15 Jahre „Liebe deine Stadt“„In gewisser Weise gehört der Schriftzug zu Kölns DNA“

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Auf dem Rheinpark-Pavillon war der Schriftzug „Liebe deine Stadt“ zu Beginn der Aktion zu sehen. Das Foto entstammt der Jubiläumsedition.

Auf dem Rheinpark-Pavillon war der Schriftzug „Liebe deine Stadt“ zu Beginn der Aktion zu sehen. Das Foto entstammt der Jubiläumsedition.

  • 15 Jahre „Liebe deine Stadt“: Künstler Merlin Bauer über den Schriftzug als Tattoo, Ideen-Entkernung und warum die Opern-Sanierung trotz allem richtig ist

Köln – Wäre die Aktion „Liebe deine Stadt“ heute noch einmal denkbar? Wenn ja, wie? Ich habe mich mit dem Zustand der Stadt auseinandergesetzt. Mit einer politischen Gemengelage und Strukturen, deren Beschreibung ich am besten über die Architektur vornehmen konnte. Dabei ging es auch um Themen wie Korruption oder öffentlich-private Partnerschaften und Abhängigkeiten, wie sie etwa beim Messe-Skandal im Zusammenhang mit den Oppenheim-Esch-Fonds zum Ausdruck gekommen sind. Natürlich könnte man da heute wieder ansetzen. Ich habe nicht den Eindruck, dass ein politischer Umbruch stattgefunden hat.

Sichtbar ist durch den Schriftzug die Auseinandersetzung mit der Baukultur. Dafür wollten Sie den Blick ändern. Hat das verfangen?

Für mich ist Köln ein exemplarischer Ort und Forschungsobjekt. Es ist wie eine neuzeitliche Ausgrabungsstätte, in der man unterschiedliche Epochen freilegen kann. Die sehr weitläufigen Kriegszerstörungen förderten natürlich auch das ästhetische Patchwork des Stadtbildes. Das prägt bis heute die Stadt. Es geht um die Sichtbarmachung einer Erzählung von Stadt, für die ich Menschen emotional aber auch intellektuell begeistern will, um Sie auch zum Mitgestalten von Zukunft einzuladen. Es gibt viele Initiativen und Ausstellungen über die Nachkriegsarchitektur, die sich etwa auch mit Brutalismus auseinandersetzen. Wenn man die Idee heute neu starten wollte, würde man den Fokus anders ausrichten.

Zur Person

Der Konzeptkünstler Merlin Bauer stammt aus Graz und lebt seit 1999 in Köln. Seitdem setzt er sich intensiv mit der Stadt, ihren Strukturen und Baugeschichte auseinander. Für das Projekt „Unter dem Pflaster der Strand – Momentane Orte“ wurde er mit dem Kölner Architekturpreis ausgezeichnet. Bauer war 2004 Stipendiat des Kölnischen Kunstvereins und 2014 Stipendiat der Kunststiftung NRW.

Mit der Kampagne „Liebe deine Stadt“ setzte er sich mit dem Umgang mit vorhandener Bausubstanz auseinander. Er gehört zu den Unterstützern einer Bühnen-Sanierung am Offenbachplatz (Visualisierung oben) und lehnte den geplanten Neubau ab.

26 Meter ist der Schriftzug „Liebe deine Stadt“ breit. Der Appell leuchtet seit 2007 über der Nord-Süd-Fahrt. (Foto l.). Im nächsten Jahr wird er für längere Zeit verschwinden, das das Gebäude umfassend saniert wird.

Der 46-jährige Bauer arbeitet als Künstler, ist aber auch beratend in interdisziplinären Entwicklungsprojekten tätig. (mft)

www.liebedeinestadt.org

Wie denn?

Ich beschäftige mich weiter mit Prozessen wie der Planung von Großbauprojekten. Ich warne davor, zu behaupten, in Frankfurt oder München wäre alles besser. „Köln und der Klüngel“ ist als Überschrift schön. Aber es geht in erster Linie um Strukturen, die es auch in anderen Städten gibt oder geben kann. Sehr treffend finde ich den Begriff vom „administrativem Vandalismus“.

Die Vernachlässigung der Pflege von Gebäuden bis zum Abriss.

Genau, und der ist dann am Ende angeblich alternativlos. Das haben wir schmerzlich bei der Kölner Kunsthalle erlebt, die dann tatsächlich abgerissen wurde. Wir reden aber nicht nur über Baudenkmäler, sondern auch über Schulen, von denen so viele in einem desolaten Bauzustand sind. Sanierung und Neubau sind dadurch zu einer Herkulesaufgabe geworden. Die stellt sich nun so riesengroß dar, weil man über so viele Jahre nichts an den Gebäuden gemacht hat.

