Spielzeug-Legende60 Jahre Lego – Einblick in eine echte Erfolgsgeschichte

Wer mit Lego groß geworden ist, kann nur schwer seine Hände davon lassen.
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Der kleine Ort Billund in Südwestjütland ist, so heißt es bei den 6000 Einwohnern, „drei Stunden von allem entfernt“. Geografisch stimmt das. Bis zu den nächsten richtigen Großstädten Hamburg und Kopenhagen sind es je knapp 300 Kilometer. Aber Billund hat seit mehr als 50 Jahren einen Flughafen. Nicht irgendeinen holprigen ländlichen Landeplatz, sondern den zweitgrößten Flughafen Dänemarks. Drei Millionen Passagiere im Jahr. Hier landen Lufthansa und Air France, Alitalia und Air Canada, KLM und United Airlines. Viele, die hier aussteigen, haben dasselbe Ziel: Lego.
Vier Buchstaben, ein Begriff. Billund ist der Ort der Steine und der Ort der Sehnsucht für all jene, die dem Zauber der bunten Kunststoff-Klötzchen verfallen sind. Hier fing alles an, und hier wird nach wie vor über die Geschicke eines der größten Unternehmen auf dem weltweiten Spielzeugmarkt entschieden.
„Das Imperium der Steine“ heißt im Deutschen ein Buch des amerikanischen Technologiemanagement-Professors David C. Robertson, das von Aufstieg, Krise und Wiederaufstieg der dänischen Spielzeugmacher erzählt. „Das Steinreich“ nannte das Magazin Cicero ein bisschen anspielungsreicher seine Lego-Geschichte. Denn mit kleinen Steinen kann man reich werden, steinreich sozusagen. Auf Platz 35 der vom Wirtschaftsmagazin Forbes erstellten Liste der Milliardäre des Jahres 2017 taucht mit 21,1 Milliarden US-Dollar (rund 17,6 Milliarden Euro) ein gewisser Kjeld Kirk Kristiansen auf. Er stammt aus der Lego-Gründerfamilie und führte das Unternehmen 25 Jahre lang. 2004 noch lag sein geschätztes Vermögen bei 2,5 Milliarden Dollar. Da muss sich ganz schön Klötzchen auf Klötzchen gebaut haben.
Kampf um die Hoheit im Kinderzimmer
Gleichwohl kommen aus dem Lego-Städtchen Billund derzeit keine guten Zahlen. Der Spielwaren-Hersteller streicht weltweit 1400 seiner insgesamt 18 200 Arbeitsplätze. Der Gewinn ist um drei Prozent auf rund 457 Millionen Euro zurückgegangen, der Umsatz um fünf Prozent auf rund zwei Milliarden Euro. Das klingt zwar nicht dramatisch; aber der Kampf um die Hoheit im Kinderzimmer wird inzwischen mit harten Bandagen geführt. Dafür will der Spielzeugriese aus Dänemark gerüstet sein.
Wenn man so will, hat auch die Lego-Firmengeschichte mit Entlassungen begonnen. Als 1932 die Weltwirtschaftskrise das verschlafene Örtchen Billund erreicht, muss der Tischlermeister Ole Kirk Christiansen seine Mitarbeiter gehen lassen. Wenig später verliert er seine Frau. „Ole“, so sagt es ein von Lego produzierter kleiner Chronik-Film, „war ein ganz besonderer Mensch. Er war nicht der Typ, der aufgab. Und da er für vier Söhne verantwortlich war, musste er sich etwas einfallen lassen.“ Ole fertigt aus dem in der Werkstatt verbliebenen Holz Spielzeug, Sohn Godtfred hilft nach der Schule mit. Die Kunde von der guten Handarbeit aus Billund spricht sich schnell herum, die entlassenen Mitarbeiter können wieder eingestellt werden. Der Katalog der „LEGO Fabriken Billund“ zählt Ende der 30er Jahre schon 100 Spielzeuge auf, die bunte, hölzerne Lego-Ente wird zum Verkaufsschlager.
