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Freiwillige in KölnGymnasium kämpft gegen Kürzungspläne der Regierung

Lesezeit 5 Minuten
Die drei stehen in der Bibliothek des Humboldt-Gymnasiums.

Tatkräftiges Team: die Bundesfreiwilligen Liv Mauritius und Andrei Regodoz mit dem Leiter der Übermittagsbetreuung, Dr. Gregor Raddatz. 

Junge Menschen arbeiten für wenig Geld zu Wohle der Gemeinschaft. Und folgen damit der Empfehlung des Bundespräsidenten. Jetzt soll ein Drittel ihrer Plätze wegfallen. Vier Freiwillige berichten.    

Größer geht es kaum. Wenn es im Humboldt-Gymnasium in der Kölner Südstadt zum Unterrichtsschluss klingelt, strömen über400 Fünft- bis Siebtklässler nach draußen – aufgedreht, quirlig oder still. Viele sind im ersten Jahr in der großen Schule mit wechselnden Lehrkräften und neuen Mitschülern überfordert. Doch eine feste Bezugsperson haben sie in dem Gewimmel. Andrei Regodoz (18) und elf andere Bundesfreiwillige betreuen ab mittags die Kinder „ihrer“ Klasse. Sie wissen, wie man sich anfangs in der neuen Schule fühlt. Und dass eine gute Nachmittagsbetreuung den Unterschied macht.

Manche unserer Kinder kommen mit offenen Armen auf uns zu. Und alle freuen sich, uns zu sehen.
Andrei Regodoz und Liv Mauritius, Bundesfreiwillige in der ÜMI des Humboldt-Gymnasiums

Regodoz hat gerade auf dem Humboldt sein Abi gemacht, jetzt ist er für 30 Kinder da und hat dabei die vier Hauptamtlichen der Übermittagsbetreuung (ÜMI) im Rücken und mitbetreuende Oberstufenschüler an seiner Seite. „Manche unserer Kinder kommen mit offenen Armen auf uns zu. Und alle freuen sich, uns zu sehen“, erzählen Andrei Regodoz und Liv Mauritius (18). Die Freiwilligen haben Vollzeitstellen, sehen die Kinder täglich, bemerken Veränderungen in ihrem Verhalten. „Weil die Altersdifferenz nicht so groß ist, vertrauen sie sich ihnen eher an als uns“, sagt ÜMI-Leiter Gregor Raddatz. „Bei Mobbing in der Schule oder belastenden Situationen zu Hause.“ 

Doch das bewährte Konzept ist akut gefährdet. „Wenn die vom Bund geplanten Kürzungen beschlossen würden, fiele ein Drittel unserer Freiwilligen weg“, sagt Raddatz. Die übernehmen auch die Aufsicht in der stark frequentierten Mensa. „Sonst müsste der Caterer den Essenspreis erhöhen. Dazu käme ein höherer Elternbeitrag für die Ümi, wenn wir die Bufdis durch Honorarkräfte ersetzen müssten. Das ist für viele Familien und Alleinerziehende gerade jetzt nicht mehr zu leisten. Wir fürchten, dass dann Kinder abgemeldet werden, die eine Begleitung etwa bei den Hausaufgaben mehr brauchen als andere.“ 

Keine Rolle spiele bei den Kürzungsplänen auch, dass sie Arbeitsfelder beträfen, in denen ein gravierender Fachkräftemangel herrsche. „Viele nutzen das Freiwilligenjahr, um zu sehen, ob der Beruf etwas für sie wäre“, weiß Raddatz. „Und nicht wenige entscheiden sich dafür.“

Den Traumberuf Erzieher gefunden

So wie Joel Ginster. Er macht sein Fachabitur am Berufskolleg mit Wirtschaftsschwerpunkt. Und wird sich mit der Zeit immer sicherer: Die Arbeit im Kaufmännischen ist nichts für mich. Er bewirbt sich als Lokführer, „weil das der Traum meiner Kindheit war“, wird nicht genommen und sucht weiter nach einem Beruf, der ihm wirklich Spaß macht. Auf einer Ausbildungsmesse entdeckt er das Freiwillige Soziale Jahr und entscheidet sich für eine Kita in Merheim.

Ginster sieht freundlich in die Kamera.

Angekommen: Nach dem Wirtschafts-Berufskolleg und einem FSJ in der Kita entschied sich Joel Ginster für ein Duales Studium der Kindheitspädagogik.

