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Regretting Motherhood„Ich bereue, dass ich Mutter geworden bin“

Lesezeit 6 Minuten

Frau Fischer, vom eigenen Kind frustriert und genervt zu sein, das kennt jede Mutter. Aber Sie sagen, dass Sie es bereuen, Mutter geworden zu sein. Wieso?

Ich weiß, bereuen ist ein hartes Wort. Und deswegen sage ich auch im gleichen Satz: ich liebe meine Tochter über alles. Aber darum geht es gar nicht, es geht nicht darum, die Liebe zu meinem Kind anzuzweifeln. Sondern mir geht es darum, das Mutterbild in Deutschland, in das wir alle hineingepresst werden, anzuprangern.

Was ist dieses Mutterbild und was stört Sie daran?

Studie

Die israelische Soziologin Orna Donath von der Universität Tel Aviv hat im vergangenen Jahr eine Studie zum Thema "Regretting Motherhood" (dt: bereute Mutterschaft) vorgestellt. Damit hat sie die Aufmerksamkeit auf ein Thema gelenkt, dass von vielen als Tabu wahrgenommen wird und das bisher wissenschaftlich kaum untersucht wurde.

Für ihre Studie hatte sie 23 israelische Mütter im Alter von Mitte zwanzig bis Mitte 70 in ausführlichen Interviews zu ihren Gefühlen gegenüber der eigenen Mutterrolle befragt. Donath hatte nur Teilnehmerinnen ausgewählt, die im Vorfeld zugaben, ihre eigene Mutterschaft zu bereuen. Das Thema hat seitdem für viel Furore gesorgt, besonders im Internet und in den sozialen Netzwerken. (chn)

Unsere Gesellschaft urteilt darüber, wie eine Mutter zu sein hat. Es fängt schon dabei an, ob ich die Einladungen für den Kindergeburtstag selbst bastele oder schnell in einem Geschäft besorge, ob ich den Kuchen zum Kitafest kaufe oder selber backe. Aber es geht noch weit darüber hinaus. Von der Schwangerschaft an mischt sich das soziale Umfeld ein. Und mich nervt dieses vermeintliche Mutter-Kind-Idyll.

Was meinen Sie damit?

Auf dem Spielplatz dachte ich anfangs immer: Bin ich denn die Einzige hier, die keinen Spaß daran hat, hier rumzuhocken? Ich dachte, mit mir stimmt etwas nicht. Ich bin keine eiskalte Egoistin, anfangs habe ich noch gedacht, ich müsse nur mehr an mir arbeiten. Ich habe lange mit mir gehadert und mir immer wieder gesagt, jetzt konzentrier dich doch mal auf dein Kind.

Wann wurde es besser?

Als im Frühjahr die Debatte um die israelische Studie "Regretting Motherhood"  losging. Da fühlte ich mich wie elektrisiert und habe angefangen zu recherchieren. Und mir wurde klar, auch in vielen späteren Gesprächen mit anderen Müttern: Es gibt noch mehr von meiner Sorte. Vielleicht habe ich auch anfangs die falschen Eltern kennen gelernt. Im letzten Sommer habe ich zum ersten Mal eine Mutter und einen Vater auf dem Spielplatz getroffen, mit denen ich nicht nur über die Kinder, sondern auch über andere Themen reden konnte. Über uns Erwachsene, über unsere Jobs. Meistens geht es unter Eltern nur um die Kinder und das finde ich schade.

Sie sind mit knapp 40 Mutter geworden. Haben Sie sich bewusst für das Kind entschieden?

Ja, mir war auch klar, dass ich dann beruflich zurückstecken werde, aber mir war nicht klar, dass ich so extrem eingeschränkt sein würde und dass mir solche Steine in den Weg gelegt werden würden. Ich organisiere Reisen für TV-Teams, meine Tochter war schon mit mir in 35 Ländern. Überall hörte ich nur: "So viel reisen mit dem Kind, das kannst du doch nicht machen" oder "Die Mutter gehört zum Kind."

Und das stimmt in Ihren Augen nicht?

Was ich dazu sage, ist: Mutterschaft ist kein Glücksgarant. Ich weiß, dass es vielen Frauen so geht wie mir, deswegen breche ich dieses Tabu und rede darüber. Ich möchte darauf aufmerksam machen, damit sich in unserer Gesellschaft etwas ändert.

Was genau sollte sich ändern?

