Trend zur BilligmodeWas nichts kostet, ist nicht fair

Korrekter Style? Aber ja: Designerin Anne Gorke, aus deren Winterkollektion Röcke und Pullis stammen, arbeitet ausschließlich mit Öko-Materialien.
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Mode kann ein Fest sein. Die Lust, sich zu schmücken, ist ein menschliches Grundbedürfnis, die Kreativität von Designern berührt den Bereich der Kunst. Ab heute versammeln sich in Berlin wieder Menschen, die das zu schätzen wissen. Auf den Schauen der Mercedes Benz Fashion Week, auf Messen wie Premium und Bread and Butter, auf Vernissagen und Partys treffen sich die Lust an der Mode und das Geschäft damit.
Mode kann aber auch die Hölle sein. Etwas über ein Jahr ist es her, dass in Bangladesch ein Fabrikgebäude einstürzte. Mehr als 1000 Menschen starben, die dort Kleidung für Europa und die USA genäht hatten. Die Katastrophe war nicht einmal ein Einzelfall: Im November 2012 starben über 100 Näherinnen bei einem Brand.
Eine der Firmen, die im eingestürzten "Rana Plaza"-Gebäude produzieren ließ, war die Modekette Primark. Als Primark Anfang Mai in Köln eröffnete, stürmten Tausende die Filiale.
Wegwerfmode für kleines Geld
Fast Fashion, Wegwerfmode für kleines Geld, wird in Berlin nicht gezeigt. Bei den Messen für ökologisch und fair produzierte Mode, dem Green Showroom und der Ethical Fashion Fair, wird vielmehr über das einheitliche Textilsiegel diskutiert, dass das Bundesentwicklungsministerium für dieses Jahr angekündigt hat und das soziale und ökologische Mindeststandards bei der Produktion von Kleidung sicherstellen soll. Auch sonst ändere sich durchaus etwas in der Branche, sagt Jürgen Dax, Assessor beim Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels. Abzulesen sei das etwa an den Eigenmarken von Händlern wie Kaufhof, C&A oder Tchibo. Da werde inzwischen darauf geachtet, wie sie produziert werden. Weil Skandale direkt auf die Konzerne durchschlagen? "Weil die Konzerne hier Einfluss auf die Produktion haben", sagt Dax. Wenn die Händler bei Markenproduzenten einkauften, hätten sie das nicht. Gerade Großkonzerne setzen auf kleine Schritte. Otto etwa, der größte Textileinzelhändler in Deutschland, schickte im Januar einen Vertreter zum "Clean Green Breakfast" auf die Ethical Fashion Fair. Benjamin Köhler, Projektleiter Corporate Responsibility, diskutierte dort bei Vollkorngebäck und Fairtrade-Fruchtsaft über die Verantwortung der Branche.
Das Problem für die Großen, so Köhler: "Die textile Lieferkette ist komplex, eine umfassende Kontrolle eine Herausforderung. Unter anderem auch weil Mehrkosten, die durch eine Absicherung entstehen, nur in geringem Maße an die Kunden weitergegeben werden können, denn die Bereitschaft, mehr für nachhaltig hergestellte Produkte auszugeben ist nur schwach ausgeprägt." Bei Otto setzt man auf eigene Projekte wie das Programm "Cotton Made in Africa", das nachhaltigen Baumwollanbau fördert - ohne dass die Preise steigen. Dessen Standards beziehen sich allerdings nur auf den Baumwollanbau, reichen also maximal bis zur Spinnerei.
Dabei wird, um den Preis klein zu halten, bei der Produktion von Kleidern meist am Lohn gespart. "Kleidung wird oft zu hundert Prozent in Handarbeit hergestellt, selbst in Anfangspreislagen - die Industrie ist nicht bloß aus Gier in Asien, sondern weil die Produktion enorm lohnintensiv ist", sagt Gerd Oliver Seidensticker, Inhaber des gleichnamigen Hemdenherstellers und Präsident von "German Fashion", des Verbandes der deutschen Textilindustrie, zumeist mittelständischer Firmen.
Hersteller rechnen in Arbeitsminuten, nicht in Stunden. Das betreffe besonders den extrem günstigen Bereich, erklärt Seidensticker: Wo billige Rohstoffe genutzt werden, fällt der Lohn umso stärker ins Gewicht. Im Premium-Segment mache das Material mehr aus, im Luxus-Bereich zahle man auch fürs Image.
