Twitter-Deutsch und DenglischSchadet Jugend-Slang der deutschen Sprache?

Jugendliche mischen Deutsch und Englisch - Sprachpatrioten sehen schon seit längerem den Untergang der deutschen Sprache kommen.
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Köln – "Ey Alter, isch schwör, isch geh Schule." So manchen Erwachsenen durchzuckt es unwillkürlich, wenn er in der Straßenbahn oder auf Straße Zeuge einer Unterhaltung unter Jugendlichen wird. Artikel und Präpositionen scheinen sie nicht mehr zu kennen, geschweige denn den Genitiv. Warum auch? In ihrer Welt wird kurz gechattet und gechilled. Was Jugendliche vielleicht "voll krass" oder "swag" finden, erfüllt jedoch nicht nur Liebhaber der deutschen Sprache bisweilen mit Unbehagen. Der Gedanke, die jüngere Generation brauche eine kollektive Nachhilfestunde in Deutsch, scheint manchem nicht mehr so abwegig.
Verkürztes Twitter-Deutsch, eine eigene Jugendsprache, die Eltern kaum mehr verstehen, eine nicht enden wollende Flut an Anglizismen und der zunehmende Druck, Unterschiede zwischen den Geschlechtern auch sprachlich einzuebnen und aus Studenten Studierende und aus Mitarbeitern Mitarbeitende zu machen - Sprachpatrioten sehen schon seit längerem den Untergang der deutschen Sprache kommen. Erst Mitte September rief der Verein Deutsche Sprache bundesweit zum 15. Mal den Tag der deutschen Sprache aus. Um "das Deutsche als vollwertige Kultursprache zu erhalten".
Es gibt eine deutliche Gefährdung
Natürlich sterbe die deutsche Sprache nicht so schnell aus, räumte der wissenschaftliche Beirat des Vereins, Professor Horst Haider Munske, kürzlich in einem Fernsehinterview ein. Eine deutliche Gefährdung aber gebe es, betont der Sprachwissenschaftler. Verantwortlich dafür seien drei Entwicklungen: Sowohl in der Wirtschaft als auch in der Musikszene wendeten sich immer mehr vom Deutschen ab. Hinzu komme das Bestreben der Gender-Bewegung nach sprachlicher Emanzipation. Die Inflationen von /-innen oder er /sie erschwere die Lesbarkeit des Deutschen und damit sei die Grenze einer Sprache erreicht. Und schließlich lernten Kinder an vielen Schulen kein Standardschreiben mehr.
Andere Germanisten wie Marita Pabst-Weinschenk sehen die Zukunft der deutschen Sprache nicht ganz so düster. "Sprache ist nie etwas Festes, Sprache ist immer im Fluss und deshalb einem massiven Wandel ausgesetzt", sagt die Düsseldorfer Hochschullehrerin. Um die sich ständig wandelnde Lebensrealität abzubilden, sei das auch gut so. Außerdem sei der Sprachwandel keineswegs ein rein deutsches Phänomen. "Sprachen beeinflussen sich gegenseitig. Jede Sprache nimmt bestimmte Dinge von anderen Sprachen auf", erklärt sie. Selbst Englisch, das sich als Weltsprache in allen anderen Sprachen einzunisten scheint, unterliege einem permanenten Wandel - oder einer "Verstümmelung", wie einige englische Sprachkritiker befürchten. Die Tatsche, dass immer mehr Menschen Englisch sprechen, die die Sprache nicht als Muttersprache gelernt haben, führe mehr oder weniger zu einer Verunreinigung der englischen Sprache, so die Sorge mancher Briten.