Die Familienpolitik etwa in Skandinavien und Frankreich ist schon viel weiter. In Deutschland ist in der Regel der Mann der Hauptverdiener - auch weil der Doppelverdienerhaushalt hier staatlich nicht gefördert wird. In Deutschland gilt das ungeschriebene Gesetz, dass eine Mutter Verzicht üben und eigene Wünsche hintan stellen sollte. Das ist Quatsch, denn es gibt auch ein "sowohl als auch". Jede Mutter sollte es so machen, wie sie es für richtig hält und keiner sollte sich anmaßen, darüber zu urteilen. Hier heißt es so oft "das macht man als Mutter nicht". Dieser Satz ist für mich typisch deutsch.

In Ihrem Buch schreiben Sie, Sie wären lieber Vater geworden. Warum haben es Männer besser?

Für den Mann in Deutschland bleibt mit einem Kind ja fast alles gleich, er bekommt nur noch etwas Schönes oben drauf. Er hat seinen alten Beruf, ein tolles Kind und wahrscheinlich auch eine tolle Frau. Für Mütter ändert sich viel mehr. Manchmal fast alles und das muss nicht unbedingt zu ihrem Vorteil sein.

Woran machen Sie das fest?

Wenn eine Mutter auf dem Spielplatz sitzt und hektisch in ihr Handy tippt, rümpfen alle die Nase. Wenn ein Vater das allerdings macht, heißt es: Toll, der Business-Man geht auch noch mit seinem Kind auf den Spielplatz. Wenn ein Vater am Samstagnachmittag zwei Stunden mit seinem Kind spielt, sagt das Umfeld: Super, wie viel Zeit er sich nimmt. Dabei wird offenbar übersehen, dass die Mutter das die ganze andere Zeit eben auch macht.

Ist das bei Ihnen persönlich so?

Ich habe das Glück einen Mann zu haben, der mich stark unterstützt. Er kocht bei uns das Bio-Essen, ich mache auch mal eine Dose mit Erbsen und Möhren auf. Trotzdem ist es so, dass sich mein Leben seit meinem Kind stark verändert hat. Ich zerreiße mich jeden Tag aufs Neue.

Wie viel arbeiten Sie?

Ich bin Freiberuflerin und arbeite etwa 20 bis 25 Stunden pro Woche. Vor dem Kind waren es gut 50 Stunden. Früher war ich sieben Monate im Jahr beruflich auf Reisen. Viele Jobs kann ich heute nicht annehmen, weil meine Tochter von der Kita abgeholt werden muss und wir keine Großeltern in der Nähe haben. Mir macht mein Job viel Spaß, ich arbeite aber auch, weil wir das Geld brauchen.

Und Sie würden wirklich die Zeit zurückdrehen, wenn Sie könnten, um wieder kinderlos sein?

Nein, ich würde die Zeit vorausdrehen. In eine Welt, in der eine Frau mit Kindern genauso leben kann wie eine Frau ohne Kinder.

Was genau vermissen Sie denn so sehr aus ihrem vorherigen Leben?

Alles, was ich früher gern gemacht habe, wozu mir jetzt Zeit und Gelegenheit fehlen. Mir geht es dabei um Freiheit, Selbstbestimmung, finanzielle Souveränität und Spontaneität. Aber das trifft es noch nicht einmal richtig. Wenn eine Frau zur Mutter wird, bleibt eben manchmal die Frau, die sie vorher war, auf der Strecke. Ich meine aber, dass das nicht so sein müsste - wenn die Gesellschaft die Mütter besser unterstützen würde. Am allermeisten vermisse ich, dass ich früher nicht ständig begutachtet und bewertet wurde.

Was ist mit den vielen Glücksmomenten, die einem so ein kleiner Mensch beschert? Lachen, Umarmungen, bedingungslose Liebe- Wiegt das den Stress nicht auf?

Aber natürlich! So geht es doch jedem Menschen. Schöne Erlebnissen wiegen Stress auf - aber man kann ja auch nicht den ganzen Tag nur sein Kind betrachten, das würde dann ja wohl einen Koller kriegen.

Ein zweites Kind wird es bei Ihnen nicht geben?

Auf gar keinen Fall.

Sarah Fischer: Die Mutterglück-Lüge: Regretting Motherhood - Warum ich lieber Vater geworden wäre, Ludwig-Verlag, 16,99 Euro.