Hersteller kommen kaum hinterherWie Kölns Fahrradmarkt einen echten Boom erlebt

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Köln – „Es gibt keine Lieferzeiten. Die Hersteller können im Moment gar nicht liefern.“ Jörg Prumbaum, Inhaber des gleichnamigen Fahrrad-Centers in Dellbrück, macht im Moment gerade die Bestellungen für 2022 fertig. „Wir haben rechtzeitig das Lager ausgebaut, Hochregale eingezogen und die Bestände verdoppelt bis verdreifacht“, sagt Prumbaum. Der Gedanke, wie früher Räder „just in time“ zu bestellen, erscheint heute nachgerade absurd. Der Markt ist schlicht leergefegt: „Da sind Sie mit Autos noch besser dran.“ Gleiches gelte für Ersatzteile, im Besonderen Motoren für die immer beliebter werdenden E-Bikes.

Die Engpässe der Hersteller kann auch Thomas Schumacher vom Radmarkt Schumacher in Longerich bestätigen. Und auch, dass es einen Corona-bedingten „Fahrrad-Boom“ gibt. „Wir können sicher nicht klagen, wir machen mehr Umsatz. Allerdings stecken da auch 70-Stunden-Wochen drin. Ein ganz normales Jahr wäre uns allen lieber. Und wir sollten uns auch nicht überhöhen – unsere Kernkompetenz ist nun mal die Beratung im Laden, das Aufsitzen, ausprobieren lassen. Und das können wir im Moment eben nicht.“ Die Online-Geschäfte machten viel wett, aber nicht alles.

Lager sind dennoch gefüllt

Sorgen um die Zweirad-Mobilität muss sich trotz Lieferschwierigkeiten niemand machen, fast alle Händler haben Bestände auf Lager. Wo es ging, wurde vorgesorgt und aufgestockt. Konkurrenz spielt im Moment keine Rolle: „Wer hat, verkauft. Egal was“, sagt Jörg Prumbaum. „Nur etwas Flexibilität ist nötig: Es kann eben sein, dass das gewünschte Rad nicht mehr in Rot, sondern nur noch in Grün da ist.“ Aber dann ist das eben so.

Gut die Hälfte aller Räder sind mittlerweile E-Bikes. Auch darin sind sich Schumacher und Prumbaum einig. „Ganz eindeutig der Trend“, sagen beide. Dann folgt aber schon eine gewisse Ausdifferenzierung: Während der eine sehr viel Kinder- und Jugendräder verkauft, sind es beim anderen oft die ausgewiesenen Fitness-Teile, die stark nachgefragt werden. Und viele Menschen sind offenbar auch bereit, mehr Geld auszugeben als früher: „Ganz oft hören wir, wir fahren nicht in den Urlaub und geben das Geld lieber für zwei schöne Räder aus“, berichtet Prumbaum. Heimaturlaub als Malle-Ersatz sozusagen. Wobei es auch da nicht nur in die eine Richtung geht: „Wir haben im vergangenen Jahr beides feststellen können. Eine Tendenz zu höherwertigen Rädern, aber auch eine große Nachfrage im niedrigeren Segment“, so Schumacher.

Alternative zum eigenen Auto

Warum auch nicht: Schließlich haben auch viele Menschen mit niedrigerem Einkommen gemerkt, dass das Fahrrad durchaus eine Alternative zum öffentlichen Nahverkehr und zum Auto sein kann.

Der Markt scheint geradezu explodiert in Corona-Zeiten. Nicht nur im Freizeit-Bereich. Viele setzen sich mittlerweile auch im Winter aufs Rad, um volle Busse und Bahnen zu meiden. Und auch die Werkstätten brummen. Sowohl in Dellbrück wie in Longerich, die Auftragsbücher sind voll. Vom Verkauf natürlich separiert, ohne direkten Kundenkontakt außer bei der Abgabe vor der Tür, aber mit jeder Menge Zulauf. „Wir haben bis Kalenderwoche 18 die Termine voll“, sagt Schumacher. Im Frühjahr natürlich mehr als sonst, aber auch die ganz „normalen“ Service-Arbeiten sind bei vielen längst über das ganze Jahr verteilt.

Es geht aber auch anders. Da war doch noch was? Vor vielen Jahren, ganz hinten in der Kellerecke? Opas alter Drahtesel? Mit etwas Geschick und Fantasie macht der umgehend eine Wandlung zum Retro-Bike durch, neues Licht, neue Bremsen, und schon wird daraus ein urbanes Hipster-Spielzeug. Nachhaltigkeit mal ganz anders. Es gibt eine Vielzahl größerer und kleinerer Werkstätten über die Stadt verteilt, die ihre Hilfe anbieten. Bis hin zu sozialen Einrichtungen. Allerdings auch rechtliche Grauzonen (s. Kasten rechts). Denn eigentlich gibt es genaue Vorgaben der Handelskammer – die sicher nicht immer eingehalten werden.

Radverkehr wird weiter zunehmen

Und nicht zuletzt gibt es da auch noch die Exoten, Nischenbesetzer, die sich abseits des bösen Wortes „Mainstream“ tummeln. Ein Blick allein auf die Severinstraße hilft weiter: „Staub und Teer“ ist da etwa ansässig, prinzipiell ein Komplettanbieter, aber mit erkennbarem Hang zu schweißtreibender Arbeit abseits befestigter Straßen. Die Bikes von Ampler in derselben Straße so etwas wie der urbane Gegenentwurf: Schicke Designer-E-Bikes im stylischen Showroom. Oder das „Radfieber“, eher Werkstatt mit angeschlossenem Verkauf, in dem man sich von Spezialisten seine eigenen Custom-Bikes zusammenstellen lassen kann.

