„Wir müssen offen und kritisch sein“Ranga Yogeshwar über den digitalen Wandel

Ranga Yogeshwar zu Gast in der Stadtbibliothek Köln. Nächste Ausfahrt Zukunft heißt sein aktuelles Buch. Geschichten aus einer Welt im Wandel.
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Köln – In seinem Buch "Nächste Ausfahrt Zukunft" beschreibt der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, wie der digitale Wandel unser Leben verändert. Jens Meifert sprach mit ihm über Abhängigkeiten von neuen Technologien und wie der Mensch das Tempo dosieren kann.
Herr Yogeshwar, haben Sie häufiger Probleme mit ihrer Kaffeemaschine?
(lacht) Es ist besser geworden. Aber das Problem, das ich im Buch beschreibe, zeigt beispielhaft unsere Abhängigkeit von moderner Technik. Kaffee aufgießen ist an sich ein sehr simpler Vorgang, die Vollautomaten sind aber High-Tech-Geräte. Die können Sie bestenfalls bedienen, Sie müssen ständig etwas nachfüllen. Das Gleiche bei einem Smartphone: Da können Sie auch nichts selbst reparieren, bei einem Auto wird das immer schwieriger.
Das klingt kulturpessimistisch.
Wir haben zwei Lager: die Technik-Euphoriker, die jede Weiterentwicklung feiern und diejenigen, die den Weltuntergang fürchten, wenn ein neues Gerät auf den Markt kommt. Ich wähle da eher die goldene Mitte und spreche mich für einen reflektierten Fortschritt aus. Das heißt: offen sein für neue Entwicklungen, aber diese auch kritisch hinterfragen. Wir müssen definieren, wie wir mit neuen Freiheiten umgehen und wo wir Grenzen setzen wollen.
Können wir die Grenzen überhaupt selbst setzen? Wenn ich für mein Handy nicht die aktuellen Updates erledige, bin ich irgendwann raus.
Hersteller erzeugen gerne Abhängigkeiten. Daher müssen wir ihnen genau auf die Finger schauen. Das Mobiltelefon ist ein gutes Beispiel, weil sich hier ständig etwas ändert. Sicher verbessert sich dabei auch oft etwas, aber an dem Punkt, an dem in immer kürzeren Zyklen Neugeräte notwendig werden, sollten wir hellhörig werden. Hier sind Verbraucherschützer gefragt, auch um wertvolle Ressourcen einzusparen. Warum sollte man zum Beispiel das alte Netzteil nicht auch beim neuen Handy nutzen können?

Ein Mann macht am 25.11.2017 in Veyvey (Schweiz) mit seinem Smartphone ein Foto in einem 50 Meter langen Lichttunnel, der aus 25 mit Lichterketten geschmückten Reifen besteht.
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Unterschätzen wir das Tempo des Fortschritts und was der Fortschritt mit uns macht?
Veränderungen gab und gibt es immer. Der Unterschied ist: Bislang hatten Gesellschaften sehr lange Zeit, um sich mit Neuerungen auseinanderzusetzen und daran zu gewöhnen. Das Telefon brauchte 75 Jahre, bis die Grenze von 100 Millionen Nutzern überschritten war. Facebook hat das in vier Jahren geschafft. Außerdem waren die Neuerungen nicht so allumfassend. Wir sollten nicht der Fehleinschätzung erliegen, dass nur die einzelnen Apparate modernisiert werden. Der digitale Wandel beeinflusst viel mehr: Unser Denken, unsere Kommunikation oder unsere Fortbewegung. Denken Sie nur an das Autonome Fahren.
Sie beschäftigen sich auch mit dem Verschwinden der Privatheit. Ein Buch wurde früher über Generationen weitervererbt. Mit einem Kindle-Lesegerät ist das schwierig.
