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Der VisionärDiakon Uli Merz will eine „Kirche für Köln“

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Kölner Diakon Uli Merz.

Köln – Als erstes steht da „Visionär“. Dieser Mann, der da so lässig in seiner Lederjacke steckt, hat es auf seine Visitenkarte geschrieben. Als letztes steht dort „geistliche Leitung“. Auch das hat sich der 50-Jährige, der sich gerade entspannt auf ein leicht verschossenes Sofa niederlässt, auf die kleine Karte drucken lassen. Zwischen den beiden Wörtern steht „Diakon“, denn das Sofa, von dem er jeden Vorbeikommenden mit einem Wink und offenem Lächeln grüßt, steht in der Kirche St. Michael. Willkommen in der Welt von Uli Merz. Mitten auf dem Brüsseler Platz. Im Belgischen Viertel. Da, wo Köln am hipsten ist – und wo die katholische Kirche etwas wagt.

„Im Grunde war diese Gemeinde tot“

Weiten wir den Blick: Neben dem Sofa eine Palme, davor eine Spielinsel für Kinder. Am Eingang, da, wo in manch einer Kirche die Infoblätter vergilben, eine Theke. In dem Kühlschrank mit Glasfront stehen die Softdrinks griffbereit. „Ne gute Kaffeemaschine brauchen wir noch“, sagt Uli Merz. Eine Spenderin ist mittlerweile gefunden, die die Maschine bestellt. Vorne, wo man den Altar erwarten würde, eine Bühne. Darüber eine Leinwand. „Die Bänke haben wir rausgenommen“, macht Uli Merz eine raumgreifende Handbewegung. Stattdessen Stühle. Decken liegen über den Lehnen bereit. Zwischen den Stühlen hier und da ein Sessel. Alles ein bisschen so wie draußen, in den Cafés.

Der klassische Diakon würde es vielleicht ein wenig zarter ausdrücken. Der Visionär sagt es frei heraus: „Im Grunde war diese Gemeinde tot.“ Vor der Tür steppte der Bär. Hinter der Tür hielt er Winterschlaf. Messfeiern lockten im Belgischen Viertel kaum noch einen hinterm Ofen hervor. Im Advent 2020 kam Uli Merz – aus Düsseldorf. Mit innovativen Gottesdienstprojekten hatte er dort auf sich aufmerksam gemacht und wurde nach St. Michael gerufen. Genau sein Ding. Aber: „Der dämlichste Zeitpunkt, den man sich denken kann“, sagt er. Hochphase des Lockdowns. Selbst Weihnachtsgottesdienste fielen aus. Und das, wo jeder Tag zählt beim Projekt „Kirche für Köln“. „Die Deadline ist in fünf Jahren.“

Das Budget ist überschaubar

Auch das Budget ist überschaubar. „Wir bräuchten eigentlich eine gute Tonanlage, um das hier zu bespielen“, lässt Merz seinen Blick durch das alte Gemäuer schweifen. „5000 Euro“, schätzt er. Wie er die zusammenkratzen soll, weiß er noch nicht recht. „Boah, Uli, das war so unfassbar gut“, tritt eine junge Frau ans Sofa. Auf dem Rücken ein Klanginstrument. „Wir bieten in der Krypta jetzt christliches Yoga an“, erklärt Uli Merz. Yoga? Kommt das nicht aus dem Hinduismus? „Wir machen das mit hebräischen oder aramäischen Mantras“, lacht er. Der Mann der Yoga-Trainerin ist Lichtexperte, leuchtet die Krypta aus. „Uli, ich sag dir, ich hätte mich am liebsten dazugelegt“, sagt sie noch im Gehen.

Bühne, Theke, Yoga: Zeit, um über das Konzept zu reden. „Wir haben kein fertiges“, sagt Uli Merz. Zusammen mit der Pastoralreferentin Lisa Brentano und einem ehrenamtlichen Leitungsteam geht er Schritt für Schritt vor. Schauen, was geht. Wie beispielsweise bei den Gottesdiensten. „An der Tür steht ein Welcome-Team. Wir erklären ein bisschen, was so abläuft.“ Wenn er eine kriegt, ist eine Band da. „Wir machen auch Worship“ (Anmerkung d. Red.: Lobgesang, besonders beliebt in charismatischen Gemeinden).

Dann eben Sarah Connor

„Finde ich super. Aber für manche ist das zu Hardcore. Zu viel fromme Soße.“ Dann spielt er eben Sarah Connor. „Einfach etwas, das ihren Hörgewohnheiten entspricht. Ich will das Leben der Leute hier rein holen“, sagt Merz. Weil Gottesdienste immer weniger zu den Gewohnheiten zählen, gibt es die Leinwand. „Darauf erklären wir alles.“ Nichts wird vorausgesetzt, alles eingeblendet. Auch das Vater Unser. Bei der Predigt redet Uli Merz so, „wie mir der Schnabel gewachsen ist“. Ob er da im Diakon-Gewand stehe? „Nein“, sagt Uli Merz fast schon ein entsetzt. „In Zivil.“ Eucharistie? „Das machen wir nur einmal im Monat. Wir wollen die, die damit nicht vertraut sind, nicht gleich mit dieser Hochform überfordern.“

Alles also irgendwie locker, so wie vor der Tür, auf dem Brüsseler Platz, wo abends das „Urban Live“ brodelt. Junge Menschen mit Wegbier in der Hand und Themen wie Liebe, Leben, Diversität und Klimawandel auf den Lippen. Da braucht Merz doch nur abzufischen. Er versucht es. „Wir stellen Liegestühle vor die Tür, sagen, ihr braucht euch doch nicht auf die Treppe zu setzen.“ Er erfahre viel Entgegenkommen. Leider nicht immer über die Schwelle der Kirchentür hinweg. „Im Schnitt kommen an die 30 Menschen in unsere Gottesdienste.“ Aber das erste Jahr von Uli Merz in Köln war ja auch kein leichtes. Die Saat, die er sät, muss erst noch aufgehen.

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Und was soll aus ihr erwachsen? Eine offene Kirche, die keinen ausschließt, die die Menschen dort abholt, wo sie stehen. „Kirche für Köln“ halt. Mit ihr beteiligte er sich bei der Segnungsaktion für homosexuelle Paare. Online gibt es einen ökumenischen Glaubenskurs, die Diskussionsreihe „Lets Hugo – Talk in St. Michael*a“ soll etabliert werden. Wer den Samen so weit streut, muss damit rechnen, dass einige Körner unter die Dornen fallen. Uli Merz weiß, er kann nicht jeden mitnehmen: „Manche springen ja schon beim Gendersternchen aus der Hose.“ Die kämen mal rein, meckerten und gingen wieder. „Es kommen aber auch einige, die enttäuscht aus der Kirche ausgetreten sind und sagen zu mir: Verdammt, hätte ich das vorher gewusst.“

Uli Merz weiß natürlich, dass er auf dem Brüsseler Platz ein Inseldasein im Erzbistum führt. Für konservative Katholiken ist das, was er in der „Kirche für Köln“ macht, nicht mehr katholisch. Da wird ihm schon mal ein „Ihr kommt alle in die Hölle“ an den Kopf geworfen. In anderen Konfessionen wär’s vielleicht leichter für ihn. Warum der Kampf? „Ich bin nun mal katholisch“, sagt er mit erhobenen Kopf und herausforderndem Lächeln. Da wirkt er fast schon wie ein Revolutionär. Aber dafür war kein Platz mehr auf der Visitenkarte.