Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Eine Kölnerin berichtetWie es sich anfühlt, Babys auf Zeit aufzunehmen

Lesezeit 5 Minuten
Pflegekind

Gemeinsamkeit für einige Monate: Sophia wiegt die kleine Marie auf dem Arm.

  1. Sophia ist in der „familiären Bereitschaftsbetreuung“ (FBB) tätig und gibt der kleinen Marie ein Zuhause auf Zeit.
  2. Sophia betreut Babys, die nicht bei ihren leiblichen Eltern bleiben konnten.
  3. Wie es sich anfühlt ein Baby auf Zeit aufzunehmen und nach bis zu zwei Jahren dann abzugeben, lesen Sie in unserer Reportage.

Köln – Marie lächelt. Sie liegt auf ihrer blauen Babydecke, strampelt und juchzt – ganz so, als wollte sie mitreden. Wovon würde sie wohl erzählen? Von ihrem schweren Start ins Leben? Wie sie in die Obhut des Jugendamts kam? Und wie sie seit Februar in der Familie von Sophia lebt?

Marie ist vier Monate alt. Wie lange sie bei Sophia bleibt, das weiß keiner genau. Vielleicht nur drei Monate, vielleicht zwei Jahre. Sophia ist in der „familiären Bereitschaftsbetreuung“ (FBB) tätig, gibt Marie ein Zuhause auf Zeit. Die Betreuung wird von der Kinder- und Jugendpädagogischen Einrichtung der Stadt (KidS) organisiert, wenn ein Kind im Alter bis zu vier Jahren vom Jugendamt in Obhut genommen wird. Zum Beispiel, weil es in der eigenen Familie vernachlässigt wird, die Eltern drogensüchtig oder psychisch krank sind oder mit der Situation überfordert, so dass eine Gefahr für das Kind besteht.

Tiefe Augenringe bei Marie

Marie entwickelt sich gut. „Am Anfang habe ich mir gedacht, um Gottes Willen, was mag das Kind nur mitgemacht haben?“, beschreibt Sophia ihren ersten Eindruck. Das Baby habe tiefe Augenringe gehabt, sei vom Grundtyp nervös gewesen. Jetzt nicht mehr. Bald ist es Zeit für den Mittagsschlaf. Ein fester Tagesablauf und Struktur bringen Sicherheit, sagt Sophia. Sie nimmt Marie auf den Arm, streicht sanft und beruhigend über das Köpfchen. „Man ist immer mit dem Herzen dabei.“

Im Wohnzimmer steht ein Laufstall, bunte Bilder und eine große grüne Kuckucksuhr hängen an den Wänden. Der Vormittag gehört meistens ganz der Kleinen, erklärt Sophia, ab dem Nachmittag und am Abend ist dann die ganze, im Moment fünfköpfige Familie zusammen. Sophia ist Mitte 30, ihre eigenen Kinder sind elf und 14 Jahre alt. Marie ist das achte Pflegekind, das sie aufnimmt und nach einiger Zeit wieder abgibt. Seit sechseinhalb Jahren geht das so.

Nach jedem neuen Kind kommt erst einmal eine Auszeit

Über eine Freundin hat Sophia von der FBB erfahren. „Ich habe spontan gedacht, ich könnte das nicht, ich würde die Kinder nie wieder hergeben“, erzählt sie. Aber dann entschied die Familie, es zu versuchen. „Wir können unseren Kindern zeigen, dass wir anderen Menschen helfen müssen, dass es nicht allen gut geht und manche eben einen kleinen Umweg brauchen.“ Nach jedem Kind, das die Familie verlässt, nehmen sie eine Auszeit und überlegen, ob sie bereit sind, ein weiteres aufzunehmen. In den Pausen unternehmen sie gemeinsam Dinge, die mit einem Baby nicht so einfach sind – ins Kino gehen, zum Bowling oder ein Besuch im Eiscafé. Eine Rückkehr in den Beruf – Sophia ist gelernte Friseurin – war für sie nie eine Option.

