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Grün muss Bauten weichenWie Baumfällungen in Köln regelmäßig für Protest sorgen

Lesezeit 6 Minuten
Baum dpa 02

Wieder einer weg: Für Baumaßnahmen müssen immer wieder Bäume weichen. 

  • Wie verträgt sich der Schulbau mit der Ökologie? Wir bringt man „Räume und Bäume“ in Einklang? Das ist täglich ein Spagat.

Köln – Beim ersten Ortstermin von Landschaftsplanerin Ingrid Rietmann wuchsen noch viele Bäume und Büsche auf dem Gelände an der Siegburger Straße 445/Auf dem Sandberg. Ein Wildacker wurde landwirtschaftlich genutzt. Auf der Wiese an der Gleistrasse lebte ein Hängebauchschwein, erinnert sich die 65-jährige Diplomingenieurin. „Es war eigentlich ganz schön hier, eine urwüchsige Rückzugsecke halt.“ Das Poller Idyll ist längst weg mitsamt Hängebauchschwein, die Bagger sind da. Statt Büschen wachsen zwei Schulbauprojekte: Die Erweiterung der Förderschule Auf dem Sandberg und ein Neubau der Grundschule Siegburger Straße als Dependance der bestehenden Janusz-Korczak-Schule.

Der Zielkonflikt

Wie verträgt sich der Schulbau mit der Ökologie? Wir bringt man „Räume und Bäume“ in Einklang? Das ist täglich ein Spagat mit Zielkonflikt, bestätigt die Gebäudewirtschaft der Stadt Köln, zuständig auch für die Pflichtaufgabe, die dringend nötigen zusätzlichen Schulplätze in Köln zu bauen. Das geht allerdings oft einher mit Baumfällungen auf dem jeweiligen Areal. Und das sorgt wiederum nicht selten für Bürgerproteste. Ein spannungsreiches Feld.

Bürgerproteste und Drohungen

Bürgerinnen und Bürger erfahren öfter erst von den Fällungen, wenn die Motorsägen kreischen. Betroffene sind dann schnell auf dem Baum. Zunehmend ist die Gebäudewirtschaft mit aggressiven Protesten gegen Baumfällungen konfrontiert, sorgt sich Petra Rinnenburger, technische Betriebsleiterin der Gebäudewirtschaft der Stadt Köln. Die Stimmung ist aufgeheizt. So wurde eine Info-Veranstaltung an der Königin-Luise-Schule Alte Wallgasse vorsorglich unter Schutz gestellt.

„Wir haben Verständnis für Proteste, aber nicht für Drohungen. Ich mache mir Sorgen um Kollegen vor Ort“, sagt die Architektin mit Blick auf Extremfälle: Es habe Drohmails wie „Wenn der Baum fällt, stirbst du auch“ gegeben oder „Ich stecke Dich mit Corona an“. Mehrere Kollegen wurden massiv bedrängt, es gab Schulungsangebote für Architekten im Umgang mit aggressiven verbalen Attacken.

Strenge Auflagen und Ausgleichsmaßnahmen

Schulplätze schaffen und möglichst wenig Grün zu opfern, das ist ein schwieriger Spagat. Es gebe jedoch strenge Auflagen und umfangreiche Schutz- und Vermeidungsmaßnahmen, die zu beachten sind, betont Rinnenburger. Um zum Beispiel auf dem Poller Gelände bauen zu können, mussten 56 angrenzende Bäume gefällt werden. Nach Fertigstellung werden als Ausgleich mindestens 40 Bäume als Ersatz neu gepflanzt, für die übrigen 16 eine Ausgleichszahlung für Grün an anderer Stelle geleistet. Für den Grundschulbau mussten dort 19 Bäume fallen, 18 werden neu gepflanzt.

„Für die durch die Baumaßnahmen entfallenden Bäume, die unter die Baumschutzsatzung der Stadt Köln fallen, werden Ersatzpflanzungen nach der Fertigstellung umgesetzt“, erläutert die Gebäudewirtschaft der Stadt. Wenn möglich, würden klimaschonende Bauweisen angewandt und andere Maßnahmen ergriffen, die dem Natur- und Artenschutz dienen, wie Gründächer oder Nisthilfen etwa für Fledermäuse.

Ökologische Baubegleitung

Beteiligt ist bei Projekten eine ökologische Baubegleitung wie durch Ingrid Rietmann. Die Landschaftsplanerin bewertet die Lage auf der Grundlage von Landschaftsschutzgesetz und anderen Vorgaben, sie ist aktuell bei rund zehn Kölner Schulen im Einsatz. Sie kümmert sich darum, dass „so schonend wie möglich“ in die Natur eingegriffen wird und durch Kompensationsmaßnahmen „die Fläche wieder aufgewertet“ und auch ein ökologischer „Mehrwert“ geschaffen wird. Das hängt auch davon ab, um was für ein Biotop es sich vor Ort handelt. Von begrünten Dächern bis zu neuen Nischen für Flora und Fauna reicht die Palette, von neuen Bäumen bis zu Obstwiesen. Allerdings müssen die Bäume dann erst mal wieder wachsen. Die Entwicklung der Ausgleichsflächen dauert Jahrzehnte. Rietmann: „Wenn jetzt ein Baum mit einem 100 Kubikmeter-Kronenvolumen wegfällt, braucht es 30 bis 40 Jahre, bis er wieder so einen Umfang hat.“

