Serie „Spurensuche“Vom Kölner Streit um Cranachs „Madonna mit dem Kinde“

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Das Oberlandesgericht Köln entschied einen Streit ums Gemälde „Madonna mit dem Kinde“  

  • Wo hat Napoleon genächtigt? Wo stieg Max Schmeling in den Ring?
  • In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Zeit in Köln vor, Orte ohne Gedenktafeln.
  • Anselm Weyer widmet sich heute dem Künstler Lucas Cranach der Ältere.

Köln – Als Vorzeigekünstler der Reformation galt Lucas Cranach, der um den 4. Oktober 1472 zur Welt kam. Berühmt sind seine zahllosen Porträts von Martin Luther und Philipp Melanchthon oder die Illustrationen zur Luther-Bibel. Obwohl der nicht nur für evangelische Auftraggeber tätig wurde, verband ihn zu Lebzeiten mit der katholischen Hochburg Köln verhältnismäßig wenig. Dafür wurde aber in Köln um eines seiner Werke ebenso langer wie spektakulärer Rechtsstreit mit der Tochter von Hermann Göring geführt.

In Deutschland wurde gejubelt am 2. Juni 1938, denn der nach Hitler zweite Mann im Staat, Generalfeldmarschall Hermann Göring, Präsident des Deutschen Reichstags, Preußischer Ministerpräsidenten und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, war Vater geworden: Edda nannte er seine Tochter, deren Taufpate Adolf Hitler persönlich sein sollte. Aus dem ganzen Reich hagelte es nun nicht nur Glückwunschtelegramme.

Köln schenkte zu Edda Görings Taufe das kostbare Gemälde

Auch handfestere Geschenke wurden überreicht, nicht selten überaus erlesen und teuer. Da wollte Köln nicht zurückstecken. Es überreichte zu Edda Görings Taufe das kostbare Gemälde „Madonna mit dem Kinde“ von Lucas Cranach dem Älteren, das kurz zuvor für das Wallraf-Richartz-Museum angekauft worden war.

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Gemälde „Madonna mit dem Kinde“ von Lucas Cranach dem Älteren 

Nach dem Krieg, im Jahr 1949, wurden von vielen Seiten Besitzansprüche angemeldet. Die Bundesrepublik Deutschland vertrat die Ansicht, das Cranach-Bild sei im Zuge der Schenkung an Göring zum Parteivermögen geworden, was gleichbedeutend sei mit Reichsvermögen, weshalb es nun der Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin gehöre. Der Freistaat Bayern, der nach dem Krieg das Vermögen Hermann Görings eingezogen hatte, interpretierte das Bild als Teil dieses privaten Besitztums. Die Stadt Köln wiederum fand, die Schenkung in Zeiten des Unrechts habe keinen Bestand mehr, sodass sie das Gemälde zurückforderte. Und Görings Tochter meinte, geschenkt ist geschenkt und wollte gleichfalls nicht vom wertvollen Kunstwerk lassen. Ermutigt fühlte sie sich dadurch, dass ihr der bayrische Staat Schmuck im Werte von 150.000 Mark 1954 zurückgab.

In erster Instanz wusste die Darstellung Kölns die Richter des Landgerichts am Appellhofplatz zu überzeugen. „Herr Feldmarschall Göring wünscht aus dem Ausland ein Meisterwerk altdeutscher Kunst zu erwerben“, hatte Köln zufolge dessen Referent, Ministerialdirektor Erich Gritzbach, im Herbst 1937 an Otto H. Förster, damals Direktor des Wallraf-Richartz-Museums, in einem abhanden gekommenen Brief geschrieben. „Er benötigt dafür ein Tauschobjekt. Als solches kommt das in Ihrem Museum befindliche Bild von Benozzo Gozzoli ,Madonna mit dem Heiligen' in Frage. Wie ich erfahre, beabsichtigen Sie, dieses Bild abzugeben. Herr Feldmarschall ersucht Sie daher, es ihm für den erwähnten Zweck gegen Bezahlung zu überlassen.“

