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Ehrenamt Kölner StadtratWarum die Finanzierung der Kommunalpolitik eine Reform braucht

Lesezeit 6 Minuten
Die Mitglieder des Kölner Stadtrats sitzen an Tischen und heben die Hand für eine Abstimmung. An der Wand befindet sich die Tribüne des Präsidiums.

Kölner Rat bei einer Abstimmung. (Symbolbild)

Es fehlt in NRW an einem Rahmen, um das hohe Maß an Verantwortung, das Kommunalpolitik in einer Millionenstadt mit sich bringt, angemessen zu vergüten. Die Finanzierung der Kommunalpolitik braucht eine Reform, findet unser Autor.

Ist es noch zeitgemäß, dass die Kölner Kommunalpolitik fast ausschließlich in den Händen von Menschen liegt, die diese verantwortungsvolle Aufgabe im Ehrenamt übernehmen? Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die für professionellere Strukturen wirbt, hat wiederholt den Vergleich zum Saarland gezogen, das mit rund 982 000 Einwohnern und einem Haushalt von 5,4 Milliarden Euro ähnliche Dimensionen wie die Stadt Köln aufweist, aber als Bundesland seine politischen Entscheidungen in einem Landtag mit 51 Berufspolitikern trifft. Im Kölner Stadtrat hingegen üben die 90 Ratsmitglieder ihr politisches Engagement größtenteils neben ihrer eigentlichen beruflichen Tätigkeit aus.

Das galt bis vor kurzem auch für den Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Christian Joisten (51). Seit er 2018 ins Amt kam, fuhr er einen Spagat zwischen seinem Job als Sicherheitsberater in der Luftfahrtbranche und seiner zeitintensiven Arbeit im Stadtrat. Joisten hatte gehofft, im Mai ein Landtagsmandat zu erringen, das aktuell mit 12 379,14 Euro brutto pro Monat vergütet wird. Wie sein Vorgänger Martin Börschel hätte er so die ehrenamtliche Ratsarbeit durch das Landtagsmandat quasi „querfinanzieren“ können. Doch Joisten verlor die Wahl – und stand vor der Frage, auf welcher finanziellen Basis er seine politische Arbeit fortführen könnte.

Fakt ist, dass die Finanzierung der Kommunalpolitik grundsätzlich reformiert gehört.
Christian Joisten, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Stadtrat

Seit 1. Oktober ist er nun in Teilzeit bei seiner Fraktion angestellt und damit Berufspolitiker. Seitdem wird er aus dem Etat bezahlt, den die Stadt den Fraktionen für ihre politische Arbeit im Rat zur Verfügung stellt. Im Falle der SPD sind das rund 850 000 Euro pro Jahr.

Zwei Gegenstimmen in der SPD-Fraktion

Im November hat die SPD-Fraktion die 60-Prozent-Stelle für Joisten zunächst befristet für ein Jahr genehmigt. 17 SPD-Ratsmitglieder waren dafür, zwei dagegen. Für Kritik sorgte der Umstand, dass das Geld der Fraktion nun für andere Aufgaben fehlt. Zudem muss Joisten wegen der Festanstellung auf seine bisherige Aufwandsentschädigung verzichten. Das sieht die Gemeindeordnung NRW so vor. Er erhält also nicht die übliche Entschädigung für Vorsitzende von Fraktionen mit mehr als acht Mitgliedern in Höhe von 1560 Euro im Monat. Jedoch bekommt er Sitzungsgeld sowie die Vergütung für seine Tätigkeit in den Aufsichtsgremien der Sparkasse Köln Bonn, der Kölnmesse und der GEW Köln AG, letzteren Aufsichtsrat leitet er.

Für seinen bisherigen Arbeitgeber arbeitete Joisten zuletzt auf einer 80-Prozent-Stelle, nun ist er weiterhin einen Tag in der Woche für die Firma tätig – nach eigener Aussage vor allem, um sich „ein gesundes Maß Unabhängigkeit von der Politik zu bewahren“. Die Doppelbelastung zwischen Job und Stadtrat sei nicht mehr zu schaffen gewesen, sagte Joisten der Rundschau. „Eine Fraktion in einer Millionenstadt wie Köln ehrenamtlich zu führen und gleichzeitig einen Vollzeitjob in der freien Wirtschaft auszuüben, ist auf Dauer nicht möglich. Mit der Anstellung bei der Fraktion haben wir unter den gegebenen Umständen eine für alle gute und verträgliche Lösung gefunden.“

„Eine Millionenstadt wie Köln mit einem 5,5-Milliarden-Euro-Haushalt nur mit ehrenamtlichen Politikern zu regieren, finde ich schwierig“
Christiane Martin, Grünen-Fraktionschefin

Fakt sei aber, „dass die Finanzierung der Kommunalpolitik grundsätzlich reformiert gehört. Dass in NRW politische Verantwortung für eine Millionenstadt primär ehrenamtlich übernommen wird, ist nicht mehr zeitgemäß. Der Rahmen stimmt nicht“, sagt Joisten.