Markenhersteller wie Seidensticker fühlen sich zu Unrecht kritisiert für die Skandale der großen Händler - von ihnen sei niemand auffällig geworden, sagt Seidensticker. Er selbst produziere zwar in Asien, aber mit eigener Fabrik, also unter kontrollierten Bedingungen. Früher sei diese Strategie wegen der höheren Kosten belächelt worden - nun profitiere man davon. Indirekt sei man von den Skandalen dennoch betroffen: "Das färbt ab auf die ganze Branche." Insofern haben auch die Markenhersteller ein Interesse, die Zustände zu ändern. Aber wie? Seidensticker zweifelt, ob ein kurzfristig eingeführtes Siegel für mehr Vertrauen sorgen kann - besonders, wenn damit große Teile der Lieferkette erfasst werden sollen: "Wer soll das unabhängig prüfen? Wenn man einen Anbieter herauspickt, entstehen wieder Abhängigkeiten." Die Industrie plädiere dafür, erst einmal nur für die Konfektion - also das Nähen - einen Prüfmechanismus zu entwickeln. Tatsächlich kostet es Unternehmen Zeit und Geld, die Produktionsbedingungen transparent zu machen. Siegel gibt es so viele, dass für Verbraucher kaum nachvollziehbar ist, wofür sie stehen. Die größte Verbreitung unter konventionellen Herstellern hat das Siegel der Business Social Compliance Initiative (BSCI) von Industrie und Handel. Deren Standards werden aber von Kritikern als zu locker empfunden.
Wie kompliziert ein Zertifizierungsprozess ist, weiß Claudia Lanius nur zu gut. Das gleichnamige Label der Kölnerin, gegründet 1999, ist eines der größten im Bio-Mode-Segment. 90 Prozent der Kollektion sind zertifiziert mit dem "Global Organic Textile Standard"-Label (GOTS). Neben ökologischer Produktionsweise wird auch die Einhaltung von Sozialstandards geprüft - etwa die Bezahlung von Mindestlöhnen, die Einhaltung des Verbots von Kinderarbeit, die Möglichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren. In Kleider einnähen darf man das Label nur, wenn die gesamte Lieferkette zertifiziert ist - vom Anbau der Rohstoffe über Färberei, Spinnerei, Konfektionierung. "Für alle Produkte schaffen wir das nicht", sagt Lanius.
Da war etwa dieser Trenchcoat: Gewebt aus zertifizierter Biobaumwolle, in zertifizierten Betrieben genäht und weiterverarbeitet - nur die Druckerei, die den Stoff bedruckte, hatte die geforderte Kläranlage, aber kein Zertifikat. "Aber sie bot als einzige in der Nähe diese Qualität - ein Transport um die halbe Welt wäre auch nicht ökologisch", sagt Lanius.
Für kleine Hersteller - und dazu zählt selbst Lanius immer noch - ist es oft schwer, Fabrikanten dazu zu bewegen, die Produktionsweise umzustellen. Eine zusätzliche Zertifizierung kann eine Fabrik 1500 bis 3000 Euro kosten. Selbst wenn große Unternehmen nur für kleinere Aufträge Standards einfordern, bewegt das viel - weil sich die Umstellung bei diesen Mengen für Produzenten eher lohnt.
Christine Schnura von der Kampagne für saubere Kleidung sieht das anders: "Greenwashing ist Verbrauchertäuschung. Bei den Verbrauchern kommt an: Die tun was, die sind gut - auch wenn das in der Masse gar nicht stimmt." Ein einheitliches Siegel sei dann sinnvoll, wenn es verpflichtend sei - und eine Prüfung in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften vor Ort beinhalte, deren Ergebnisse veröffentlicht werden. Dass Arbeiter besser bezahlt würden, belegten auch viele Bio-Siegel nicht unbedingt. Standards wie die der niederländischen Fairwear-Foundation und GOTS seien da besser. Das Argument, immerhin seien ja die Kunden nicht bereit, mehr zu zahlen, macht Schnura geradezu wütend: "Große Unternehmen haben Gewinnspannen von bis zu zwölf Prozent des Verkaufspreises. Muss da immer der Verbraucher mehr bezahlen - oder könnte man nicht auch mit etwas weniger Gewinn leben?"
Ob es nun der irische Discounter als konsequentester Vertreter seines Segments ist oder jeder andere Laden: Fest steht, dass Kleidung ihren Preis hat. Zahlt man ihn nicht selbst, geht er auf Kosten von jemand anderem. Zudem macht vor allem eines die Kampfpreise möglich: Massenproduktion. Wer Mode als individuelle Ausdrucksform sieht, kann mit Schnäppchen, die alle haben, eigentlich nicht glücklich werden. Das heißt nicht, dass nur Designerstücke den Luxus der Exklusivität bieten. Aber es kann heißen, dass Mode etwas wert sein muss - und kein Wegwerfartikel.