„Liebe deine Stadt“ gibt es heute als Foto-Bildchen, Mo Torres hat ein entsprechendes Lied mit Lukas Podolski gesungen, Bus-Touren heißen so. Für viele dürfte der Slogan bedeuten: ,Köln, tolle Stadt. Muss man lieben.“

Mein Slogan taucht in unzähligen Umdeutungen auf, ja. Und es gibt sehr viele Menschen, die sich das haben tätowieren lassen, in gewisser Weise gehört der Schriftzug also zur DNA der Stadt (schmunzelt). Da sind Missverständnisse nicht auszuschließen. Für Plagiate und kommerzielle Nutzung durch andere gilt das gleiche, sie sind schwer zu verhindern. Mich hat jedenfalls von den Plagiatoren nie jemand gefragt und ich habe leider so machen Rechtsstreit führen müssen. Denn die Umdeutung und Vereinnahmung trifft mich als Künstler und Urheber von „Liebe deine Stadt“ natürlich auch wirtschaftlich. Aber es beschreibt gleichzeitig auch die Stadt, und das finde ich dann wieder spannend. Wie eine Idee entkernt wird und umgedeutet, bis es in die eigene Sichtweise passt.

Vielleicht landet man in Köln am Ende immer in der lokalpatriotischen Suppe.

Das ist eine Gefahr, der man sich aussetzt. Vereinnahmung ist nie schön.

Sie haben sich vehement für die Opernsanierung eingesetzt, weil der Stadt der Verlust eines Baudenkmals drohte. Heute reden wir über eine der größten Sanierungskatastrophen des Landes. Schlechtes Gewissen?

Nein, überhaupt nicht! Die Sanierung hat eine sehr traurige Entwicklung genommen, aber die Entscheidung, das kulturelle Erbe zu bewahren, bleibt richtig. Das Planungsdesaster geht sicher auch, aber nicht in erster Linie auf Köln-spezifische Probleme zurück. Es gab vor fünf Jahren eine Studie der Hochschulen Oxford und Harvard von 2000 Großprojekten, nicht einmal ein Viertel davon war im Kostenrahmen geblieben. In der Schweiz haben Sie eine ganz andere Planungstiefe bei vergleichbaren Vorhaben. Die Sanierung ist an viel mehr gescheitert als an der alten Bausubstanz.

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Viele sagen, Hamburg hat nach dem Desaster eine strahlende Elbphilharmonie. Köln wird einen neuen alten Opernkasten haben.

Das würde ich so nie sagen, schon weil auch die Wahrnehmung von Architektur ständig veränderten Rahmenbedingungen unterliegt. Es wird sicher ein Erlebnis werden die denkmalgerecht sanierte Riphahn-Oper endlich wiederzusehen. Denken Sie an die tollen Balkone und die Holzvertäfelungen aus 1950er Jahren, die sind ein Ereignis. Mit mehr Fürsorge hätten wir diesen Mehrwert schon früher bewahren können, und das gilt auch für andere Gebäude. Wir haben hier viel Schrott rumstehen, aber wir haben auch die Bastei und die Rhein-Terrassen, das Museum für Angewandte Kunst, die Böhm-Kirchen wie Christi Auferstehung und St. Gertrud. Solche Gebäude werden mit der Zeit an Wert mehr und mehr gewinnen. Wenn solche Bauten verschwinden, geht ein Stück Kultur und Stadtgeschichte unwiederbringlich verloren.

Der öffentliche Raum ist immer stärker umkämpft. Das Leben drängt nach draußen. Wichtiges Thema?

Ein sträflich vernachlässigtes Thema. In Basel können Sie erleben, wie sich eine Stadt für die Menschen zum Wasser öffnen kann, Kopenhagen ist das noch bekanntere Beispiel. Ich rede nicht davon, Kölsch-Biergärten aufzubauen, wie wir das jetzt in der pandemischen Situation hatten. Wir müssen uns Gedanken machen über die Gestaltung der Räume, sonst reden wir nur über die Konfliktlösungen wie etwa am Brüsseler Platz. Dazu braucht es kluge Konzepte um Räume zu definieren und Nutzungen zu strukturieren.

Wie werden sich die Innenstädte verändern?

Das Modell der Innenstadt mit florierenden Einkaufsmeilen wird sich auflösen. Die Einkaufsautobahn ist tot. Es wird künftig eher ein Mix aus verschiedenen Nutzungen gebraucht, natürlich mit attraktiven Geschäften und Kleingewerbe, aber eben auch innerstädtischem Wohnen, Kulturorten und Zwischenräumen.

Das sind doch wunderbare Vorlagen für „Liebe deine Stadt 2.0“.

Wir werden sehen (lacht). Wir hatten zum jetzigen Jubiläum tatsächlich diverse Projekte und Aktionen geplant, die mussten wir aufgrund der Corona-Krise verschieben. Und im nächsten Jahr wird der Schriftzug über der Nord-Süd-Fahrt für längere Zeit verschwinden, da das Haus saniert wird. Das ist unumgänglich. Vielleicht entsteht ja aus der Dekonstruktion etwas Neues. Zunächst mal ein neuer Denkraum, damit beschäftige ich mich derzeit.

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