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Ratgeber PartnerschaftDas Gefühl, vom Partner erdrückt zu werden

Lesezeit 6 Minuten

Beziehungen in denen der einer nur gibt oder nur nimmt, sind oft zum Scheitern verurteilt.

Braucht ihre Partnerschaft nur mal eine Pause oder soll sie die Beziehung beenden? Sabine schreibt folgende Sätze in ein Internet-Partnerschaftsforum und erhofft sich Rat: "Ich weiß, er liebt mich wirklich, und es ist auch schön, geliebt zu werden. Aber ich fühle mich mehr und mehr erdrückt von seiner Liebe und Fürsorge. Im Augenblick suche ich richtig nach Dingen, über die ich mich aufregen kann." Vorbei das Kribbeln im Bauch vor dem ersten Kuss, vorbei die glückliche Zufriedenheit der ersten Jahre nach der Hochzeit, vorbei die vertraute Harmonie im Alltag. Irgendetwas ist in ihrer Beziehung in Schieflage geraten. Warum ist es so gekommen? Sabine weiß es nicht.

Manchmal stimmt die Symmetrie nicht

"Es gibt viele Gründe, warum Paare in Schwierigkeiten geraten", sagt Dr. Erhard Wedekind, Psychologischer Psychotherapeut und Lehrtherapeut der Arbeitsgemeinschaft für psychoanalytisch-systemische Forschung und Therapie (APF) in Köln. Das könnten außergewöhnliche Ereignisse sein, wie eine Krankheit oder eine plötzliche Arbeitslosigkeit oder auch die Belastungen, die ein Leben mit kleinen Kindern mit sich bringt. Manchmal aber stimme einfach die Symmetrie einer Beziehung nicht und es entstehen - bewusst oder oft auch unbewusst - Abhängigkeiten. Beziehungen aber in denen der einer nur gibt oder nur nimmt, seien oft zum Scheitern verurteilt, betont die Kölner Psychotherapeutin Dr. Christiane Jendrich.

Die Arbeitsgemeinschaft für psychoanalytisch-systemische Praxis und Forschung (APF) ist ein Zusammenschluss von Therapeuten, die seit mehr als 30 Jahren Weiterbildungsveranstaltungen anbieten, u.a. zur Psychoanalytisch-Systemischen Therapie, Psychoanalytisch-Systemischen Beratung, Psychoanalytisch-Systemischen Paartherapie. Wichtig ist der APF bei ihren Angeboten die Konzentration auf den persönlichen Lernprozess der Teilnehmer, ihre Positionierung im beruflichen und privaten Kontext und die gezielte Förderung ihrer besonderen Ressourcen und Potenziale. Die Kurse sind mehrjährig und werden von der "Systemische Gesellschaft" zertifiziert.

www.apf-koeln.de

Gleichwohl gebe es asymmetrische Beziehungen, die funktionierten. "In diesen Beziehungen arrangieren sich die Partner ganz bewusst mit ihren Rollen und sind damit auch zufrieden", erklärt die Kölner Therapeutin. Entscheidend für das Gelingen einer solchen abhängigen Beziehung sei das Ausmaß und die Ausprägung der Abhängigkeit. Schließlich gebe es einen Unterschied zwischen dem positiven Gefühl jemanden zu brauchen und davon, beherrscht zu sein, ohne die Person nicht leben zu können.

Ein typisches Anzeichen für eine Abhängigkeit ist nach Einschätzung Jendrichs deshalb auch, wenn ein Partner zwanghaft an der Beziehung festhält, obwohl das eigene Urteil oder das anderer sagt, dass die Beziehung entwicklungshemmend ist. Auch eine starke Angst verlassen zu werden deute auf eine Abhängigkeit hin. Problematisch sei es zudem, wenn die Beziehung für einen der Partner zum einzigen Lebensinhalt werde und der Partner als alleiniger Maßstab gelte. "Wenn man sich nur über den Partner definiert, führt das irgendwann zum Verlust des eigenen Selbstwertes", so Christiane Jendrich.

Um zu verstehen, warum zum Teil jahrelange Beziehungen auf einmal zu einer Belastung werden, empfiehlt Erhard Wedekind eine "einfache Übersetzungshilfe": Den Blick in die Lebensgeschichte des anderen. Denn inzwischen sind sich die Paarforscher einig, dass es vor allem zwei Dinge sind, die eine Paarbeziehung beeinflussen: Die Herkunftsfamilie und die Frage, ob man durch frühkindliche Erfahrungen überhaupt in die Lage versetzt wurde, verlässliche Bindungen aufzubauen. "Diese Erfahrungen begleiten uns ein Leben lang", betont Jendrich.

