Die Sinti-Allianz Deutschland NRW plant ein Projekt zur Erinnerung an die NS-Verbrechen am Bahnhof Deutz.
Erinnerung an DeportationWarum am Bahnhof Deutz die Schicksale von Sinti und Roma erzählt werden sollen

Sie haben das KZ überlebt: Das Ehepaar Maria und Josef Wernicke wurde von den Nazis von Deutz aus deportiert.
Copyright: Robert Wernicke
„Auf den Fotos, die von meinem Opa und seinem Vater im NS-Dok gezeigt werden, sehen die beiden aus wie Verbrecher. Das fand ich schon immer schlimm“, sagt Robert Wernicke, Vorsitzender des Vereins Sinti- Allianz-Deutschland NRW. Der Grund, warum Großvater und Urgroßvater so dargestellt sind: Die Fotos wurden von den Nazis gemacht, kurz bevor die beiden deportiert wurden. Josef und Michael Wernicke gehörten zu den rund 1000 Sinti und Roma, die die Nationalsozialisten im Mai 1940 vom Bahnhof Deutz in Konzentrationslager transportierten.
Obwohl sie lebend zurückkehrten nach Köln, ist ihre Geschichte vor 1940 mehr oder weniger ausgelöscht. Mit einem Projekt unter dem Titel „Deutz Tief - Gleis ins Vergessen!“ möchte Robert Wernicke die Geschichte seiner Vorfahren möglichst detailreich zugänglich machen – für sich, aber auch für alle Interessierten. Zwölf Geschichten insgesamt möchte er zusammen mit seiner Co-Projektleiterin Nancy Friske recherchieren. Sie sollen auf einer Homepage aufbereitet werden. „Über einen QR-Code am Mahnmal für die Deportierten am Bahnhof Deutz erhält man Zugang zu den Geschichten über die Verfolgung und Deportation“, sagt Wernicke.
Um die Fakten zu recherchieren und aufzubereiten, brauchen Nancy Friske und Wernicke Zeit und Geld. „Deshalb freuen wir uns sehr, dass die Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft uns bei der Umsetzung unterstützt“, sagt Friske.
Projekt erhält 70.000 Euro
Eine Jury hat das Projekt aus mehr als 100 Vorschlägen unter die 13 Finalisten im Förderprogramm „MemoRails Halt! Hier wird an NS-Geschichte erinnert“ gewählt. Es erhält die Höchst-Fördersumme von 70.000 Euro. Ein Jahr lang wollen die Projektleiter Archive durchsuchen, mit Menschen sprechen und alles zusammentragen. Die Stiftung EVZ wird sich um eine Genehmigung für das Anbringen der Plakette kümmern.

Planen Mahnmal für deportierte Sinti und Roma: (v.l.) Oskar Weiß, Robert Wernicke und Nancy Friske.
Copyright: Diana Hass
Ein Foto, auf dem seine Großeltern mütterlicherseits, Maria und Josef Wernicke, die in den 1950er Jahren freundlich in die Kamera schauen, hat Wernicke schon aufgetrieben. Und eins, wo die Familie seiner Mutter mit den Kindern in den Trümmern von Köln vor dem Dom steht. Auch die Familie der Mutter war gewaltsam aus dem Leben herausgerissen, deportiert und eingesperrt.

In der Nähe des Messeturms ist das Mahnmal für die deportierten Sinti und Roma. Hier eine Gedenkstunde mit Bürgermeister Heinen.
Copyright: Nabil Hanano
„Die Familie meiner Mutter hat mit Pferden gehandelt, sie hatten ein Haus in Köln“, weiß Wernicke. Sein Großvater väterlicherseits stammte aus Niedersachsen, er wurde auch aus Köln deportiert. Oskar Weiß junior, Wernickes Vater, kennt einige Details über das Schicksal seines Vaters. „Seine ganze Familie, die Eltern und die fünf Kinder, kamen ins KZ. Mein Vater hat es geschafft, zu flüchten. Er war ziemlich flink“, erzählt er. Dreimal wurde sein Vater, Oskar Weiß senior, angeschossen. „Er hat sich tagelang im Wald versteckt, nur mit einem Nachthemd bekleidet. Dann hat er sich mal von einer Vogelscheuche Klamotten geholt und die angezogen.“
Immer noch Diskriminierung
Oskar Weiß junior ist Vorsitzender der Sinti Allianz Deutschland. Auch ihm ist es wichtig, dass die Familiengeschichten erzählt werden. „Es gibt keine Familie aus unserer Minderheit, die nicht betroffen war“, sagt Weiß. Vor allem die Alten seien in den Lagern gestorben. „Und die Alten waren unsere Bücher. Die sind einfach weg“, sagt er leise. Die Kindheitserinnerungen des inzwischen 69-Jährigen sind von Verletzungen und Traumata geprägt. „Wenn sich die Verwandtschaft getroffen hat oder Leute, die mit im KZ waren, dann wurde viel geweint und erzählt, wen sie verloren haben und was sie mitgemacht haben. Wir Kinder saßen manchmal unterm Tisch und haben gespielt und das mitgekriegt.“
Diese Gräueltaten sollen nun hervorgeholt werden. „Heute ist das wichtiger denn je“, sagt Weiß, „Antiziganismus, Rassismus, Ausgrenzung nehmen zu. Der Rechtsruck ist deutlich spürbar in Alltagsdiskriminierungen. Wir als Verband haben täglich mit dem Thema zu tun.“
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Info
Auch Jenische, eine Volksgruppe, die weder zu den Sinti noch zu den Roma gehört, wurden von den Nationalsozialisten als „arbeitsscheu und asozial“ verfolgt, interniert und getötet. Beim Projekt sollen möglichst auch Portraits von jenischen Menschen, die aus Köln deportiert worden sind, nachgezeichnet werden. „Da haben wir aktuell noch keine Geschichten, die müssen wir finden“, sagt Nancy Friske.
Unterstützer, die Informationen beisteuern können, sind willkommen. Sie können sich per E-Mail melden. Sinti-allianz@web.de