Doch was ist eigentlich eine "reine Sprache", was wäre also "gutes Deutsch"? Selbst die angeblich so "schöne Sprache der Klassiker" entspreche keineswegs dem, was man heute als gutes Deutsch bezeichnet, sagt Marita Pabst-Weinschenk. So habe Goethe in seinen Regeln für Schauspieler (1803) zwar gefordert, dass "kein Provinzialismus" die Rede stören dürfe, aber an Reimen in seinem Meisterwerk "Faust" lässt sich seine hessische Herkunft nicht verleugnen: So lässt er "Gretgen" in der "Mauerhöhle" vor dem "Andachtsbild der Mater dolorosa" sagen: "Ach neige, Du schmerzenreiche, Dein Antlitz ab zu meiner Noth!" Und das von Goethe gern benutzte "Hausfrauenperfekt" ("Mignon hatte sich versteckt gehabt") klingt heute eher hölzern. Auch die Schreibweisen der Klassiker seien insgesamt eigenwillig gewesen. Unsere heutige Rechtschreibung beginne erst 1903 mit der amtlichen Verordnung des Regelwerks von Konrad Duden für die Schulen.
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"Gutes Deutsch" ist für die Düsseldorfer Sprechwissenschaftlerin so zum einen "das, was den im Duden formulierten bestehenden Regeln entspricht". Aber das sind für Pabst-Weinschenk auch kreative Neuschöpfungen, die besonders anschaulich Dinge beschreiben helfen. So habe in den 1970er Jahren der Hersteller der Schokolade "Novesia Goldnuss" das Adjektiv "nussig" erfunden - ein Begriff, der 30 Jahre später fester Bestandteil unserer Sprache ist, weil er gut beschreibt, was eben einen Nussgeschmack hat. Sinnvoll und gut sei in ihren Augen auch das Übernehmen bestimmter englischer Begriffe etwa im Medienbereich. "Da ist es besser, wenn man international auf einer Linie bleibt", so Pabst-Weinschenk. Der Begriff "Laptop" sei passender und eingängiger als der deutsche Begriff "Klapprechner", der es nie in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft hat. Gleichwohl müsse man solch sinnvolle Anglizismen von unsinnigem Denglisch wie "gecancelled" oder "gedownloaded" unterscheiden, bei denen deutsche Bildungsregeln einfach auf englische Begriffe übertragen würden - obwohl es mit "abgesagt" oder "heruntergeladen" passende deutsche Begriffe gibt.
Sprache ist nicht planbar
Allerdings sei Sprache nicht planbar. Von oben etwas zu verordnen sei schwieriger, als etwas entstehen zu lassen. Welcher "sprachliche Trampelpfad" von der Gesellschaft tatsächlich zu einem breiten Weg ausgetreten werde, den alle nutzen, sei oft nicht vorhersehbar. Wenig erfolgreich sei so vor einigen Jahren auch der Versuch von einigen Sprachplanern gewesen, dem Begriff satt (als Gegensatz zu hungrig) mit "sitt" (als Gegensatz zu durstig) ein Pendant entgegenzusetzen. "Das hat sich in der Gesellschaft nicht durchsetzen können", so Pabst-Weinschenk.
Ob sich die Kiezsprache der Jugendlichen von einem sprachlichen Trampelpfad zu einem breiten Weg ausweitet und zur Standardsprache wird, weiß Marita Pabst-Weinschenk natürlich nicht: "Dafür müsste man Hellseher sein." Das würden erst die nächsten 20 bis 30 Jahre zeigen. Richtig besorgt, dass es so weit kommen könnte, scheint die Düsseldorfer Wissenschaftlerin allerdings nicht zu sein. "Jugendsprache hebt sich immer ab; Sprache ist für Jugendliche immer auch ein Medium der Abgrenzung gegen traditionelle Normen und identitätsstiftend." Auch Sprachwissenschaftler Haider Munske sieht in der Jugendsprache doch eher eine "spezielle Kommunikationsform". Dass sie einmal zum Standard werde, bezweifelt auch er.
Hoffnung macht den Sprach-Experten zudem, dass "derzeit viel Sprachpflegerisches an der Tagesordnung ist", so Pabst-Weinschenk.
Die Tatsache, dass sich dadurch viele mit dem Thema Sprache auseinandersetzen und die deutsche Sprache durch Bastian Sick sogar Unterhaltungswert bekommen hat, werde auf jeden Fall Einfluss auf den Sprachwandel haben, ist Marita Pabst-Weinschenk sicher.