdbeerpflücker befördert. "Mein Vater hatte uns Kindern in Polen schon ein Erdbeerfeld zum Geldverdienen eingerichtet", sagt Kluba. Im fernen Krefeld sollte sich das für den Zuwanderer Jahre später auszahlen: 40 Pfennig gab es für ein halbes Kilo Erdbeeren, Kluba pflückte wie ein Profi und hatte schon bald das Geld für einen Führerschein zusammen. Zu schade zum Arbeiten war er sich auch mit dem Lebenstraum Zahnarzt nie: "Wir sind so erzogen worden, wir hatten davor keine Angst. Im Gegenteil: Wir wussten, dass die Dinge nur funktionieren, wenn man sich einbringt."
Über einen Zeitungsartikel wird er schließlich auf die Otto Benecke-Stiftung aufmerksam. Seit seinem achten Lebensjahr will er Mediziner werden, in Bonn findet er eine Institution, die Zuwanderern hilft, ihre Hochschulberechtigung zu erlangen. Kluba kämpft um einen Platz im Deutschkurs, den die Stiftung in Tönisvorst anbietet. Am 4. Januar 1982 sitzt er mit Schlesiern, Afghanen und anderen Neuankömmlingen im Klassenzimmer, büffelt, liest Goethe und Eichendorff, holt in Geilenkirchen schließlich das deutsche Abitur nach, studiert Medizin in Tübingen.
Der Rest ist Geschichte: Das blonde Mädchen, das er am ersten Tag seines Deutschkurses gesehen und toll gefunden hat, ist seit 29 Jahren seine Ehefrau. Das Wort "Zuwanderer" in Zusammenhang mit Lothar Kluba zu bringen, fällt heute schwer: Er spricht akzentfrei Deutsch, in einem Tempo, das schwindelig machen kann. Er blickt nicht sehnsüchtig zurück nach Malapane, sondern ist ganz angekommen im Rheinland.
Wie sonst könnte man die Tatsache auslegen, dass Lothar Kluba - nachdem er einer Karnevalsprinzessin mit Zahnschmerzen durch einen beherzten Blitzeingriff die Session gerettet hat - selbst Senator eines Düsseldorfer Karnevalsvereins geworden ist? "Um sich heimisch zu fühlen, darf man nicht nur zugucken", sagt er, "man muss sich einbringen."
Lothar Kluba ist kein Einzelfall. 400.000 Migranten hat die kleine Bonner Stiftung in den 50 Jahren ihres Bestehens mit Sprache, Abitur oder Studium ausgestattet - auf dass sie ihre Talente und ihr Wissen in dieses Land übersetzen können. "Die Otto Benecke-Stiftung hat mir auf meinem Weg die Autobahn gestellt und den Sprit", sagt er. Er ist fest überzeugt: Ob man damit am Ziel ankommt, liegt am Neuankömmling selbst. "Es muss ein absoluter Wille da sein, sich zu integrieren", sagt Kluba, "Du musst Bock dazu haben und kannst nicht erwarten, dass die Gesellschaft Dir einen Teppich ausrollt und Dich darauf hebt." Natürlich hätte er die theoretische Führerscheinprüfung in polnischer Sprache absolvieren können, aber es war sein Ehrgeiz, es auf Deutsch zu schaffen. "Die Sprache ist der Schlüssel zu allem. Mach"s Dir nicht zu leicht", sagt er - und kritisiert, dass in Ämtern viele Texte in ausländischen Fragen verfasst sind: "Das ist bequem, aber zu kurz gesprungen."
Mit Null-Bock-Zuwanderern hadert Kluba. "Es ist doch cool, in Deutschland zu arbeiten", sagt er. Warum? "Es ist eine großartige Kultur - Nietzsche zum Beispiel würde ich nie in einer anderen Sprache lesen wollen." Und wer sich nicht für Literatur interessiert, der müsse doch zumindest deutsche Autos toll finden.
Man könnte hier einen Schlusspunkt setzen, herzlichen Glückwunsch sagen, Happy End und vorbei. Aber da ist noch etwas. Lothar Kluba hat einen Bruder. 1987 kam er nach Deutschland, ebenfalls mit Hilfe der Otto Benecke-Stiftung. Er arbeitet heute erfolgreich für den TÜV in Speyer, seine Tochter studiert in Bonn Jura. Und so geht die Geschichte eines einzelnen, geförderten Zuwanderers immer weiter. Und weiter.