Zeitaufwendige Verfahren

Ein frühzeitigerer Dialog könnte vielleicht zu mehr Transparenz und Verständnis auf allen Seiten beitragen. Bei besonders intensiven Beteiligungsverfahren für Modellprojekte wie der Bildungslandschaft Altstadt-Nord am Klingelpützpark waren alle Beteiligten über viele Jahre mit im Boot. Doch die Zeit drängt beim Schulbau in Köln. Der Druck, schnell die nötigen zusätzlichen Schulplätze zu schaffen, ist groß. Die Suche nach Baugrundstücken und Interims-Standorten gestaltet sich schwierig, die Flächenkonkurrenz ist riesig. Um das marode Dreikönigsgymnasium sanieren zu können, entstanden fürs Interim Modulbauten am Bürgerpark Nord, einem Landschaftsschutzgebiet. Der Umgang mit dem Thema Ökologie sei grundsätzlich „schon bewusster geworden, nicht erst seit dem Ratsbeschluss für Co2-neutrales Bauen“, meint die Gebäudewirtschaft.

Umweltinitiativen fordern mehr Transparenz

Umweltinitiativen und Klimaschützer sehen deutlichen Verbesserungsbedarf. Sie machen sich für transparente Abläufe und Bauen im besseren Einklang mit ökologischen Anforderungen stark. „Bund Köln“-Vorstandsmitglied Dr. Helmut Röscheisen bekräftigt Forderungen nach mehr Schutz von Bäumen bei Bauvorhaben. Bisher gelte: „Wenn Baurecht besteht, tritt die Baumschutzsatzung in den Hintergrund.“ Es brauche ein Umdenken von Politik, Verwaltung und Teilen der Öffentlichkeit, damit der Erhalt von Bäumen einen höheren Stellenwert bekomme, „sonst bleibt die Ausrufung des Klimanotstandes ein bloßes Lippenbekenntnis“, so Röscheisen.

Lange Liste von Schulbau-Maßnahmen

Ob Schulerweiterungen, Interimsstandorte oder Neubauten – die Auftragsliste der Gebäudewirtschaft der Stadt für aktuell 188 Schulbau-Maßnahmen ist lang. Häufig müssen bei der Umsetzung Bäume gefällt werden. Wie viele es insgesamt sind, darüber wird laut Stadt keine Statistik geführt. Die Anträge auf Fällungen würden bei jedem Projekt individuell gestellt. Das passiert erst nach dem Bau-Beschluss im laufenden Verfahren.

Das Projekt Venloer Wall ist ein Beispiel: Dort sollen für einige sanierungsbedürftige Schulen in der Innenstadt zwei Interimsstandorte (Kreutzerstraße 11 und Venloer Wall 13b) entstehen. 13 Bäume und 12 Sträucher auf dem Grundstück der Gebäudewirtschaft Venloer Wall sind zur Fällung vorgesehen. Nach Diskussionen um eine in den Grüngürtel ragende Hainbuchenhecke wird jetzt geschaut, wie so umgeplant werden kann, dass die Hecke bleibt. Das hat seinen „Preis“: Voraussichtlich müssten dafür mehr Bäume auf dem Gelände gefällt werden.

Die Abgabe des Bau- und des Fällantrags verzögern sich deutlich, sagt Petra Rinnenburger (Foto r.) , Gebäudewirtschaft, bei einem Ortstermin in Poll mit Landschaftsplanerin Ingrid Rietmann.

Beim Berufskolleg Niehler Kirchweg sind im ersten Bauabschnitt die 36 Bäume mit Blick auf Schäden bewertet worden, die auf dem Grundstück stehen. Sechs der 36 können erhalten, acht umgepflanzt werden, 22 fallen. Durch Umplanungen mussten Bewegungsflächen reduziert werden. Änderungen an einer Stelle führen zu Auswirkungen anderswo. (MW)

Der Kölner „BUND“ hat einen Forderungskatalog dazu aufgestellt. Die im Baugesetz vorgesehene Möglichkeit, für Bebauungspläne Festsetzungen zum Baumerhalt vorzusehen, dürfe nicht durch andere planerische Vorgaben verhindert werden. Bei Baugenehmigungen sollte künftig außerdem eine besondere Begründung erforderlich sein, falls Bäume gefällt werden sollen. Darüber hinaus sei eine „jährlich fortzuführende Statistik über die Zahl der gefällten und nach der Baumschutzsatzung geschützten Bäume zu erstellen.“ Einen solchen Gesamtüberblick gebe es bis jetzt nicht.

Das Kölner Netzwerk „Bürger für Bäume“ gründete Harald von der Stein schon vor über 30 Jahren, seit sieben Jahren ist er auch Vorsitzender des Beirats der unteren Naturschutzbehörde der Stadt Köln. Aus Sicht des NBfB müsse die Erhaltung von Bestandsbäumen Teil der Ausschreibungs- und Vergabeverfahren werden und „mehr Härte in Vergaben rein“.

Was die Arbeit der Gebäudewirtschaft betrifft, wünsche er sich ein „strukturiertes Programm“ zur laufenden Instandhaltung von Schulen und ein „vorausschauenderes Planen“ auch für Neubauten, so von der Stein. Bei der schwierigen Suche nach Standorten für nötige Interimsbauten von Schulen müssten notfalls auch Sportplätze in den Blick genommen werden oder Gewerbegebiete statt Landschaftsschutz-Bereichen.

Den Satz „Baurecht gilt vor Baumrecht“ wolle das Netzwerk nicht umdrehen, betont er, aber man wünsche sich gleichrangiges Recht.

Und was Proteste mancher aus der Baumschutzszene betreffe, „grenzen wir uns deutlich ab von Gewalt und reinem Krawall“.

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