Gegen ein Gemälde von van Gogh umgetauscht

Nun wollten die Kölner Gozzolis Madonna aber gar nicht veräußern. Was also tun, zumal auch Oberbürgermeister Karl-Georg Schmidt auf eine einvernehmliche Lösung drängte? Man brachte in Erfahrung, dass Cranachs Madonna das altdeutsche Gemälde sei, das Görings Begehren geweckt hatte, und holte dann das als entartet geltende Gemälde „Jüngling mit dem schwarzen Hut“ von Vincent van Gogh aus dem Lager, um dieses über den Schweizer Kunsthändler Rudolf Fischer in Cranachs Madonna umzutauschen. Diese, so erklärten die Kölner vor Gericht, habe man sich nun genötigt gesehen, Edda Göring als Geschenk an die Wiege zu legen. Das Landgericht Köln urteilte, die Schenkung eines so kostbaren Bildes sei ein Verstoß gegen die guten Sitten.

Dagegen jedoch legte Edda Göring Einspruch ein. Erfolgreich. Der 2. Zivilsenat des Kölner Oberlandesgerichts am Reichenspergerplatz urteilte, das geltende Gesetz biete keine hinreichende Handhabe, „dem 1938 zustandegekommenen Schenkungsvertrag die Wirksamkeit abzusprechen“. Von Beamtenbestechung nämlich könne hier nicht die Rede sei, sei doch Göring als Reichsminister gar kein Beamter gewesen. Zwar mochte Oberbürgermeister Schmidt befürchtet haben, sich Görings Wohlwollen zu verscherzen, wenn er dessen Wünschen nicht entgegenkomme. Aber das sei noch kein Handeln unter Drohung im Sinne des Gesetzes.

Auch einen Verstoß gegen die guten Sitten konnte das Gericht nicht erkennen, denn „Ehrengaben an hochgestellte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens als Ausdruck der Verehrung, des Dankes oder der Anerkennung für besondere Verdienste oder auch nur der offiziellen Höflichkeit sind von jeher üblich gewesen.“ Und weiter hieß es: „Dass die Persönlichkeit und das Wirken Görings heute aufgrund besserer Kenntnis und Erkenntnis auch in Deutschland von der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Menschen wesentlich anders beurteilt werden, reicht nicht aus, um eine an die Tochter dieses Mannes bewirkte, freilich sehr kostspielige, Schenkung zu einer sittenwidrigen zu stempeln, zumal die Beklagte (Edda Göring) persönlich mit der politischen Tätigkeit ihres Vaters im Dritten Reich sonst nichts zu tun hat.“

Bundesgerichtshof gab den Einspruch statt

Außerdem habe das Geschenk an Göring für die Bürger der Stadt keine fühlbare Einbuße bedeutet, denn dem Oberbürgermeister habe ein Dispositionsfonds von jährlich 200.000 Mark zur Verfügung gestanden. Das Wohlwollen Görings und die Hebung des Ansehens der Stadt in den Augen der politisch maßgebenden Kreise habe allerdings für Köln einen Vorteil bedeutet, zumal die Einwohner dieser Stadt „nicht gerade in dem Ruf standen, besonders zuverlässige Anhänger der nationalsozialistischen Weltanschauung zu sein“.

Unzufrieden wandte sich Köln nach Karlsruhe, wo der Bundesgerichtshof am 7. März 1962 dem Einspruch stattgab. Es sei zwar nicht festgestellt, dass die Schenkung auf Druck Görings zustande gekommen sei, doch könne diese als sittenwidrig bezeichnet werden, weil damit gegen das Gebot sparsamer Haushaltsführung verstoßen worden sei. Und damit ging der Fall zurück an das Oberlandesgericht Köln. Dieses urteilte am 23. Januar 1968 nach fast 20-jährigem Prozess endgültig, die auf Kosten der Bürgerschaft geschehene schenkweise Übereignung des wertvollen Bildes sei sittenwidrig und damit nichtig gewesen. Heute ist die „Madonna mit Kind“ von Lucas Cranach deshalb im Wallraf-Richartz-Museum zu bestaunen.

Anselm Weyer beschäftigt sich intensiv mit der Kölner Stadtgeschichte. Zuletzt veröffentlichte der Autor das Buch „Insel der Seligen“.

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