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Nie wieder ausverkauftDer Supermarkt der Zukunft versteckt sich in Ehrenfeld

Lesezeit 5 Minuten
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Symbolbild.

  1. Der Supermarkt der Zukunft soll Online- und stationären Handel verbinden.
  2. Sprachassistent „Toni“ stellt fest, welche Lebensmittel fehlen, sucht einen Markt und bezahlt automatisch.
  3. Und das ist noch alles – Obwohl es an einigen Stellen noch hapert.

Köln – Der Supermarkt der Zukunft versteckt sich in einem schlichten Geschäftsgebäude in Ehrenfeld. Lange Regale, gut gefüllt mit Getränken, Süßigkeiten, Putzmitteln, Nudeln – altvertraut und doch ganz anders: Das hier ist ein Versuchslabor, in dem unter anderem erprobt wird, wie eine Verbindung von stationärem und Online-Handel gelingen kann. Nicht nur bei den Handelsriesen. Die „Offene Werkstatt Köln“ beim Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum eStandards richtet sich vor allem an kleine und mittlere Unternehmen (siehe Kasten).

Immer mehr Kassen ohne Kassierer

77 Prozent der Einzelhändler wollen ihre Kassensysteme in den nächsten Jahren erneuern. Das hat eine Umfrage des Kölner Handelsinstituts EHI ergeben. Dabei gewinnen die sogenannten Self-Checkout- oder Self-Scanning-Systeme „weiter an Attraktivität“, wie das EHI mitteilt. Es handelt sich dabei um Selbstbedienungskassen, die keinen Kassierer mehr benötigen. 986 000 Kassen gibt es laut EHI im deutschen Einzelhandel, das ist bereits der niedrigste Stand seit 23 Jahren. Die Kassen sind durchschnittlich 5,7 Jahre alt.

89 Prozent der Kunden möchten bei kleineren Einkäufen nicht einmal fünf Minuten an der Kasse warten müssen. Laut einer Studie der Handelsforscher IFH erwarten vor allem jüngere Kunden Geschäftsmodelle, „die die Bequemlichkeit des Onlinehandels mit der Verbindlichkeit des klassischen Supermarkts kombinieren“. Die größten Ärgernisse im Supermarkt sind außerdem mangelnde Sauberkeit, Vordrängler in der Warteschlange und zu wenige geöffnete Kassen. Die drei Punkte wurden von drei Viertel der Befragten genannt.

Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum eStandards hilft mittelständischen Unternehmen aus Handel, Logistik, Handwerk und Gewerbe bei der Digitalisierung. In fünf offenen Werkstätten können die Unternehmen den Nutzen von Standards erproben. Die Teilnahme ist für sie kostenlos. Die offene Werkstatt in Köln hat sich auf das Einkaufen in der Zukunft spezialisiert. Das Kompetenzzentrum gehört zur Initiative Mittelstand Digital und wird vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert. Der vernetzte Supermarkt befindet sich unter dem Dach von GS1 Germany. Das Unternehmen entwickelt weltweite Prozessstandards. (kl)

Michael (37) hat Gäste eingeladen, Julia (21) kauft gerne markenbewusst und nachhaltig. Die beiden wurden als Testkunden für den Supermarkt erfunden. Noch zu Hause stellt Michael im Dialog mit seinem Sprachassistenten „Toni“ fest, dass ihm für das Abendessen ein paar Lebensmittel fehlen –  schließlich weiß sein Kühlschrank dank einer Kamera selbst, was drin ist. Den Kühlschrank gibt es wirklich. An der Verbindung zum Sprachassistenten hapert es allerdings. Dafür sind spezielle Schnittstellen, also technische Verbindungen, notwendig.