"Spiel gut" führte zum Namen
Den Namen hat Tischler Ole selbst erfunden – es ist eine Verkürzung des dänischen „leg godt“, was soviel heißt wie „spiel gut“. Eine Anekdote aus der Gründerzeit wird in Billund auch heute noch gern erzählt. Als Sohn Godtfred zufrieden verkündet, er habe, um Geld zu sparen, die Enten lediglich zwei Mal lackiert, lässt Vater Ole das transportfertige Spielzeug wieder auspacken und zum dritten Mal bemalen. Godtfred darf anschließend in Holz das schnitzen, was der Vater wie eine Gesetzestafel in der Werkstatt aufhängt: „Det bedste er ikke for godt“ (nur das Beste ist gut genug).
Ausstellung
Das Deutsche Museum in Bonn, Ahrstraße 45, zeigt bis zum 13. April die Ausstellung „Stein auf Stein“. Zu sehen sind mehr als 600 Lego-Modelle: Baustellenfahrzeuge, Rennwagen, Hubschrauber, Schiffe. Auch ganze Städtelandschaften und Raumfahrtszenarien gehören dazu. Geöffnet Di-So 10-18 Uhr.
Das Unternehmen erlebt 1942 einen verheerenden Werkstattbrand und fängt noch einmal ganz von vorn an. Zu den Anschaffungen gehören Kunststoff-Spritzguss-Maschinen – das Plastik hält Einzug. Ein von dem englischen Spielzeugmacher Hilary Fisher Page entworfener Spielstein findet das Interesse der Dänen. Sie entwickeln ihn weiter, bis man mit ihm richtig klemmfest bauen kann. Vor 60 Jahren, am 28. Januar 1958 – die Firmenchronik weiß es ganz genau: um 13.58 Uhr – meldet Godtfred Kirk Christiansen ein Patent für den Lego-Stein an: Acht Noppen oben, drei Röhren unten. Damit beginnt die Eroberung der Spielzeugwelt.
Es geht nur bergauf. Zehn Jahre später wird in Billund der Freizeitpark Legoland eröffnet, der mit Millionen von verbauten Steinen knallbunt vor Augen führt, welche Welten man mit Lego konstruieren kann. Schon im ersten Jahr kommen 600 000 Besucher. Für deutsche Familien, die an der beliebten Westküste Dänemarks Urlaub machen, ist der Billund-Trip seitdem ein Muss. 1978 betritt das Legomännchen die Welt, die Gliedmaßen lassen sich bewegen, das gelbe Gesicht hat ein Lächeln, das sich schwer deuten lässt. Mit dem Männchen – mit Lego-Weibchen tun sich die Dänen noch schwer – macht das Unternehmen einen gewaltigen Sprung nach vorn. Jetzt lassen sich nicht nur Häuser und Autos, Burgen und Schlösser bauen, jetzt kann man mit Steinen und Figuren ganze Geschichten erfinden und erzählen. Der Fantasiewelt sind keine Grenzen gesetzt.
Krise und Besinnung
Gleichwohl gerät das Unternehmen in eine Krise. Das Management verzettelt sich mit der Anlage weiterer Legoland-Parks, 2004 schreibt man Verluste von über 200 Millionen Euro. Die Besinnung aufs Kerngeschäft führt in die schwarzen Zahlen zurück. An Ideen ist kein Mangel. Mit Lego Duplo hat man schon längst die Welt der kleinsten Baumeister, so ab 18 Lebensmonaten, erreicht und bietet ihnen beispielsweise ein Krokodil mit klappbarem Gebiss oder einen Elefanten mit Rüsselrutsche. Lego Architecture kann auch für Erwachsene noch eine Herausforderung sein, wenn man sich an berühmten Bauwerken der Welt wie Brandenburger Tor oder Buckingham Palace versucht oder die Skyline von Chicago oder London Stein für Stein erstehen lässt. Lego Mindstorms hat den programmierbaren Baustein samt Roboter ins Haus gebracht. Und auch die Mädchen hat man 2012 im Reich der Steine entdeckt: Stephanie, Olivia, Emma, Mia und Andrea tummeln sich ein bisschen barbiehaft in der quietschbunten Heartlake City. Politisch korrekte Kritiker stoßen sich dabei an der Farbübermacht von Pink und Lila.