Drei der Kinder kamen nach der Zeit in Sophias Familie in eine Dauerpflegefamilie, die anderen konnten zu ihren Eltern zurück. Meistens sehen die Eltern ihre Kinder wöchentlich in den Räumen von KidS und verbringen eine Stunde miteinander. Danach geht jeder seiner Wege. Es ist nicht immer einfach. „Es gehört eine große Portion Mut dazu, sich einzugestehen, dass man sein eigenes Kind nicht versorgen kann“, erklärt Sophia. KidS unterstützt sie bei Fragen, bietet Schulungen. Letztens ging es um die Wünsche der Kinder und der leiblichen Eltern und darum, wie gegenseitiges Verständnis aufgebaut wird.

Die Familiäre Bereitschaftsbetreuung

Bereitschaftspflegefamilien betreuen Kinder im Alter bis zu vier Jahren. Der Kinder- und Jugendpädagogische Dienst der Stadt Köln (KidS) wird im mer dann tätig, wenn das Jugendamt entschieden hat, dass ein Kind kurzfristig aus seiner Familie genommen werden muss.

Die Bereitschaftspflege springt also quasi „von jetzt auf gleich“ ein, wenn eine akute oder drohende Krisensituation vorliegt. Anschließend wird die weitere Perspektive des Kindes geklärt. Neugeborene werden beispielsweise in Obhut genommen, weil die Eltern süchtig oder psychisch krank sind oder mit der Situation nicht klar kommen.

90

Plätze stehen zur Verfügung, KidS sucht weitere. Familien, Lebensgemeinschaften oder Einzelpersonen können eine Betreuung übernehmen. Wer sich engagieren möchte, sollte flexibel und belastbar sein, Erfahrung mit Kindern haben und Toleranz für andere Lebenswelten mitbringen.

Außerdem muss die Fähigkeit vorhanden sein, „nach Beendigung der Betreuung positiv Abschied zu nehmen“. Nach Gesprächen nehmen die Bewerber an einer Schulung teil. Es besteht eine Zusammenarbeit mit dem KidS. (kl)

Abschied nach zwei Jahren

Sophia nimmt nur Babys auf, aber manchmal gibt sie sie erst als Kleinkinder wieder ab. Zweimal schon blieben Kinder zwei Jahre bei ihr, bis ein Gericht entschieden hatte, sie dauerhaft in eine Pflegefamilie zu geben. Jeder Abschied tue weh, gibt Sophia zu. Sie gibt jedem Kind ein Fotoalbum mit. „Man sieht, wie toll es sich entwickelt hat. Es hat ja bei uns gelebt wie ein eigenes.“ Bleibt man in Verbindung? Selten. Wenn Kinder zu den Eltern zurückkehren, „ist man raus“. Auch Dauerpflegefamilien wünschen nicht immer einen Kontakt. „Manche haben Angst, dass sich das Kind nicht eingewöhnt.“ Zu einem Kind, das zwei Jahre bei ihr lebte, ist das Band nicht abgerissen, man sieht sich, geht offen mit der Situation um.

In einem Raum neben dem Wohnzimmer des Mehrfamilienhauses im Kölner Süden stehen weiße Kommoden mit Schubfächern voller Kinderkleidung – verschiedene Größen, für alle Jahreszeiten. Es muss bisweilen schnell gehen, wenn KidS anruft. Nicht jedes verbringt wie Marie noch einige Tage im Krankenhaus. „Es kann sein, dass es heißt, ich muss in eineinhalb Stunden da sein“, sagt Sophia. Dann wird das Kind in den Räumen von KidS übergeben, die wichtigsten Infos ausgetauscht – sofern sie bekannt sind. „Manchmal möchte ich auch gar nicht alles wissen“, sagt Sophia.

Um das Kind zu schützen, wurden die Namen geändert.