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In einem sind sich alle einig: Dar Radverkehr wird weiter zunehmen. „Das Fahrrad wird auch über Corona hinaus mehr Bedeutung bekommen“, ist sich Jörg Prumbaum sicher. Auch Thomas Schumacher sieht langfristig einen Trend, wenn auch nach Corona keinen „Boom“ mehr: „Das ist ja auch politisch gewollt“, sagt er. Was die Voraussetzungen für eine bessere Infrastruktur mit sich bringe.

Es ist eine müßige Frage, ob der Trend zum Zweirad auch ohne die Pandemie derart schnell zugelegt hätte. Es hat sich eine Branche etabliert, die sich in den vergangenen Jahren in vielerlei Hinsicht ausdifferenziert hat. Und die in ganz vielen Bereichen die Rad-Nutzung als reines Fortbewegungsmittel längst hinter sich gelassen hat.

Fahrräder sind längst nicht mehr nur Fortbewegungsmittel, sondern auch Ausdruck individueller Mobilität. Insbesondere in Corona-Zeiten: Viele Hersteller können gar nicht mehr liefern, der Markt boomt.

Der Gebrauchtmarkt in Köln

Es muss nicht immer ein Neukauf sein. Neben den großen Gebrauchtmärkten wie auf dem Neptunplatz oder vor der Agneskirche (beide finden im Moment Corona-bedingt nicht statt) oder den Auktionen der Stadt gibt es auch Händler, die gebrauchte und überholte Räder anbieten oder solche in Zahlung nehmen – auch große Häuser.

Reparaturen: Es gibt eine fast unübersichtliche Anzahl kleinerer und größerer Werkstätten, die alte Schätze aufmöbeln oder fit halten. Allerdings gibt es hier große Unterschiede, die Bewertungen reichen von „exzellent“ bis „besser nicht“. Zur Eröffnung eines Ladens mit Werkstatt braucht man zwar auch den Nachweis fachlich ausgebildeten Personals. Aber einige Betriebe dürften sich da in einer „Grauzone“ bewegen, wie Branchenkenner sagen. Da hilft oft nur, sich zuvor ein Bild von der Werkstatt zu machen, ein Ohr am Flurfunk zu haben oder nach Bewertungen im Netz zu schauen. (two)

Vom Urban-Bike zum Gravel-Bike – eine kleine Modellkunde

Mountainbikes (gerne auch in verschiedene Unterkategorien aufgeteilt) und Rennräder sind bereits ein alter Hut, auch wenn sie momentan wieder eine deutliche Renaissance erleben. Aber in Zeiten zunehmender Individualisierung auch bei nicht-motorisierten Fahrzeugen tun sich immer wieder neue Nischen auf. Die Preise variieren je nach Qualität und Ausstattung so stark, dass eine Rubrizierung wenig Sinn macht. Grundsätzlich gilt: Unter 500 Euro ist kaum an ein gutes Rad zu kommen, für Pedelecs gilt etwa das Doppelte und nach oben sind ohnehin keine Grenzen gesetzt. Eine kleine Modellkunde:

Gravel-Bikes

Eigentlich keine neue Erscheinung, sondern wiederentdeckt. Übersetzt „Schotter-Räder“, sind sie geländegängige Fahrräder, die trotz ihrer an Rennräder angelehnten Optik auch für leichtere Ausritte abseits der Straßen taugen. Heute werden etwas breitere Reifen (meistens 28 Zoll) benutzt, früher waren die größeren Schlauchreifen mit 27 Zoll üblich. Viel „Schotter“ gilt übrigens oft auch für die Preise.

Urban-Bikes

Robuste, in der Regel vor allem auf Tempo getrimmte Geräte für den direkten Weg in der Großstadt. Im Gegensatz zu den bereits bekannten City-Bikes sind sie nicht für längere Touren ausgelegt und in der Ausstattung oft sehr minimalistisch gehalten.

Cruiser

Wie der Name schon sagt – Räder zum lockeren Eisdielen-Flanieren, zum gemächlichen Herumfahren. Weder leicht noch schnell, aber oft auf ganz viel Optik getrimmt.

Fixie oder Eingangrad

Räder ohne Gangschaltung und oft auch außer dem Rücktritt ohne Bremsen. Als Modebike extrem minimalistisch gehalten.

Trekking-Bikes

Nominell auch schon alte Bekannte, erfreuen sich auch die Trekking-Bikes einer immer stärkeren Ausdifferenzierung. Ein Trekking-Rad ist oft die klassische eierlegende Wollmilchsau, die zum längeren Ausritt mit vorsichtigen Geländepassagen genauso taugen soll wie in der Stadt. Oft mit Vollausstattung und jeder Menge Zubehör behaftet.

Custom-Bikes

Individuell angefertigte oder umgebaute Räder, die rein auf die Optik zielen, etwa mit dicken Ballonreifen oder jeder Menge Chrom-, Lack- und sonstigem Zierrat. Wie bei den gleichnamigen Motorrädern gilt auch hier: Function follows form. Soll heißen, Hauptsache es ist individuell gestaltet und sieht gut aus – wie es fährt, ist letztlich egal.

E-Bikes (sie können dem Namen nach auch rein elektrisch gefahren werden, der Besitzer braucht aber je nach Modell und Höchstgeschwindigkeit einen Mofa-Führerschein und eine Versicherung) und Pedelecs (eine Kombination aus Pedale und E-Motor) gibt es mittlerweile in fast jeder Gattung. Allerdings ist die Trennschärfe der beiden Oberbegriffe nicht einfach, da beide Bezeichnungen im Sprachgebrauch munter durcheinander geworfen werden. (two)

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