Plastik im MeerKreative „Ocean-Cleaner“ suchen nach Lösungen

Pastikmüll so weit man sehen kann an einem Strand in Ghana. Nicht zu sehen: Die vielen Mikroplastikteile, die durch Kosmetika ins Meer gelangen.
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Eigentlich sollen auf der Erde geopolitisch sieben Kontinente sein. Doch seit etwa zwei Jahrzehnten wächst ein achter heran. Er liegt in den nördlichen Subtropen des Pazifiks, hat die Größe Mitteleuropas – und besteht aus Kunststoffmüll. Er wird von den Ozeanströmungen zusammengetrieben und bekommt täglich Zuwachs. So wie die vielen anderen Plastikinseln überall. Jährlich gelangen durchschnittlich acht Millionen Tonnen Kunststoffmüll in die Meere, die das ökologische Gleichgewicht aus den Fugen bringen. Weltweit haben sich daher Umweltaktivisten dieses Problems angenommen. Die meisten von ihnen sind Privatleute mit vielen Ambitionen und spannenden Ideen – und einem dicken Fell, denn sie müssen immer wieder mit Enttäuschungen klarkommen.
Zu den Berühmtheiten der „Ocean-Cleaner-Szene“ gehört der mittlerweile 23-jährige Holländer Boyan Slat. Als er 2012 – noch als Student für Luft- und Raumfahrttechnik – erstmals seine Ideen im Internet präsentierte, glaubte kaum jemand, dass sie auch nur in die Nähe der Realität kommen könnten. Doch es gelang dem technisch wie rhetorisch begabten Slat, über 30 Millionen Dollar (umgerechnet fast 25 Millionen Euro) an Spenden zusammenzukratzen, so dass er inzwischen einige Dutzend Mitarbeiter in seiner Firma beschäftigt und zumindest schon einige Pilotprojekte auf den Weg bringen konnte.
Sein System beruht auf luftgefüllten, rund 500 Meter langen Planken aus Polyethylen, an deren Unterseite ein harter Schirm wie ein Schaber senkrecht ins Wasser ragt. Sie treiben V-förmig im Wasser, so dass der in der Meeresströmung treibende Müll von ihnen eingekesselt wird und sich im Zentrum des V’s sammelt. Dort wird er in Behältern abgefüllt, die per Schiff zum Recycling abtransportiert werden.
Testläufe in der Nordsee
Am Anfang hatten Slat und sein Team vor allem Angst, dass ihre Konstruktion nicht den Urgewalten des Meeres würde standhalten können. „Doch in Testläufen in der Nordsee haben unsere Prototypen sogar einen starken Sturm mit fast zehn Meter hohen Wellen überstanden“, so der holländische Umwelt-Aktivist. Es gab zwar Schäden an dem Abschabe-Schirm, doch diese seien, wie Slat es gerne ausdrückt, eher „ungeplante Gelegenheiten zum Lernen“ als ein wirklicher Rückschlag gewesen. Ende Februar wurde erneut ein Prototyp in der Nordsee ausgesetzt, und noch in diesem Herbst soll auch der achte Kontinent im Pazifik Besuch von einem der Plastikfänger-Vs bekommen.
Ein Meer aus Plastik

Eine Gefahr für die Meeresbewohner: Plastiktüten und -flaschen.
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Laut deutschem Umweltbundesamt bestehen rund 60 Prozent der 100 bis 150 Millionen Tonnen Abfall in den Meeren aus Plastik. Zwei Drittel davon sänken auf den Meeresboden, 15 Prozent schwämmen an der Wasseroberfläche und 15 Prozent würden an Strände gespült. Der Plastikmüll stammt hauptsächlich aus China, Indonesien, Vietnam und den Philippinen. Er hat enorme Konsequenzen für die Natur. So sind größere Tiere vor allem durch mechanische Verletzungen gefährdet. „Von 136 maritimen Arten ist bekannt, dass sie sich regelmäßig in Müllteilen verstricken und strangulieren“, so das Umweltbundesamt. Einige Vogelarten wie der Albatros verwechseln die Plastikteile mit Futter, mit der Konsequenz, dass sie schließlich mit müllgefülltem Magen verhungern.
Nach einigen Jahren wird der Plastikmüll durch den Einfluss von Salzwasser und Sonne immer kleinteiliger. Dadurch vergrößert sich seine Oberfläche, an der sich Giftstoffe binden können. Wenn dann etwa Planktonkrebse die Kunststoffpartikel fressen, tragen sie auch große Giftmengen in die Nahrungskette ein. Richtig „entschärft“ werden die mikroskopischen Plastikpartikel eigentlich erst, wenn sie von Algen aufgenommen und in Richtung Meeresboden mitgenommen werden. Dort erfolgt dann die endgültige Zersetzung – doch bis dahin können über 300 Jahre vergehen.