Die eigene Entwicklung und der Umgang in der Herkunftsfamilie hätten großen Einfluss etwa auf die Sicherheit im eigenen Selbstverständnis und etwa auch auf die korrekte Selbsteinschätzung von dem, was man könne und eben nicht. Wichtig sei es zudem, dass man im Zusammenleben in der Familie lerne, seine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und auch zu formulieren. Heute wisse man, dass die Partnerwahl nur zu einem verschwindend geringen Anteil eine wirklich bewusste Entscheidung ist. Eher unterbewusst entschieden sich viele für eine Kopie des eigenen Vaters oder der Mutter - oder suchen eben genau das Gegenteil.

Einen vielleicht noch größeren Einfluss auf eine Beziehung hat nach Einschätzung vieler Experten das Erfahren von verlässlichen Bindungen in der frühestens Kindheit. "Die Bindungstheorie geht davon aus, dass Babys ähnlich wie Hunger und Durst von Natur aus ein massives Anschlussbedürfnis haben", erläutert Erhard Wedekind. Um eine Bindung und ein Urvertrauen aufbauen zu können, brauchten sie die liebevolle Zuwendung einer Bezugsperson. "Wenn ein Baby nicht verlässliche Signale bekommt und dadurch Sicherheit gewinnt, hat das auch Auswirkungen auf die spätere Partnerschaft", so Wedekind. In vielen problematischen Beziehungen ließen sich genau diese unsicheren Bindungsmuster finden.

"Kinder brauchen von klein auf eine kommunikative Verbundenheit", betont auch Christiane Jendrich. Ohne direkte Ansprache friere ihre Emotionalität ein und das führe dazu, dass diese Kinder als Erwachsene nur schwer in der Lage seien, sich einem anderen Menschen gegenüber zu öffnen. Wenn Kinder durch ihre Eltern zu wenig Geborgenheit und Verlässlichkeit erfahren, könne dies dazu führen, dass sie als Erwachsene ein extrem großes Nähebedürfnis hätten oder auch aus Angst vor Enttäuschung erst gar keine Bindung eingehen.

Scheidung beeinflusst Bindungsverhalten

Die Erfahrung von Psychotherapeut Wedekind besagt auch, dass unabhängig von der Entwicklung eines Urvertrauens auch eine Scheidung der Eltern das Bindungsverhalten der Kinder beeinflusst. "Vor allem das Alter zwischen neun und 16 Jahren ist kritisch. In diesem Altern empfinden Kinder eine Trennung als besonders störend. Das kann dazu führen, dass diese Kinder später nicht besonders zuversichtlich in die Tragfähigkeit einer Beziehung sind", so Wedekind.

Oft sind es für Christiane Jendrich diese grundlegenden, in der Kindheit zu kurz gekommenen Bedürfnisse nach Nähe, die zu Abhängigkeiten in einer Beziehung führen können. "Allerdings wird ein Erwachsener diese frühkindlichen Bedürfnisse nach Nähe nie in der Weise erfüllen können, wie es Eltern einem Kind gegenüber tun." Die Gefahr bestehe, dass in solchen Beziehungen der eine Partner in die Kinderrolle gerate. Für eine gewisse Zeit kann eine solche Asymmetrie für beide ein Stabilitätsgarant sein. In dem Moment aber, in dem einer der Partner "nachreife" und sein Verhalten ändere, habe das Auswirkungen auf das gesamte Beziehungssystem. "Wenn dieses so resistent ist, dass eine Änderung nicht möglich ist, kann es für den einen Partner unter Umständen besser sein, das System zu verlassen.""Ein Patentrezept für gelingende Beziehung gibt es nicht", glaubt auch Erhard Wedekind. Egal wie lange man zusammen sei, es würden immer zwei getrennte Gedankensysteme bleiben - und das sei auch gut so. "Der andere ist ein anderer und sollte auch ein Anderes, Geheimnisvolles blieben, damit der Reiz bleibt." Unterschiedlichkeit sei schließlich eine wichtige Quelle der Paarbindung. Diese Unterschiedlichkeit setze voraus, dass man sich gerade in einer Beziehung mit Respekt und auch einem gewissen Abstand begegne, der Raum für den jeweils anderen lasse.

Problematisch könne es deshalb werden, wenn einer der Partner aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus diese Grenzziehungen aufgibt. "Das nimmt ihm oder ihr vielleicht die Unsicherheit. Der Preis dafür ist aber hoch: Dann entwickelt sich eine Beziehung auf Augenhöhe schnell zu einer Art Patient-Pfleger-Verhältnis", warnt Wedekind.