Da wird er dringend gebraucht. In der Coronazeit ist die altersgemischte U-3-Gruppe mit 20 Kindern oft personell unterbesetzt. Er spielt mit den Kindern, isst mit ihnen zu Mittag, wird zur Bezugsperson für sie. Und merkt nach wenigen Monaten: Das könnte der Beruf sein für mich. 

 Jetzt absolviert der 22-Jährige ein duales Studium „Kindheitspädagogik“ am Erzbischöflichen Berufskolleg parallel zur Erzieherausbildung. 2025 wird er beides abschließen. „Durch die Ausbildung habe ich mich persönlich weiterentwickelt, bin offener geworden und bekomme das auch vom Team rückgemeldet.“ 

Ohne unsere FSJlerin würde der Tag für unsere Gäste anders aussehen. Vieles  würde es dann nicht mehr geben.
Katarzyna Stenzel, Altenpflegerin in der Tagespflege des Caritas-Altenzentrum St. Maternus

Etwas Neues hat auch Sandy Nirina probiert – sie hatte zuvor noch nie mit alten Menschen gearbeitet, aber in der Tagespflege des Caritas-Altenzentrums St. Maternus in Rodenkirchen sofort einen guten Zugang zu ihnen gefunden. „Ohne unsere FSJlerin würde der Tag für unsere Gäste anders aussehen. Vieles von dem, was sie jetzt macht, würde es dann nicht mehr geben“, sagt Katarzyna Stenzel. Mit einer Kollegin betreut die Altenpflegerin 13 Gäste; zwei Drittel von ihnen sind durch Demenz oder im kognitiven Bereich beeinträchtigt. 

Sandy Nirina blickt auf der Terrasse der Einrichtung lächelnd in die Kamera.

Das Gefühl, Menschen helfen zu können, ist Sandy Nirina wichtig. Deshalb arbeitet sie in ihrer Zeit bis zum Beginn ihres Studiums an der TH Aachen als FSJlerin im Caritas-Altenzentrum St. Maternus

Was Sandy Nirina tut, macht den Tag der älteren Menschen schöner.  „Wir spielen Mensch-ärgere-Dich-nicht, erzählen und basteln zusammen“, sagt die 21-Jährige. „Zwei unsere Gäste sind sehr unruhig, sie brauchen nachmittags unbedingt einen Gang nach draußen“, so Stenzel. Und der kostet Zeit. Ohne ihre begleiteten Runden müssten sie ständig im Auge behalten werden. Auch Älteren, die auf einen Rollstuhl oder einen stützenden Arm angewiesen sind, hilft Nirina, die schon in ihrer Heimat Madagaskar ein Freiwilligenjahr gemacht hat. Nach dem Deutschkurs blieb noch Zeit bis zum Studium an der TH Aachen - und Nichtstun sei nicht so ihr Ding. „Schon nach drei Monaten in der Tagespflege spreche ich besser Deutsch“, freut sich Nirinia. „Aber das Wichtigste ist für mich das Gefühl, Menschen helfen zu können.“

30 Briefe an Landes- und Bundespolitiker geschrieben

 „Wir weisen hoch motivierte junge Menschen zurück, die für ein Taschengeld von 400 Euro im Monat arbeiten möchten“, kritisiert die Humboldt-Schulgemeinschaft. Um dagegen zu protestieren, haben sie  30 Brief an Landes- und Bundespolitiker geschrieben. Weitere Aktionen sind geplant, denn „gerade die Freiwilligen leisten in Zeiten multipler Krisen, wachsender Verunsicherung und um sich greifender populistischer Tendenzen einen wertvollen und unverzichtbaren Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft“.


Geplante Kürzungen der Freiwilligendienste

Zu den Freiwilligendiensten gehören unter anderem das Freiwillige Soziale und das Freiwillige Ökologische Jahr (FSJ/FÖJ). Die Angebote richten sich an Jugendliche und junge Erwachsene. Die Altersgrenze liegt bei 27 Jahren. Darüber hinaus gibt es den Bundesfreiwilligendienst, bei dem das Alter keine Rolle spielt. 

30.000 Menschen könnten ab 2025 kein Freiwilligenjahr mehr machen, wenn der Etatentwurf des Bundes verabschiedet wird, fürchten Sozialverbände. Der Entwurf sieht 2024 Kürzungen von 25 Prozent, ab 2025 von 35 Prozent vor. Einen Bundesfreiwilligendienst, ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr leisten in diesem Jahr mehr als 90.000 überwiegend junge Menschen. Ab 2025 würden mit den Kürzungen  113 Millionen Euro jährlich gespart, im Jahr zuvor 78 Millionen Euro.