Ja, aber ich meine nicht nur das Verschwinden der Kulturgüter. Die Kurzlebigkeit der Digitalisierung führt zu ganz anderen Erbschaften. Was passiert denn, wenn jemand aus der Familie stirbt und er hinterlässt eine veraltete Festplatte mit 200 000 Fotos? Was macht man damit? Sollen wir seine Biografie löschen, nur weil sie technisch nicht mehr kompatibel ist? Wir haben überhaupt noch keine Idee für den Umgang damit.
Ist denn der Mensch überhaupt bereit für das Tempo der Veränderung? Oder müsste er es nicht versuchen es zu drosseln? Geht das überhaupt?
Manche Veränderungen werden sogar von uns selbst angetrieben, und der Wandel lässt sich dann nicht mehr aufhalten. Nehmen wir wieder das Smartphone: Am Anfang hat uns niemand gezwungen, ein Gerät zu kaufen. Doch wir fanden es praktisch. In nur zehn Jahren hat es so unseren gesamten Planeten erobert. Apps revolutionieren zum Beispiel die Taxi- oder Hotelbranche, und der zunehmende Einsatz künstlicher Intelligenz verändert die Arbeitswelt. Plötzlich wird uns bewusst, dass wir in 20 Jahren vielleicht nicht mehr genügend Arbeit für alle haben werden. Alle Lebensbereiche sind betroffen, und die klassischen Markt-Regeln funktionieren nicht mehr.
Das heißt?
Wir unterstellen heute alles dem Diktat der Ökonomie. Vielleicht brauchen wir eine neue Gesellschaftsform, die der Digitalisierung Rechnung trägt. Wir werden ganz einfach Bereiche definieren müssen, die wir aus dieser Logik herauslösen, die uns unabhängig vom kommerziellen Gedanken etwas wert sind. Bildung, das Wohnen oder den Gesundheitsbereich zum Beispiel. Wir können jetzt schon erkennen, dass wir nicht weit kommen werden, wenn wir unser Handeln nur auf die Gewinnstrategien einiger weniger ausrichten.
Wie können wir im Wandel alle mitnehmen?
Wir brauchen eine stabile Zukunft, die alle Menschen berücksichtigt, sonst fliegt uns der Fortschritt um die Ohren. Wir haben mit Google und Co. aber de facto Monopole, die schon jetzt der klassischen Marktwirtschaft widersprechen, weil sie keinen Wettbewerb zulassen. Nicht alle profitieren gleichermaßen von Innovationen. Wir stehen vor einem tiefgreifenden Umbau, denn wir müssen einen neuen Vertrag zwischen Gesellschaft, Politik und Wirtschaft formulieren. Dabei geht es um mehr als zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen. In einer Welt, in der zukünftig immer mehr Maschinen oder intelligente Algorithmen unsere Arbeit verrichten, braucht es eine neue Setzung unserer Werte und unseres Selbstverständnisses. Vielleicht definieren wir uns dann nicht mehr wie bisher über unsere Arbeit.
Antworten auf diese Fragen müssten global gegeben werden. Ist das überhaupt steuerbar? Waren solche Umwälzungen jemals steuerbar? Die industrielle Revolution ist ebenfalls mit brachialer Gewalt hereingebrochen.
Ja, aber dafür müssen wir eine breite Debatte führen. Im vergangenen Wahlkampf spielte das aber überhaupt keine Rolle, obwohl schon jetzt die Abstimmungsergebnisse in Großbritannien, den USA oder auch bei uns zeigen, dass sich viele als Verlierer des Fortschritts sehen. In vielen Unternehmen stellen sich die Fragen ums Überleben schon jetzt sehr konkret. Denken Sie an die Automobilindustrie, die prägend für das ganze Land ist. Instabile Gesellschaften sind gefährlich, und das zeigt die Dimension der Herausforderung. Aber ein breites Bewusstsein kann Katastrophen verhindern, und ich bleibe optimistisch, denn wenn wir den Umgang mit dem Neuen gemeinsam aktiv gestalten, dann sehe ich viele Chancen.