Beim Verlassen des Geschäfts wird automatisch bezahlt

Hier kommt das Kompetenzzentrum ins Spiel, das sich für die Standardisierung dieser digitalen Schnittstellen einsetzt. Ohne allgemeine Standards müsste der Kühlschrank-Hersteller quasi für jedes andere Gerät, mit dem sein Kühlschrank in Kontakt treten soll, eine eigene Schnittstelle vorhalten – ein enormes  Hindernis bei der Alltagstauglichkeit.  „Wir zeigen hier Technologie, die es schon gibt. Aber es fehlt die komplette Vernetzung“, sagt Niklas Kuhnert vom Kompetenzzentrum.

In der Simulation ist alles schon ganz einfach: „Toni“ schlägt für den Einkauf einen Supermarkt in der Nähe vor, der die gewünschten Waren vorrätig hat, und bestellt außerdem einen Wein übers Internet – ein Nebeneinander von Online- und stationärem Handel. In den Rollen von Michael und Julia betreten die Besucher im Kompetenzzentrum mit ihren Mobilgeräten in der Hand den Laden. Sie werden sofort erkannt und begrüßt. Michael bekommt einen Rabatt-Coupon für das „Deo X-Machina, 2,80 statt 3,99 Euro“ aufs Display.

Benutzerdefiniertes Profil als Einkaufshilfe

Als Julia die Zutaten für ein „Rucola-Pesto“ per Tablet-Kamera erfasst, poppt ein Hinweis auf: „Das gescannte Produkt enthält Nüsse und könnte bei Dir allergische Reaktionen hervorrufen. Du hast in Deinem Profil eine Nussallergie angegeben.“ Praktisch. Aber will man seinem Supermarkt persönliche medizinische Informationen geben? Eine Abwägungssache, meint Niklas Kuhnert. Jeder müsse für sich selbst entscheiden, „wie viele Daten geteilt werden sollen und wie viele Vorteile das bringen muss“.

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Auf der Verpackung für „Rucola-Pesto“ befindet sich kein Strichcode für den Kassen-Scanner mehr. Stattdessen ist ein unsichtbares Muster aufgedruckt. Ein Nachteil: Es kann nicht an jeder Kasse erkannt werden. Ein Vorteil: Das Muster bedeckt die Verpackung, es kann nicht nur Informationen über Preis und Inhalt speichern, sondern etwa auch einer Müll-Sortieranlage erklären, wie die Verpackung entsorgt werden soll.

Ausverkaufte Artikel werden sofort nach Hause geliefert

Julia möchte das „Duschgel Natura Lemongrass“ mitnehmen. Ausverkauft, der Platz im Regal ist leer, stattdessen kann dort ein Code eingelesen werden. Das Duschgel wird sofort online bestellt und der Kundin nach Hause geliefert. „So bleibt der Umsatz im Geschäft“, erklärt Niklas Kuhnert.

Es gibt beinahe unendlich viele weitere Möglichkeiten, wenn Vernetzungen gelingen. Zum Beispiel könnten Details über die Produktherkunft angezeigt werden.  Ein Rezeptautomat könnte per Kamera den Gesichtsausdruck der Kunden analysieren und eine passende Backidee für Kekse vorschlagen. Lebensmittel, die ihr Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht haben, könnten sich automatisch reduzieren. Im Supermarkt der Zukunft in Ehrenfeld ist das alles zu sehen und auszuprobieren. Die Bezahlung läuft automatisch beim Rausgehen, ganz ohne Kassenband und Schlangestehen.

Eigene Abholstation für Pakete im Hausflur

Die bestellten Waren werden zu einer Abholstation gebracht, die im Hausflur steht. Und die Lieferung? „Das ist auch noch ein großes Standardisierungsthema“, sagt Niklas Kuhnert. Die Lieferdienste könnten ihre Pakete auch zu einer gemeinsamen Sammelstelle jenseits der Innenstädte liefern.

Dann muss nur noch ein einziger Wagen die Lieferadressen anfahren. „Das würde funktionieren, wenn alle Pakete über das gleiche System gescannt werden“, erklärt Niklas Kuhnert.  Dazu ist allerdings einiges an Abstimmung und Kooperation notwendig: „Die Frage ist, ob man sich einigen kann.“