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Geschichte aufarbeitenErinnerung und Verantwortung – Sinti und Roma Gedenktag in Köln

Lesezeit 4 Minuten
Menschen stehen auf einer Wiese. Ein Mann spricht in ein Mikrofon und hält eine Geige in der Hand.

Die Romanes-Version des Texts „Wat söke uns Dräum?“ von Rolly Brings trug Ramona Kreuz (2.v.r.), eine Cousine von Markus Reinhardt (r.) vor.

Der 20. Gedenktag für Sinti und Roma in Köln thematisiert Rassismus, gesellschaftliches Versagen und die Aufarbeitung ihrer Geschichte.

Zuerst einmal waren die Gadsche – die „Nicht-Roma“ also – an der Reihe. Das ist traditionell so bei der Mahn- und Gedenkveranstaltung für die Roma und Sinti, die im Mai 1940 vom „Zigeunerlager“, dem ehemaligen Sportplatz des Vereins Schwarz-Weiß Köln in Bickendorf, zum Bahnhof Deutz-Tief und weiter in die Vernichtungslager verschleppt wurden. Josef Wirges vom Kuratorium Edelweißpiraten Ehrenfeld etwa warnte angesichts der jüngsten Wahlergebnisse der AfD vor einer ernsthaften Gefahr für die Demokratie. Musiker Rolly Brings unterstrich das: „Der Feind steht nicht vor der Tür, der hat schon einen Fuß in der Tür.“

Als klares Signal gegen Rassismus und „die Nazis an der Ecke“ hatte Brings 2005 den Gedenktag an der Bahnunterführung über die Venloer Straße nahe der Matthias-Brüggen-Straße gemeinsam mit seinen Söhnen Peter, Stefan und Benjamin begründet. Der damalige Bezirksbürgermeister Wirges war auch mit im Boot. Seit 20 Jahren singt Brings am 16. Mai dort seine Lieder über einen persönlichen Freund, einen alten Sinto, dessen Familie „noh‘m Osten verschlepp“ wurde und dessen Geige „kriesch öm sing Lück, die en Auschwitz jeblevve sin.“ Oder er trägt Texte vor über Flüchtlinge, die „ehr Heimat verlore han un op d‘r Flooch sin.“

Wandel in der Sinti-Gemeinschaft – Überwindung von Misstrauen

Doch einiges hat sich geändert in den vergangenen Jahren. Unter den rund 60 Teilnehmern waren erneut zahlreiche Mitglieder von Maro Drom, dem 2015 gegründeten Verein für „Kölner Sinte und Freunde“, und der Sinti Allianz Nordrhein-Westfalen. Das war nicht immer so. Der renommierte Kölner Sinti-Musiker Markus Reinhardt, der Rolly Brings zusammen mit Janko Wiegand begleitete und Stücke aus dem eigenen Repertoire vortrug, erklärte die Zurückhaltung mit einer in der Sinti-Gemeinschaft lange vorherrschenden Scheu, ja einem Misstrauen. Das rühre noch von der Eltern- und Großelterngeneration her, von jenen, die die Vernichtungslager überlebt hatten und in die Domstadt zurückgekehrt waren: „Die haben sich zurückgezogen und wollten lieber nicht über ihre Erlebnisse reden.“

Es sei der Anregung von Menschen wie Werner Jung, dem ehemaligen Leiter des NS-Dokumentationszentrums, zu verdanken, dass die Kölner Sinti und Roma in den letzten Jahren begannen, die Geschichte ihrer Familien aufzuarbeiten, so Markus Reinhardt. „Es ist wichtig, dass wir diese Geschichten erzählen, denn es geht nicht nur um uns, sondern um die ganze Gesellschaft.“

Das sei ihm Ende April wieder klar geworden, als er zu einem Symposium der Katholischen Bischofskonferenz eingeladen war, in dem es um das Verhältnis der Kirche zu den Sinti und Roma in der Nazi-Zeit ging. „Ich war sprachlos, denn es stellte sich heraus, dass die Kirche Sinti und Roma gar nicht als vollwertige Katholiken anerkannt hat. Obwohl 90 Prozent der Zigeuner gläubige Katholiken sind und zu Hause vor ihren Marien-Statuen beten.“

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Dr. Georg Bätzing, konnte zwar wegen der Papstwahl nicht persönlich anwesend sein, bekannte in einem schriftlichen Grußwort aber, dass „der große Aufschrei der Kirche angesichts der Verbrechen an den Sinti und Roma ausgeblieben ist. Wir wissen, dass Bischöfe stumm geblieben sind und ihre Gläubigen, die zur Minderheit gehörten, im Stich gelassen haben.“ Die wissenschaftliche Untersuchung der „antiziganistischen Denk- und Handlungsmuster in kirchlichen Einrichtungen“, die sich in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland fortsetzte, hat gerade erst begonnen.

Die Ausbreitung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit werde eben nicht nur durch das Wirken einzelner fanatischer Gruppen vorangetrieben, sondern durch das Versagen gesellschaftlicher Institutionen, sagte Markus Reinhardt. „Die Deportationen hat damals ja auch nicht nur die SS organisiert, da waren auch Polizisten dabei.“ Dann kündigte er lächelnd ein Stück an, dass sie von einer Israel-Reise mitgebracht hatten: „Wir sind eben Zigeuner, wir klauen.“


Info-Box Gedenkveranstaltung 24. Mai

Zum Gedenken an die Deportation von etwa 1000 rheinischen Sinti und Roma aus dem Sammellager Deutz vor 85 Jahren, am 21. Mai 1940, findet am Samstag, 24. Mai, ein Gedenkmarsch unter der Überschrift „Niemals wegschauen! Wir gedenken und erinnern uns!“ statt. Treffpunkt ist ab 14.30 Uhr der Vorplatz des Bahnhofs „Köln Messe/Deutz“, Ottoplatz 7. Um 15 Uhr startet der Marsch zum Mahnmal für die Opfer des Messelagers Deutz im Nationalsozialismus am Messeturm, Kennedy-Ufer. Dort beginnt um 15.30 Uhr eine Kundgebung. Veranstalter sind die Sinti Allianz NRW und Maro Drom, gefördert wird „Niemals wegschauen!“ durch die Bezirksvertretung Innenstadt und das El-De-Haus. (hwh)