Kölner Serie „Spurensuche“Johann Adam Schall von Bell – Der kölsche Mandarin

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Künstler Werner Stötzer (1931-2010) schuf im Gedenken eine Marmorskulptur an der Minoritenkirche 

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  • Wo hat Joseph Beuys seinen Rasierspiegel verarbeitet, wie hat Annette von Droste-Hülshoff die erste Dampfschifffahrt erlebt?
  • In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Zeit in Köln vor.
  • Anselm Weyer widmet sich einem Jesuitenpater am Hof des chinesischen Kaisers: Johann Adam Schall von Bell.

„Das ist eine Sache für T'ang Jo-Wang“, hieß es zehn Jahre lang, wenn es in China Probleme gab. Herrscher war natürlich der chinesische Kaiser. Geheimer Regent aber war ein Jesuitenpater aus Köln, der als „Meister der Himmlischen Geheimnisse“ galt. Sein eigentlicher Name: Johann Adam Schall von Bell.

Geboren wurde er am 1. Mai 1592 höchstwahrscheinlich dort, wo heute die Häuser Neumarkt 47 und Im Laach 16 stehen. Seine Familie, ein altadliges Kölner Rittergeschlecht, unterhielt laut den Schreinsbüchern hier, „an der Ecke des Neumarktes“, schon im 13. Jahrhundert ein Edelhof genanntes Stadthaus. Getauft wurde Johann Adam wohl in St. Aposteln. Nach erstem Privatunterricht besuchte er ab 1603 das damals von den Jesuiten geleitete Tricoronatum in der Marzellenstraße, das bis heute als inzwischen städtisches Dreikönigsgymnasium weitergeführt wird.

Reise nach Rom

Womöglich um der in Köln wütenden Pest zu umgehen, reiste der damals noch nicht einmal 17 Jahre alte Johann Adam 1607 nach Rom, um dort Theologie, Mathematik und Astronomie zu studieren. Nachdem er wegen seines jungen Alters zunächst abgelehnt worden war, durfte er seine Studien nach Fürsprache des Kölner Koadjutors Ferdinand von Bayern dann doch aufnehmen. Am 21. Oktober 1611 trat er in den Jesuitenorden ein und wurde 1617 Priester.

Am Ostermontag, 16. April 1618, findet man Schall im Hafen von Lissabon, wo er als Teil einer Jesuitengruppe die Reise nach China antrat. Ziel war es, sich dem Kaiser erst unverzichtbar zu machen, um ihn dann zu bekehren. Das sollte dann, nach Vorbild des römischen Kaisers Konstantin, zur Christianisierung des gesamten Imperiums führen. Im Gepäck hatte Schall dafür unter anderem Reliquien der 11000 Jungfrauen. Schall sollte Europa nie wiedersehen.

Gefährliche Reise, gefährliches Ziel

Gefährlich war nicht nur die lange, von Stürmen und Seuchen geprägte Reise im viergeschossigen Schiff „Guter Jesus“, das vollgepackt mit 636 Menschen und etlichen Waren über Atlantik und Indischen Ozean bis ins Südchinesische Meer segelte. 45 Mitreisende starben auf der Fahrt. Gefährlich war auch das Ziel. Nach Ankunft in der kleinen portugiesischen Kolonie Macao im Juli 1619 durften die Jesuiten nicht weiter. Christliche Missionare waren in China gerade Verfolgung und Vertreibung ausgesetzt und durften nicht einreisen. Die Jesuiten mussten warten – jahrelang. Schall nutzte die Zeit und lernte die Landesbräuche, allem voran die Sprache. Währenddessen drohte auch von anderer Seite Gefahr. Eine niederländische Flotte versuchte am 24. Juni 1622 Macao zu erobern und konnte nur mit Mühe zurückgeschlagen werden. Schall, der sich zwischenzeitlich auch mit chinesischem Kampfsport beschäftigt hatte, soll persönlich den kommandierenden Hauptmann gefangen genommen haben. Dann endlich öffnete China seine Pforten wieder. Am 25. Januar 1623 erreichte der Kölner Pater das Ziel seiner Reise.