Nachahmung kennt kaum Grenzen
Als richtige Geldbringer erweisen sich für Lego freilich die Lizenz-Produktionen. Was Hollywood zu großen Kino-Geschichten verarbeitet hat, lässt sich zu Hause nachbauen: Star Wars, Harry Potter, Indiana Jones, Batman, der Herr der Ringe. Das wahrscheinlich meistverkaufte Objekt der Begierde ist der Todesstern aus dem Krieg der Sterne: In der Neuauflage hat man es mit 4016 Bauteilen, 23 Mini-Figuren und einer dicken Anleitung zu tun. Der Lego-Bastler darf dafür schon mal an die 600 Euro zusammensparen und zwölf Stunden Bauzeit veranschlagen.
Solche Erfolgs-Produktionen rufen Nachahmer auf den Plan. Der Lego-Patentschutz ist lange abgelaufen, auf dem Markt tummeln sich unzählige Lego-Klone, die vom Original praktisch nicht zu unterscheiden sind, aber im Preis deutlich unter den Lego-Modellen liegen. Das dänische Unternehmen hat Ende 2016 im chinesischen Jiaxing eine Fabrik eröffnet, in der rund 70 Prozent der Klötzchen für den asiatischen Markt produziert werden sollen. Ob das die grassierende Kopier-Lust stoppen kann, ist fraglich. Gerade in China kennt die Nachahmung kaum Grenzen. Selbst die Verpackung gerät täuschend ähnlich, Star Wars wird ganz simpel zu Star Wrns. Vor wenigen Tagen hat sich Lego mit dem chinesischen Internet-Unternehmen Tencent zusammengetan, um Online-Spiele und ein soziales Netzwerk für chinesische Kinder zu entwickeln.
Was Lego und andere namhafte Spielwaren-Herstellen derzeit richtig in die Bredouille bringt, sind allerdings gar nicht so sehr die Produktkopien. Das klassische Spielzeug zum Anfassen konkurriert heute mit den digitalen Unterhaltungsangeboten um die Zeit im Kinderzimmer: Klötzchen gegen Smartphone, Legomännchen gegen Tablet. „Kids getting older younger“ heißt es deshalb in der Branche: Immer früher greifen Kinder im gut vernetzten Haushalt zum digitalen Zeitvertreib.
Die erwachsenen Kinder allerdings, die mit dem Steinzeug aus Billund groß geworden sind, können ihre Hände nur schwer von Lego lassen. Kurz vor dem Jahreswechsel meldete Tel Aviv den Bau eines Lego-Turms von exakt 35,95 Meter Höhe: Weltrekord. Derzeit jagt eine Gruppe nach der anderen um die Rekordzeit im Schnellbau des neuen Star Wars Millennium Falcon. 7 541 Einzelteile – das größte reguläre Lego-Set aller Zeiten – müssen dabei verbaut werden. Die Rekordmarke soll bei acht Stunden, 24 Minuten und 16 Sekunden liegen.
Das ist nichts für Lego-Genießer. Die halten sich lieber an das unumstrittene Kultobjekt, an die Nachbildung des VW-Campingbusses aus dem Jahr 1962, die aufs schönste zeigt, mit welcher Liebe zum Detail die Dänen zu Werke gehen. Es fehlt an nichts, weder am Aufstelldach noch an den Luftfiltern an der Rückseite. Im Innern findet man nicht nur einen einklappbaren Esstisch und karierte Fenstervorhänge, sondern auch ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Make Lego Models, not War“. Das Ganze empfiehlt Lego erst für Käufer ab 16 Jahren. Vielleicht liegt's daran, dass im Bausatz in Erinnerung an die wilden 60er Jahre auch eine Rückbank enthalten ist, die in ein Bett umgewandelt werden kann.