Abi mit 34Den zweiten Bildungsweg in Haft begonnen

Josef Jenusch lässt sich von seinem Weg nicht abbringen. Boxerdame Coco begleitet ihn dabei.
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Köln – Vor vier Jahren hat sich Josef Jenusch auf einen schwierigen Weg gemacht. Da saß er im Gefängnis, in einer der aussichtslosesten Strafvollzugsanstalten des Landes, und fasste einen Entschluss: Er wollte seinem Leben eine andere Richtung geben. Jetzt hat er am Abendgymnasium Köln sein Abitur gemacht.
Seine Geschichte erzählt der 34-Jährige ganz offen, wie er es auch bei seinen Mitschülern und Lehrern gehalten hat. Er hat schon immer Sport gemacht: Basketball, Bodybuilding, Laufen. Erst selbst ein bisschen gekifft, dann Marihuana verkauft. Bis er mit 21 Jahren erwischt wurde: sechs Monate auf Bewährung. „Danach war ich in einer Art Schockstarre, aber die hielt nicht lange an“, sagt er heute. „Ich dachte einfach, beim nächsten Mal passe ich besser auf.“
Hinweis eines Nachbarn
Das nächste Mal geschnappt wurde er an der niederländischen Grenze: Zwei Jahre – wieder auf Bewährung. „Vor Gericht hatte ich Angst“, erzählt er, „aber nach dem Urteil war ich erleichtert.“ Und: „Es war ja zwei Mal nichts passiert – ich fühlte mich unantastbar.“
Da stieg er richtig ein in den Handel mit Marihuana. Er baute Kontakte in den Niederlanden auf, schmuggelte den Stoff im Ersatzreifen oder schweißte die Pakete unter dem Auto fest. Mit den Einnahmen gründete er eine Werbeagentur in Solingen. Nach einem Jahr der große Knall: Der Hinweis eines Nachbarn brachte die Polizei auf seine Spur.
Der Tiefpunkt
Diesmal kam er nicht so glimpflich davon: Sechs Jahre Gefängnis, dazu die zwei, deren Bewährung er aufs Spiel gesetzt hatte. Er landete in der JVA Geldern, und schließlich, nach einer Auseinandersetzung mit einem anderen Häftling, in Willich.
Der Tiefpunkt. Denn, so Jenusch, „hier hat keiner mehr Hoffnung“. In Geldern durfte er noch eine Ausbildung machen, in Willich „nur arbeiten und die Strafe absitzen“. Und er fragte sich, ob er – wie manche seiner Mitgefangenen – „wirklich raus kommen und direkt wieder fünf kriegen will“.
Dumme Sprüche der Justizvollzugsbeamten
Außerdem erkannte er in Häftlingen „eine sehr von Drogen gezeichnete Spezies“. Bisher hatte er den Drogenhandel eher geschäftlich betrachtet und die Konsequenzen seines Tuns ausgeblendet. Das ging jetzt nicht mehr. „Dort habe ich die Medaille von der anderen Seite gesehen.“
Als eines Tages die Durchsage kam, eine andere JVA suche händeringend Schüler, ergriff er die Chance und meldete sich. Der erste Schritt auf dem neuen Weg war getan. Das Ziel: Sport studieren und ein eigenes Studio aufmachen.
In der JVA Remscheid machte er eine Psychotherapie und seinen Realschulabschluss, in Ossendorf sein Fachabi. Immer musste er kämpfen. „Ob ein Gefangener weiter kommt, ist für das System zweitrangig“, meint Jenusch. In Ossendorf erntete er zum Beispiel dumme Sprüche der Justizvollzugsbeamten, weil ein Straftäter wie er zu Schule gehen durfte.
Nächster Schritt: Studium
Mut machten ihm die Lehrer vom Abendgymnasium Köln, das in der JVA das Fachabi anbietet. „Mein Deutschlehrer hat immer gesagt, verlieren Sie nicht aus den Augen, was Sie vorhaben“, erinnert sich Jenusch. Seine Klasse hatte drei Schüler, die Lehrer halfen mit Heften aus, wenn den Häftlingen das Geld zum Einkaufen fehlte. Und „sie haben sehr gut mit uns gearbeitet“, sagt Jenusch. Das Ergebnis: Fachabi mit 1,3.
Das Abi wollte er gerne im offenen Vollzug machen. Doch die Erlaubnis bekam er nicht. Erst nach seiner Entlassung im August 2016 – als er zwei Drittel seiner Strafe von acht Jahren verbüßt hatte – konnte er sich am Kölner Abendgymnasium anmelden. Wieder machte er gute Erfahrungen mit den Lehrern: „Sie haben mich offen und herzlich empfangen.“
Jeden Tag fuhr er von Solingen, wo er sich um seine kranke Mutter kümmert, zum Unterricht an der Gereonsmühlengasse. „Viel Zeit zum Lernen blieb da nicht“, bedauert er. Und trotzdem: Abi mit 2,1.
„Für mich ist es das größte Glück, jetzt selbst und in Freiheit über mein Leben entscheiden zu können“, sagt Jenusch. Er hat sich für den Weg nach oben entschieden. Nächster Schritt: Studium. Josef Jenusch hat noch was vor.