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In Peking machte Schall von Bell durch seine vielfältigen Fähigkeiten schnell auf sich aufmerksam. Mit unbekannter Genauigkeit sagte er unter anderem diverse Himmelsphänomene voraus, so dass man den Ausländer mit einem Auftrag nationaler Bedeutung betraute: Der chinesische Kalender, ein kompliziertes Konstrukt aus Sonnen- und Mondjahr, war aus den Fugen geraten. Problematisch war dies, weil er das tägliche Leben prägte: Ob man ein Geschäft abschließen, heiraten oder verreisen wollte – stets wurde zuerst der Kalender nach einem astronomisch günstigen Tag konsultiert. Entsprechend mussten die Hofastronomen dem Kaiser zu Jahresbeginn stets einen Kalender vorlegen, aus dem sich ablesen ließ, wann bestimmte Feste zu feiern oder Riten zu vollziehen waren, um dem „Mandat des Himmels“ zu genügen. Fünf Jahre verbrachte Schall mit Überlegungen und Berechnungen. Sogar auf die Lehren von Kopernikus, damals noch als Ketzerei vom Papst verboten, griff er zurück. 1935 unterbreitete er seine 150 Bände umfassenden Verbesserungsvorschläge. Sie überzeugten auf ganzer Linie. Schalls Kalenderreform sollte bis Anfang des 20. Jahrhunderts gelten. Es folgten Aufträge, die Schall teils gerne umgangen hätte.

Zum Mandarin befördert

Er musste verbesserte Kanonen herstellen, von denen einige heute noch im Palast des Himmlischen Friedens stehen. Dafür aber wurde er dann nicht nur Leiter der Pekinger Sternwarte, sondern von 1651 bis 1661 der wohl wichtigste Berater des ersten Manschu-Kaisers Shun-zhih, der mit 13 Jahren auf den Thron gekommen war und in Schall einen Mentor gefunden hatte. Shun-zhih beförderte Schall 1658 sogar zum Mandarin 1. Klasse, so dass er der höchstrangige Ausländer war, der jemals am kaiserlichen Hof in China wirkte. Kaum eine Entscheidung, die nicht mit dem Pater abgesprochen wurde. Damit nicht genug. „Weil der Sohn ein so ausgezeichneter Mann ist“, berichtet eine chinesische Urkunde, „so mussten auch die Eltern ausgezeichnete, verdiente, tugendhafte Leute gewesen sein.“ Folgerichtig wurden auch Schalls längst verstorbene Eltern und Großeltern posthum mit chinesischen Ehren bedacht.

Diese Stellung nutzte Schall für seien Missionierungsanstrengungen. Unter anderem schaffte es Schall, mittels dreier christlicher Eunuchen etliche Palastdamen zu bekehren, die in der verbotenen Stadt eine Marienkapelle einrichteten. Kaiser Shun-zhih aber starb schon mit 23 Jahren an den Blattern – ohne Christ geworden zu sein. Sein Sohn war noch unmündig. Die Gelegenheit für Schalls Gegner bei Hofe, den von einem Schlaganfall geschwächten Jesuiten los zu werden. Er wurde 1664 wegen Hochverrat, Zugehörigkeit zu einer mit der rechten Ordnung unvereinbaren Religionsgemeinschaft und Verbreitung falscher astronomischer Lehren angeklagt, eingekerkert und schließlich am 15. April 1665 zum Tode verurteilt.

Kurz vor der Vollstreckung aber – Schall sollte bei vollem Bewusstsein zerstückelt werden – bebte plötzlich in Peking die Erde. Dies deuteten die Richter als Zeichen des Himmels und revidierten ihr Urteil. Der am 15. Mai 1665 aus der Haft entlassene Schall starb am 15. August 1666 in der Jesuiten-Mission in Peking. Der Reformator des Kalenders ist bis heute in China nicht vergessen. In Köln erinnert eine Skulptur südlich der Minoritenkirche an den kölschen Mandarin.

Anselm Weyer, 45, ist promovierter Germanist, schreibt Architekturführer und beschäftigte sich vielfältig mit Kölner Stadtgeschichte.

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