Von solch konkreten Plänen für die nahe Zukunft ist die Aachener Architektin Marcella Hansch zwar noch entfernt, doch prinzipiell ist ihre Idee ein Stück weiter als die von Slat. Denn sie will den Müll noch effektiver aus dem Meer fischen. Ihre – bisher nur im Computer-Entwurf existierende – Konstruktion erinnert von oben betrachtet an einen riesigen (geplant sind 400 mal 400 Meter) Rochen. Sie ist an drei Seiten geschlossen, mit Räumen für Maschinen, Besatzung und Material, und dreht sich mit an ihren verankerten Drahtseilen in die Strömung. Diese treibt den Müll in zahllose Kanäle, die sich zur vierten Seite wie ein Kamm mit verbogenen Zinken öffnen. Dort werden dann die Plastikteile aus dem Wasser gefischt. Der besondere technische Kniff der Konstruktion: Ihre Kanalwände ragen 35 Meter tief ins Wasser. Dadurch bremsen sie die Strömung, so dass auch die tieferen Plastikschichten an die Oberfläche treiben, wo man sie schließlich abschöpfen kann – ohne, dass dabei Fische oder Plankton mit eingefangen werden, denn die machen die Aufwärtsbewegung nicht mit.
Krebse zerschreddern Plastikteile
Ursprünglich hatte Hansch auch noch geplant, dass der Plastikmüll vorort auf spezielle Weise verbrannt und in Kohlendioxid und Wasserstoff umgewandelt wird, die dann der Beatmung von Algen oder der Energiegewinnung dienen. Doch das hat sich als nicht realisierbar herausgestellt. Aber ihr Müllsammler-Rochen hat das Umweltministerium überzeugt, Hansch und ihrem Team den „Bundespreis Ecodesign“ zu verleihen. Dabei wurde ihr Projekt als „sowohl visionäre als auch lösungsorientierte Arbeit“ gewürdigt.
Das Tempo der Realisierung wird nun wesentlich davon abhängen, wie schnell sich finanzkräftige Sponsoren finden lassen. Demgegenüber ist das Projekt von Amanda Dawson von der australischen Nathan University eigentlich schon Realität – doch eben auch eine Realität, deren Existenz bedroht ist. Die Meeresbiologin hatte eigentlich untersuchen wollen, wie schädlich sich Plastikmüll auf den Krill, also die Krustentiere des Planktons auswirkt. Dazu versetzte sie ihre Versuchsbecken mit Polyethylenkügelchen, die weltweit als Peelingmittel in Duschgels und Kosmetika eingesetzt werden. Es zeigte sich: die winzigen Krebse schluckten die Micro-Plastikteilchen herunter, bearbeiteten sie in ihrem Verdauungstrakt und gaben sie solchermaßen „zerschreddert“ wieder an die Umwelt ab, wo sie schließlich von Algen und Bakterien am Meeresboden endgültig zersetzt werden können. „Im Durchschnitt waren die Partikel um 78 Prozent kleiner als vorher“, so Dawson. Und in der freien Natur könne der Effekt sogar noch größer sein, denn dort hätten Sonnenlicht und Salzwasser ja viele Kunststoffe schon vorzerkleinert.
Es wäre also durchaus denkbar, den Krill für den biologischen Abbau von Plastik einzusetzen. Dawson treibt bei dieser Vorstellung allerdings die Sorge um, dass das frei lebende Krustentier ja von zahlreichen anderen Tieren gefressen wird, beispielsweise von Walen. „Dort könnten sich dann die vom Krill aufgenommenen Plastikmengen anreichern“, warnt die Biologin. Ganz zu schweigen davon, dass es derzeit den Krebstierchen genauso an den Kragen geht wie den Walen, so dass sie zunehmend als Plastik-Recycler ausfallen. Denn sie werden massenweise abgefischt, um zu Tierfutter verarbeitet zu werden, oder zu Fischölkapseln, die als vorbeugende Nahrungsergänzung gegen Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen beworben werden.
Experten warnen, dass die Krillbestände an einigen Stellen bereits dramatisch eingebrochen seien. Greenpeace fordert, an der Antarktis eine 1,8 Millionen Kilometer große Schutzzone für den Krill zu schaffen. Die Umweltschützer haben dabei freilich den Schutz der antarktischen Nahrungskette im Auge, insofern der Krill an deren Anfang steht. Aber die von ihnen geforderte Schutzzone würde auch beim Abtragen des Plastikmülls in den Ozeanen helfen. Umsonst, wohlgemerkt, ohne finanziellen Aufwand. Die Kunden müssten nur auf Fischölkapseln verzichten – und deren gesundheitlicher Wert ist ohnehin zweifelhaft.