Er verweist auf das Beispiel München, wo Ratsmitglieder gemäß Satzung und bayrischer Gemeindeordnung eine Entschädigung von 2899 Euro pro Monat erhalten und Fraktionschefs 5720 Euro. „Auch in NRW braucht es andere Strukturen. Sonst wird es immer schwieriger, Menschen aus allen Berufen und sozialen Schichten dafür zu gewinnen, sich kommunalpolitisch zu engagieren.“

Ähnlich sieht man das auch bei den Grünen. „Eine Millionenstadt wie Köln mit einem 5,5-Milliarden-Euro-Haushalt nur mit ehrenamtlichen Politikern zu regieren, finde ich schwierig“, sagt Fraktionschefin Christiane Martin (55). Laut eigener Aussage arbeitet sie noch etwa zehn Prozent ihrer Zeit in ihrem Beruf als freie Texterin und Lektorin. Für ihre Arbeit im Rat erhält sie über einen Honorarvertrag Geld von der Fraktion, dazu die Aufwandsentschädigung von 1560 Euro im Monat plus Sitzungsgeld sowie die Bezüge aus ihrer Tätigkeit in den Aufsichtsräten der Stadtwerke, Rheinenergie, GEW, Moderne Stadt und der AWB, den sie leitet.

Anders als die SPD gehen die Grünen davon aus, dass eine Fraktion laut Gemeindeordnung NRW nur ein Ratsmitglied anstellen darf. Bei den Grünen ist das Geschäftsführer Lino Hammer, weshalb Martin per Honorarvertrag entlohnt wird. „Dass die Fraktionen im Stadtrat zu verschiedenen Konstrukten greifen müssen, um die Finanzierung der politischen Arbeit sicherzustellen, halte ich für nicht angemessen. Sinnvoll wäre eine Änderung der Gemeindeordnung, damit Kommunalpolitiker, wie in Bayern üblich, für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhalten, von der man leben kann“, sagt Martin.

Sinnvoll wäre eine Änderung der Gemeindeordnung, damit Kommunalpolitiker [...] für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhalten, von der man leben kann“
Christiane Martin, Grünen-Fraktionschefin

Auch das von der SPD jahrzehntelang praktizierte Modell, dass der Fraktionschef ein gut bezahltes Mandat im Landtag hat, um so seine Arbeit im Rat mitzufinanzieren, hält Christiane Martin nicht für angemessen. „Man kann nicht beide Ämter gleichzeitig gut machen.“ CDU-Partei- und Fraktionschef Bernd Petelkau (57), der seinen Job als Banker für die Politik aufgab, fünf Jahre im Landtag saß, sein Mandat im Mai aber wieder verlor, hat nach eigenen Worten noch nicht entschieden, ob er 2023 wieder eine berufliche Tätigkeit aufnimmt. Eine Anstellung oder einen Honorarvertrag bei der CDU-Fraktion schließe er aber definitiv aus, sagte er. Dass Kommunalpolitik eine ehrenamtliche Tätigkeit ist, findet Petelkau richtig. „Dazu stehen wir.“ Man müsse aber auf Landesebene prüfen, ob die Entschädigungsregelungen noch angemessen seien. Denn in Köln sei der Aufwand, um die Kontrollfunktion des Stadtrats ausüben zu können, weitaus größer als in kleinen Kommunen.

„Weiterhin Bezug zur Arbeitswelt haben“

Güldane Tokyürek (49), die seit 2020 gemeinsam mit Heiner Kockerbeck (58) die Fraktion der Linken leitet, arbeitet weiterhin in Vollzeit im Jobcenter Mönchengladbach. Die Doppelbelastung sei „sehr anstrengend“, aber ihr persönlich sei es wichtig, „auch als Kommunalpolitikerin weiterhin einen Bezug zur Arbeitswelt zu haben“. Um politisches Engagement in den Räten zu fördern, braucht es aus ihrer Sicht vor allem „Strukturen und Modelle, die es erleichtern, ein ehrenamtliches Mandat auszuüben“. Auch eine angemessene Entschädigung für die aufwendige Arbeit im Rat sei wichtig. „Die Gleichmacherei zwischen kleinen und großen Kommunen in NRW wird der Sache nicht gerecht.“


Kommentar zur Finanzierung der Kommunalpolitik – von Michael Fuchs

Im Mittelalter saßen nur die reichsten und mächtigsten Bürger im Kölner Stadtrat. Sie konnten sich politisches Engagement leisten und profitierten selbst davon. Heute werden die Geschicke Kölns von Menschen gelenkt, die dies größtenteils im Ehrenamt tun. Viele von ihnen gehen arbeiten und können Politik nur nebenbei machen.

Für das Personal an der Spitze der Fraktionen werden diverse Konstrukte bemüht, um eine finanzielle Basis für die ehrenamtliche Arbeit im Rat zu schaffen. Dazu gehört das Gerangel um lukrative Aufsichtsratsmandate zu Beginn jeder Wahlperiode wie auch die von SPD und CDU geübte Praxis, den Fraktionschef über ein Mandat im Landtag finanziell abzusichern. Dem gleichen Zweck dienen Anstellungs- und Honorarverträge bei den Fraktionen.

Daraus wird deutlich: Es fehlt in NRW an einem Rahmen, um das hohe Maß an Verantwortung, das Kommunalpolitik in einer Millionenstadt mit sich bringt, angemessen zu vergüten. Eine Entschädigung von 1560 Euro für Vorsitzende großer Fraktionen steht in keinem Verhältnis zum Aufwand in Köln – wenn man die Kontrollpflichten des Rates ernst nimmt.

Es wird Zeit, den Politikbetrieb professioneller aufzustellen und Strukturen zu schaffen, die ehrenamtliche politische Arbeit erleichtern.

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