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„Oft habe ich einfach Glück gehabt“Lothar Schneid war 41 Jahre lang Feuerwehrmann

Lesezeit 5 Minuten

Feuerwehrmann mit Leib und Seele: Nach mehr als 41 Jahren Dienst bei der Berufsfeuerwehr Köln hat Lothar Schneid (60) die Einsatzjacke an den Nagel gehängt.

Große Emotionen sind eigentlich nicht sein Ding. Lothar Schneid ist eher der nüchterne, unaufgeregte Typ. Doch als ihn die Kollegen der Feuerwache 1 in der Agrippastraße vor einigen Wochen in den Ruhestand verabschiedeten, „da haben sie mich tatsächlich zum Weinen gebracht“, bekennt der 60-Jährige freimütig. Da stand er nun nach mehr als 41 Jahren im Dienst der Feuerwehr Köln, lauschte den Abschiedsreden und schritt mit seinem Enkel an der Hand im Konfettiregen durch ein Spalier aus Feuerwehrschläuchen. Großes Kino. Der krönende Abschluss eines langen Berufslebens voller Gefahrenmomente und Grenzerfahrungen. „Was andere Menschen selten oder nie erleben, ist bei uns Alltag. Wir müssen da rein, wo andere weglaufen“, bringt Lothar Schneid die Arbeit der Retter auf den Punkt.

Fiel ihm der Abschied schwer? „Die Einsätze vermisse ich nicht. Aber die Gespräche mit den Kollegen.“ Die Kameradschaft, die Gemeinschaft in der Truppe – das ist es, was für den ehemaligen stellvertretenden Leiter der Innenstadtwache den Beruf des Feuerwehrmanns vor allem auszeichnet. „Wir sind wie eine große Familie.“ Warum er zur Wehr ging? „Ich war vorbelastet durch meinen Onkel, der auch bei der Feuerwehr war“, lacht Schneid. Letztlich habe er sich seinen Kindheitstraum erfüllt. Dabei habe ihn vor allem die Technik fasziniert. „Die Feuerwehr hat ja für alles Geräte, damit wollte ich arbeiten“, sagt der gelernte Kfz-Mechaniker, der in der Moltkestraße aufgewachsen ist.

Konfrontation mit Tod und Gefahr

Angefangen hat er mit 18, nach sechs Monaten Grundausbildung begann er im August 1976 seinen Dienst auf der Innenstadtwache. An die erste Schicht erinnert er sich noch ganz genau. „Es war ein Sonntag, an dem gar nichts passiert ist. Ich war ungeduldig. Ich saß da und war vorbereitet, und keiner brauchte mich. Das war ein merkwürdiges Gefühl“, so Schneid. Bei der nächsten Schicht zwei Tage später kam es um so dicker. „Im Agrippabad nebenan musste eine Person reanimiert werden. Abends raste ein Autofahrer unter einen geparkten Lkw, den wir aus dem völlig zerstörten Wagen schneiden mussten. Am Ende konnten wir die Menschen nicht retten. Beide sind gestorben.“ Von diesem Tag an wird Lothar Schneid bei der Arbeit häufig mit dem Tod konfrontiert. Auch er selbst gerät mehrfach in größte Gefahr, hat dabei oft, wie er selbst sagt, „einfach Glück“. Anfang der 1980er-Jahre stürzt er durch einen brennenden Dachstuhl zwei Etagen in die Tiefe. „Zwei Haarrisse im Handgelenk – mehr ist nicht passiert.“ Bei einer Gasexplosion in der Marzellenstraße schleudert ihn die Druckwelle meterweit. Er kracht gegen Mülltonnen, bleibt unverletzt. „Jemand hatte die Gasleitung manipuliert.“

Bei einem Saunabrand im Keller eines Fitnessstudios an der Aachener Straße ist er im Erdgeschoss, als es zu einer Verpuffung kommt. „Ich dachte, das Haus explodiert. Ein geöffneter Stahlspind flog auf mich zu, begrub mich unter sich. Ich verlor das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, sah ich im dichten Rauch ein helles Licht und kroch in diese Richtung. Unterwegs traf ich auf einen Kollegen. Das Licht war ein Loch, das die Explosion in die Wand gesprengt hatte. Wir waren gerettet.“

Wie er mit dem ständigen Risiko umgangen ist? „Ich habe versucht, in jeden Einsatz mit offenen Augen zu gehen, hellwach zu sein. Wir erleben ja häufig Fehlalarme wegen defekter Brandmelder, aber das darf nicht zur Routine werden. Meinen Mitarbeitern habe ich eingeschärft: Auch wenn ihr zum x-ten Mal zum gleichen Gebäude fahrt, müsst ihr auf einen Brand vorbereitet sein.“

Was sich verändert hat in vier Jahrzehnten? „Früher waren wir stolz darauf, dass wir Menschen helfen, die in Lebensgefahr sind. Heute ist die Feuerwehr zunehmend zu einem Dienstleister für defekte Technik und hilflose Bürger geworden.“ Mal stecke ein Aufzug fest und die Notdienst-Firma komme nicht schnell genug. „Mal ist die Toilette verstopft, es ist Wochenende, und die Leute bekommen keinen Installateur. Dann rufen sie die Feuerwehr“, erzählt Schneid.

Seit es Handys gebe, habe auch die Zahl der Anrufe enorm zugenommen, bei denen kein Notfall vorliegt oder die Angaben so ungenau sind, dass die Feuerwehr damit nichts anfangen kann. „Aber im Zweifelsfall fahren wir ja trotzdem raus.“ Unbegreiflich findet Schneid, dass es immer mehr Unbelehrbare gebe, die die Arbeit der Retter behindern. „Früher wurde uns mehr Respekt entgegengebracht. Wenn wir heute eine Absperrung machen, um in Ruhe arbeiten zu können, kommt immer mindestens einer und besteht darauf, dass er durchfahren will.“ Fragt man nach der hohen Belastung in seinem Job, den 24-Stunden-Schichten, der Arbeit an 365 Tagen im Jahr, sagt Lothar Schneid: „Das gehört zu diesem Beruf dazu.“ Auch, dass er oft keine Zeit für Frau und Tochter hatte. Beim Hochwasser an Weihnachten 1993 sei er „nur zum Wäschewechseln“ nach Hause gekommen.

Professionelle Distanz hilft

Wie er mit besonders belastenden Erlebnissen umgegangen ist? „Früher sind wir mit den Kollegen nach Dienstschluss gemeinsam in die Kneipe gegangen und haben uns selbst therapiert“, sagt Schneid und lacht. Seit 1998 gebe es bei der Feuerwehr Köln professionelle Hilfe durch das PSU-Team für Psychosoziale Unterstützung. Wenn er zu schweren Unfällen gerufen wurde, hätten ihn die Bilder meist nicht so sehr belastet, „weil ich ja beschäftigt war zu helfen. Da hat man diese professionelle Distanz.“

Was ihn umtreibt, sind die vielen Fälle, bei denen die Feuerwehr gerufen wird, um eine Tür zu öffnen, weil jemand vermisst wird. „Manchmal ruft ein Verwandter aus einer anderen Stadt oder dem Ausland an. Oder ein Vermieter. Wenn wir dann reingehen, finden wir häufig eine alleinstehende ältere Person tot in der Wohnung. Manchmal sind diese Menschen schon seit Wochen tot. Sie haben mitten in der Stadt gelebt und sind gestorben, ohne dass irgendjemand davon Notiz genommen hat. Das finde ich erschütternd.“

Würde er sich trotz allem noch einmal für den Beruf des Feuerwehrmannes entscheiden? Lothar Schneid hält kurz inne, sagt dann: „Ja, das würde ich. Es ist ein Beruf, der mich erfüllt hat. Ich habe vieles gelernt in all den Jahren. Das möchte ich nicht missen.“